Erneut machen Beschäftigte aus Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Psychiatrien zum Tag der Pflegenden deutlich: Es braucht mehr Personal, Entlastung, bessere Arbeitsbedingungen. Die alte Bundesregierung mit ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn hatte zwar eine Vielzahl von Gesetzen auf den Weg gebracht. Doch die versprochene Entlastung ist nicht in den Einrichtungen angekommen. Denn die entscheidende Maßnahme verweigerte der CDU-Minister: bedarfsgerechte und verbindliche Personalvorgaben. Auch Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) lässt sich Zeit – Zeit, die weder Beschäftigte noch Patient*innen und pflegebedürftige Menschen haben. Die Regierung muss endlich handeln. Die Konzepte dafür liegen längst auf dem Tisch.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und ver.di haben schon vor über zwei Jahren ein Instrument für eine bedarfsgerechte Personalbemessung in der Krankenpflege vorgelegt – die PPR 2.0. Spahn hatte es sträflich ignoriert. SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die PPR 2.0 kurzfristig und verbindlich einzuführen. Seither sind Monate vergangen. Doch geschehen ist – nichts!
Anders als die völlig unzureichenden und auf einige Bereiche beschränkten Pflegepersonaluntergrenzen würde die PPR 2.0 wirkliche Entlastung bringen. Nach zwei Jahren Höchstbelastung in der Pandemie brauchen die Beschäftigten der Krankenhäuser das Signal, dass die Probleme endlich angegangen werden. Sonst besteht die Gefahr,
dass noch mehr Pflegepersonen ihren Beruf aufgeben.
In der stationären Langzeitpflege soll der Ausbau der Personalbemessungsverfahren laut Koalitionsvertrag beschleunigt werden. Bislang ist davon nicht viel zu merken. Es müssen verbindliche Stufen beim Personalausbau und eine Mindest-Fachkraftquote definiert werden. Und es braucht Verbindlichkeit: Wenn Einrichtungen die Vorgaben unterschreiten, müssen Sanktionen folgen.
Fehlende Verbindlichkeit ist in der Psychiatrie ebenfalls ein zentrales Problem: Verstöße gegen die seit Anfang 2020 geltende Richtlinie Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) werden laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses immer noch nicht sanktioniert. Deshalb wird sie in etlichen Kliniken nicht eingehalten. Mit dem »Persomat 2022« wollen Kolleg*innen in psychiatrischen Einrichtungen in den kommenden Wochen erheben, in welchem Ausmaß die
Personalstandards unterschritten werden. Ihre Forderung: 100 Prozent Einhaltung und bedarfsgerechte Weiterentwicklung der PPP-RL!
Ein Schlüssel für die Gewinnung dringend benötigter Fachkräfte ist die Ausweitung und Verbesserung der Ausbildung. Dafür müssen die Bedingungen stimmen: Auszubildende
und Praxisanleiter*innen brauchen Zeit für gemeinsames Üben und strukturierte Anleitung. Dafür müssen sie von anderen Tätigkeiten freigestellt und dürfen nicht in den Dienstplan eingerechnet werden. Gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verringern die Abbrecherquote und tragen dazu bei, dass Pflegekräfte dauerhaft im Beruf bleiben.
Unsere Botschaft zum Tag der Pflegenden an den Bundesgesundheitsminister: Wir wollen keine Ausreden mehr hören, Herr Lauterbach! Tun Sie das, wofür Sie gewählt wurden und verbessern Sie die Arbeitsbedingungen und die Versorgungsqualität.
ver.di ist die Gewerkschaft in der Pflege. Wir setzen uns auf allen Ebenen ein für mehr Personal und Entlastung. Aktuell zum Beispiel mit der Bewegung für einen Tarifvertrag Entlastung an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen. Wir nehmen Arbeitgeber und politisch Verantwortliche in die Pflicht. Je mehr Pflegepersonen sich engagieren und in ver.di organisieren, desto mehr können wir gemeinsam erreichen. Mach mit!
