Arbeitszeit verkürzen

Per Gesetz und in Tarifverträgen verkürzen wir unsere Arbeitszeiten. Im Betrieb werden sie verteilt. Das Schwarze Brett in der mittendrin Nr.7.
19.03.2024

Von oben, gesetzlich, gewähren die Herrschenden uns freie Tage. Von unten, in Tarifverträgen, verkürzen wir unsere Arbeitszeit. Aktive Betriebsräte verteilen diese dann – Woche für Woche – auf möglichst wenig Arbeitstage.

Autor: Tobias Michel (schichtplanfibel.de)
Zeichnungen: Matthias Berghahn

 
Arbeitszeit verkürzen

Jede Woche ein Tag frei

Im März des Jahres 321 befahl Kaiser Konstantin: Im gesamten Römischen Reich sollen »am Tag der Sonne alle Richter, ebenso das Volk in den Städten, sowie die Ausübung der Künste und Handwerke ruhen«. In den folgenden Jahrhunderten kamen noch etwa 30 Feiertage hinzu. Mit der aufkommenden Industrialisierung drängten die Fabrikbesitzer den Papst, diese Feiertage zusammenzustreichen.

Vor achtzig Jahren forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund das freie Wochenende. Die meisten Beschäftigten erreichten diesen freien Samstag erst durch die – schrittweise – Verkürzung ihrer wochendurchschnittlichen Arbeitszeit.

Seit dem Jahr 2010 verbürgt die Charta der Grundrechte der Europäischen Union: Du hast einen Anspruch auf einmal 24 Stunden am Stück arbeitsfrei in jeder Kalenderwoche! Diesem wöchentlichen Frei geht noch eine zehn- bis elfstündige Ruhezeit unmittelbar voran. Dieses Wochenfrei steht dir in jeder Woche zu. Lass dich nicht auf »wochendurchschnittlich« vertrösten.

Schlimmer: In Heimen, Kliniken, Forschungslaboren... hinkt man da noch Jahrhunderte zurück. Deren Dienstpläne lassen in vielen Wochen keinen einzigen freien Tag. Das ist illegal. Und erhöht den Krankenstand.

 

Artikel 31 II der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.

 

Der 8-Stunden-Tag

Die Erde dreht sich in 24 Stunden einmal. Das ist ein Tag. Doch Menschen können nicht ununterbrochen arbeiten. Darum folgt auf die Arbeitsschicht eine tägliche Ruhezeit. Seit über 150 Jahren kämpfen die Beschäftigten um die Begrenzung ihrer Schichten auf acht Stunden. Die Arbeitgeber wehren sich verbissen.

Die Novemberrevolution 1918 beendete den Krieg und vertrieb den deutschen Kaiser. Die neue Regierung musste in einem Gesetz endlich diesen 8-Stunden-Tag verankern. Doch es war eben nur ein Gesetz. Schon wenige Jahre später weichte das Parlament den Schutz auf: Es erlaubte den Arbeitgebern bis zu 10 Stunden.

Die Faschisten schleiften alle Schutzrechte. Erst 1949 versuchten die Siegermächte, das Gröbste einzuhegen. Ihr Alliierter Kontrollrat erlaubte nur noch bis zu sechs Tage Arbeit mit acht Stunden. Sechs mal acht ergibt 48. Mehr als diese 48 Stunden darf kein Arbeitgeber abfordern – grundsätzlich und im Durchschnitt vieler Monate.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz brachte 1994 wenig Verbesserung. Noch heute müssen wir bis zu zehn Stunden arbeiten. Deren Ausgleich auf acht Stunden im Durchschnitt sollen die Betriebe irgendwie im Auge behalten.

Schlimmer: In Forschung und Lehre, in Kliniken und Heimen müssen oft Kolleginnen bis zu 24 Stunden durchhalten. Oder länger. Tägliche Ruhezeit? Fehlanzeige. Nicht einmal spätestens alle sechs Stunden unterbricht eine gesetzliche Pause. Das alles verstößt auch gegen Tarifverträge. Das ist illegal.

 

Weniger als 5 Tage

Fast alle wünschen sich mehr freie Tage. Dazu soll die Arbeit auf fünf der sieben Wochentage verteilt werden. Besser nur auf vier.

Die DDR legte dies 1967 als Anspruch in einem Gesetz fest. Der ging 1990 mit dem Anschluss an Westdeutschland verloren.

»Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf fünf Tage […] verteilt werden.« Das regelt unser Leit-Tarifvertrag TVöD seit 2006. Dem folgten der TV-L, der TV AWO, die AVR der Caritas und viele weitere. Jede gelegentliche Verteilung von Arbeit auf einen sechsten Tag in einer Woche muss seitdem der Chef zunächst begründen. Denn dieser sechste Tag muss betrieblich notwendig (alternativlos) sein.

Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie (AVR.DD) versprechen etwas vage den Anspruch auf eine durchschnittliche 5-Tage-Woche: »Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Mitarbeiterin bzw. eines vollbeschäftigten Mitarbeiters beträgt 7,8 Stunden.«

Schlimmer: In vielen Pflegeheimen und Krankenhäusern duldet der Betriebsrat oder die Mitarbeitervertretung eine 5,5-Tage-Woche. In zwei Wochen kostet das einen freien Tag. Das ist vertragswidrig.

 

Unser Kompass

Gesetzlich versprochene Schutzgrenzen können unversehens wieder verschoben werden. Haltbarer sind freie Tage und kürzere Arbeitszeiten, wenn sie in einem Arbeitskampf errungen wurden. Doch erst im Betrieb, im alltäglichen Streit, verteidigen wir unsere freien Tage. Und wir wollen mehr davon.

  • In einer Woche zwei arbeitsfreie Tage; oder in zwei Wochen vier arbeitsfreie Tage. Mindestens, und nicht nur »im Durchschnitt«. Besser: Fünf!
  • Spätestens nach zehn Stunden ist Feierabend: Weg mit allen überlangen XXL-Schichten!
  • Erlaubt euer Tarif dem Chef Zugriffe »bis zu« 48 Stunden? Nennt er dies Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst? Lasst ihn nicht widerstandslos bis zum Äußersten gehen!

 
Schwarzes Brett, mittendrin Nr. 7

Die gesamte Zeitung als PDF zum Download.

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