Gesundheitsministerkonferenz

Lautstarke Verabschiedung

Bei der letzten Gesundheitsministerkonferenz in dieser Legislaturperiode bekommt Bundesminister Jens Spahn den geballten Unmut der Beschäftigten über seine Politik zu spüren.
17.06.2021

 

 


Wer Versprechungen nicht hält, muss auf entsprechende Reaktionen gefasst sein. So erging es auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der am Mittwoch (16. Juni 2021) in München versuchte, seine Politik vor aufgebrachten Beschäftigten zu verteidigen. Anlässlich der digitalen Gesundheitsministerkonferenz hatte ver.di nicht nur im Freistaat, sondern überall im Land zu Protesten aufgerufen, die über einen Livestream im Internet miteinander verbunden waren. Unisono machten die Demonstrierenden klar: Die unter Spahn beschlossenen Maßnahmen reichen bei Weitem nicht, um die dringend nötigen Verbesserungen im Gesundheitswesen zu erreichen. Entsprechend lautstark und deutlich war die Kritik, die sich der Minister in München anhören musste.

»Wir sind ganz und gar nicht zufrieden damit, was in den letzten Monaten politisch auf den Weg gebracht wurde«, stellte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler bei der Kundgebung in der bayerischen Landeshauptstadt klar. »Wir brauchen Gesetze, die verbindlich eine gute Personalausstattung regeln und vor allem in der Altenpflege eine anständige Bezahlung garantieren – auch bei Arbeitgebern, die sich einer fairen Entlohnung und guten Tarifverträgen immer noch verweigern.« Die Ergebnisse des »Versorgungsbarometers«, der ver.di-Befragung von rund 12.000 Beschäftigten aus Krankenhäusern, Psychiatrien, Altenpflege und Servicebereichen, mache den großen Handlungsbedarf erneut deutlich.

Spahn hingegen lobte seine Politik und erklärte, es sei »in den letzten drei Jahren in der Pflege so viel passiert wie vorher in 20 Jahren nicht bei den Arbeitsbedingungen«. Bühler hielt dem entgegen, es seien zwar viele Gesetze auf den Weg gebracht worden, »aber für die Beschäftigten ist entscheidend, was im betrieblichen Alltag ankommt – und da stellen wir fest, dass es keine Entlastung gegeben hat und die strukturellen Probleme nicht angegangen wurden«. Weiterhin sei das Gesundheitswesen auf Profitmaximierung und wirtschaftlichen Wettbewerb ausgelegt.

 
Kundgebung in München

Fallpauschalen abschaffen

Die Gewerkschafterin begrüßte die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG), die auch dem »Druck von der Straße und aus den Betrieben« zu verdanken sei. Doch dabei dürfe es nicht stehenbleiben. Denn viele Klinikträger reagierten darauf, indem sie den finanziellen Druck auf andere Beschäftigtengruppen noch erhöhten. Sie verwies auf das Beispiel des Sana-Konzerns, der bei seiner Servicetochter DGS mitten in der Pandemie über 1.000 Beschäftigte entlassen will. Das zeige, so Bühler: »Wir brauchen eine Gesundheitspolitik aus einem Guss, die an den Wurzeln anpackt und nicht nur einzelne Schräubchen dreht. Deshalb müssen die DRGs insgesamt abgeschafft werden.«

Auf die Forderung nach bedarfsgerechten Personalvorgaben entgegnete Spahn, »das eigentliche Problem« sei, dass offene Stellen in der Pflege nicht besetzt werden könnten. Zudem habe er für die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen in einigen Krankenhausbereichen gesorgt – die allerdings, wie der CDU-Politiker selbst zugab, »nicht den Bedarf beschreiben«. Sylvia Bühler verwies darauf, dass die Untergrenzen von vielen Klinikträgern zur »neuen Norm« erklärt würden, »obwohl sie nur das Schlimmste hätten verhindern sollen«.