»Warum müssen Beschäftigte aus Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Psychiatrien immer noch für bessere Bedingungen auf die Straße gehen? Den politisch Verantwortlichen sollte längst klar sein, was zu tun ist. Die Erfahrungen in der Pandemie haben allen vor Augen geführt, wie wichtig eine gute, mit genug Personal ausgestattete Gesundheitsversorgung ist. Die dafür nötigen Maßnahmen – wie die PPR 2.0 in der Krankenpflege – liegen lange auf dem Tisch. Doch die Umsetzung lässt weiter auf sich warten. Deshalb ist es völlig richtig, den Protest zum Tag der Pflegenden auch in diesem Jahr sichtbar zu machen. Entlastung und mehr Personal müssen her! Bis das in den Einrichtungen ankommt, lassen wir nicht locker.«
»Schluss mit halben Sachen – bedarfsgerechte Personalausstattung, nachhaltige Finanzierung und gute Versorgung, jetzt!« Unter diesem Motto demonstrieren Beschäftigte zur Gesundheitsministerkonferenz am 22. Juni in Magdeburg. Sei dabei! Informationen zu Aktion und Anfahrt erhältst du in deinem ver.di-Bezirk.
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Anlässlich des heutigen Tags der Pflegenden fordert ver.di die rasche Einführung gesetzlicher Vorgaben für eine bedarfsgerechte Personalausstattung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat einen ‚Zwischenspurt‘ angekündigt. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass dabei nicht auch das elementare Problem der viel zu geringen Personalausstattung gelöst werden soll“, erklärte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. SPD, Grüne und FDP hätten im Koalitionsvertrag versprochen, die PPR 2.0, das Instrument für eine bedarfsgerechte Personalbemessung in der Krankenpflege, kurzfristig einzuführen. Das müsse nun endlich umgesetzt werden.
„In der Bevölkerung mögen viele die aktuelle Corona-Lage als Atempause wahrnehmen, doch in den Krankenhäusern ist keine Entspannung eingetreten“, berichtete die Gewerkschafterin. Die immer noch hohe Zahl infizierter Patienten und die damit einhergehenden Schutzmaßnahmen sowie Personalausfälle durch Krankheit und Quarantäne bringen eine noch weiter verschärfte Personalsituation mit sich. „In der Gesundheitspolitik ist unstrittig Tempo gefragt. Warum aber die Cannabis-Legalisierung wichtiger sein soll, als endlich die regelhafte Überlastung der Beschäftigten abzustellen, erschließt sich nicht. Da sind die Prioritäten nicht richtig gesetzt“, kritisierte Bühler.
Konkret forderte die Gewerkschafterin die kurzfristige Umsetzung der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Deutschen Pflegerat und ver.di schon im Januar 2020 vorgelegten PPR 2.0. „Die wissenschaftliche Entwicklung eines neuen Personalbemessungssystems dauert Jahre. Die Beschäftigten erwarten aber jetzt eine Lösung. Deshalb muss die PPR 2.0 als Übergangsinstrument sofort umgesetzt werden.“ Auch in der Altenpflege müssten die Arbeitsbedingungen durch am Bedarf orientierte und bundesweit einheitliche Personalvorgaben grundlegend verbessert werden, forderte Bühler.
Es müsse alles getan werden, damit sich die Berufsflucht nicht noch weiter verschärft, warnte sie. „Pflegepersonen geben ihren Beruf auf, obwohl sie ihn lieben, oder sie reduzieren auf eigene Kosten ihre Arbeitszeit, weil sie völlig ausgepowert sind. Das reißt immer neue Lücken in die Personaldecke. Wenn hier nicht endlich gegengesteuert wird, droht eine ernsthafte Versorgungskrise im Gesundheitswesen – in einem der reichsten Länder der Welt.“ Mit besseren Arbeitsbedingungen könnten Pflegekräfte hingegen zur Rückkehr in den Beruf bzw. zur Aufstockung ihrer Arbeitszeiten bewegt werden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen, der Arbeitskammer des Saarlandes und des Instituts Arbeit und Technik beziffert das Potenzial auf bundesweit mindestens 300.000 Vollzeitstellen, die in der Pflege auf diese Weise zusätzlich besetzt werden könnten.
Um ihren Forderungen nach mehr Personal und Entlastung Nachdruck zu verleihen, wollen Beschäftigte am heutigen Donnerstag zum Tag der Pflegenden mit Foto-Aktionen und Kundgebungen vor ihren Einrichtungen sichtbar werden. „Niemand bestreitet mehr ernsthaft das Problem. Dass es trotzdem nicht gelöst wird, erzürnt inzwischen auch die geduldigsten Pflegepersonen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen“, erklärte Bühler. „Lauterbach steht in der Pflicht, die gesetzliche Personalbemessung noch vor der Gesundheitsministerkonferenz am 22. Juni auf den Weg zu bringen.“
veröffentlicht/aktualisiert am 12. Mai 2022
ver.di Bundesverwaltung