Trotz und wegen der Corona-Pandemie sind auch am diesjährigen 12. Mai Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen in vielen Städten zum Tag der Pflegenden auf die Straße gegangen. Selbstverständlich unter Beachtung des Abstandsgebots haben sie deutlich gemacht, was sie erwarten: dass Arbeitgeber und politisch Verantwortliche nicht nur klatschen, sondern endlich handeln.
»Leider erleben wir in der COVID-19-Krise überdeutlich, dass unsere Arbeit durch eine jahrzehntelang verfehlte und auf Effizienz und Wettbewerb getrimmte Gesundheits- und Sozialpolitik erschwert wird. Die Erkenntnis ist nicht neu, die Krise legt die Mängel frei«, heißt es beispielsweise in einem Offenen Brief von über 300 betrieblichen Interessenvertretungen aus Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in Baden-Württemberg, die bei einer Aktion in Stuttgart an den Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) übergeben wurde. Dieser kündigte an, ver.di-Vertreter*innen zu einem ausführlichen Gespräch über die Forderungen einzuladen.
»Wir brauchen am Bedarf der Patient*innen orientierte Personalbemessungssysteme«, erklärte die Krankenschwester und Personalrätin aus dem Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Weinsberg, Lilian Kilian, in einer Videobotschaft zum Offenen Brief. Daniel Wenk von der Mitarbeitervertretung im Evangelischen Sozialwerk Müllheim forderte, alle ausgegliederten Beschäftigten in die Unternehmen zurückzuführen, denn: »Infektionsgefahren und Gesundheitsbelastungen lassen sich auch nicht ausgliedern.« Um das zu unterstreichen, hielten Beschäftigte mit Mundschutz vor der im Südwestzipfel des Landes gelegenen Einrichtung Schilder in die Höhe, auf denen unter anderem »Zu einer guten Pflege gehört das ganze Team« zu lesen war.
Am anderen Ende der Republik, vor dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin, trat zur gleichen Zeit ein Sprechchor von Beschäftigten auf, unter dem Motto »Die Pflege schnappt nach Luft«. »In der Corona-Krise sind die Folgen der ohnehin vorhandenen Personalknappheit überall in der Pflege noch sichtbarer geworden«, sagte Martin Seidler, der bei einem ambulanten Assistenz- und Pflegedienst arbeitet. »Nur mit einer am individuellen Menschen orientierten Pflege, ausreichend Zeit und einer leistungsgerechten Bezahlung wird das Gesundheitssystem zukunftsfähig.«
Ebenfalls am Mittag demonstrierten im Saarland 21 Pflegekräfte vor der dortigen Staatskanzlei – jede*r mit einem Buchstaben, die zusammen den Schriftzug »WIR SIND SYSTEMRELEVANT« formten. Die Krankenpflegerin Susanne Reimer-Jahr forderte, die Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen. »Das bedeutet aktuell die sofortige Aussetzung des Fallpauschalensystems (DRG), alle Kosten sind zu begleichen und nach der Krise sind Personalbemessungssysteme in den Krankenhäusern einzuführen, wie das vorgeschlagene Konzept PPR 2.0.« Die PPR 2.0 hatten ver.di, der Deutsche Pflegerat und die Deutsche Krankenhausgesellschaft bereits Mitte Januar vorgestellt. Doch die Bundesregierung hat diese bislang nicht in Kraft gesetzt, was ver.di und auch die DKG zum Tag der Pflegenden erneut einforderten.
Unterstützung für die Pflegeproteste kommt derweil von anderen Gewerkschaften. So begrüßte Anja Piel vom DGB-Bundesvorstand die gestiegene Anerkennung für Pflegekräfte, doch diese bleibe wertlos, wenn sie nicht in konkreten Verbesserungen münde. Im niedersächsischen Peine beteiligten sich Vertreter*innen der IG Metall an einer Kundgebung, die sich auch gegen die Schließung des örtlichen Klinikums richtete. »Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine flächendeckend gute Krankenhausversorgung ist«, stellte David Matrai fest, der bei ver.di in Niedersachsen für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. Es sei ein Unding, dass dennoch über die Schließung benötigter Krankenhäuser diskutiert werde. »Wir erwarten, dass das Klinikum Peine in kommunaler Trägerschaft weitergeführt wird und das Land die dafür notwendigen Investitionsmittel zur Verfügung stellt«.
In Niedersachsen und Bremen, aber auch in vielen anderen Bundesländern machten Beschäftigte mit Foto-Aktionen deutlich, dass sie »systemrelevant« sind – und ein entsprechendes Verhalten der Politik erwarten. In Hessen demonstrierten Altenpfleger*innen am Vormittag zeitgleich vor ihren Einrichtungen. Gerade in der Altenhilfe sei die Bezahlung oftmals viel zu niedrig, betonte Hessens ver.di-Landesfachbereichsleiter Georg Schulze-Ziehaus. Die auf Druck der Gewerkschaft beschlossene Prämie von bis zu 1.500 Euro sei ein Anfang. »Aber auf Dauer brauchen Beschäftigte auch in der Altenhilfe Löhne, die sie selbst vor Altersarmut schützen.«
Die Beschäftigten haben mit den Aktionen in allen Teilen des Landes erneut klargestellt, dass sie weiter für ihre Anliegen kämpfen werden. Doch ab und zu brauchen auch sie eine Pause. Deshalb lud ver.di in Chemnitz alle Kolleginnen und Kollegen am Dienstagabend ins örtliche Autokino ein, wo »Die Känguru-Chroniken« gezeigt wurden. Motto: »Das haben wir uns verdient.«
ver.di Bundesverwaltung