 
RoMed Klinikum Rosenheim

Stattdessen müsse die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Deutschen Pflegerat und ver.di vorgelegte bedarfsgerechte Personalbemessung für die Krankenhauspflege, die PPR 2.0, bis zur Entwicklung eines wissenschaftlichen Instruments als Zwischenlösung umgesetzt werden. Die PPR 2.0 sei schnell einsetzbar und würde zu einer besseren Versorgung und besseren Arbeitsbedingungen führen, betonte die Gewerkschafterin. »Deswegen haben wir gar kein Verständnis dafür, dass Sie dieses Instrument nicht zum Einsatz bringen, sondern uns vertrösten wollen auf 2025.« Die nötigen Arbeitskräfte könnten nur mit besseren Arbeitsbedingungen gewonnen und gehalten werden. »Und dafür brauchen wir klare und bedarfsgerechte Personalvorgaben und vor allem in der Altenpflege eine anständige Bezahlung. Hier hat die Bundesregierung ihren Job nicht gemacht.«

Kurz zuvor hatte auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Gerald Gaß, im Livestream bekräftigt, die Umsetzung der PPR 2.0 sei ein gemeinsames »dringendes Anliegen«. Die Pflegepersonaluntergrenzen markierten nur »rote Linien«, um eine Gefährdung von Patientinnen und Patienten zu vermeiden, sie seien aber »kein Maßstab für eine gute Pflege, für die wir gemeinsam eintreten und das Personalbemessungsinstrument fordern«. Dieses müsse über die »roten Linien« der Untergrenzen »deutlich hinausgehen«.

 

»Wir brauchen eine Revolution in der Pflege«

Zumindest verbale Unterstützung für ihre Forderung nach einem radikalen Kurswechsel bekamen die Demonstrierenden von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). »Wir brauchen jetzt eine Revolution in der Pflege. Nach dieser Pandemie müssen wir Dinge nachhaltig verändern und in großen Schritten«, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz bei der Kundgebung in München. »Wir brauchen keine Ökonomisierung in diesem Bereich – ich will sie nicht. Pflege darf sich nicht an den Abrechnungssystemen orientieren, Pflege muss sich an den Personen orientieren.« Den ersten Schritten müssten »viele weitere« folgen, denn die Verbesserungen seien »nicht immer angekommen bei denjenigen, die draußen arbeiten«.

Dass grundlegende Veränderungen nötig sind, belegt das von ver.di initiierte »Versorgungsbarometer«, das bei den Aktionen und im Livestream vorgestellt wurde. Demnach können sich 78 Prozent der Befragten nicht vorstellen, ihren Beruf unter den aktuellen Bedingungen bis zum gesetzlichen Rentenalter ausüben zu können. Nahezu Dreiviertel müssen nach eigener Einschätzung mit einer (viel) zu geringen Personalausstattung arbeiten. Die Mehrheit der Auszubildenden muss teilweise oder ganz ohne strukturierte Praxisanleitung auskommen. ver.di werde die Befragung im Bundestagswahlkampf nutzen und die Kandidat*innen mit den Ergebnissen konfrontieren, kündigte Grit Genster an, die den ver.di-Bereich Gesundheitspolitik leitet.

 

Kampf für Entlastung

ver.di begleitete die Aktionen zur Gesundheitsministerkonferenz mit einem drei Stunden langen Livestream im Internet. In dem von Ina Colle und Nicolai Tegeler moderierten Programm wechselten sich Studiointerviews und Videoclips mit Liveschaltungen zu den regionalen Protestaktionen ab. Dabei machten etliche Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Städten deutlich, wie dramatisch die Situation im Gesundheitswesen ist. So berichtete die Krankenpflegerin Sabine Witte in Stuttgart über die »riesigen Probleme«, die fehlendes Personal in psychiatrischen Einrichtungen verursache. Zwangsmaßnahmen und Übergriffe gegen Beschäftigte seien die Folge, die mit mehr Personal vielfach vermieden werden könnten. »Wir wollen eine menschliche Psychiatrie, und keine Verwahrpsychiatrie, bei der Zwangsmaßnahmen die einzige Möglichkeit sind, mit der Situation umzugehen«, betonte sie. Neben ausreichend Personal seien dafür mehr Platz und genug Therapieplätze nötig. Krankenpflegerin Lilian Kilian vom Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Weinsberg wies in ihrem Beitrag zudem darauf hin, dass auch die Abschaffung des pauschalierten Entgeltsystems PEPP nötig sei, um die Bedingungen in der Psychiatrie zu verbessern.

Die Jenaer Krankenschwester Ellen Ost erzählte, dass sie wegen der hohen Belastung vor einigen Jahren kurz davor war, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Doch dann entschieden sie und ihre Kolleg*innen an der Uniklinik Jena anders: Sie forderten ihren Arbeitgeber ultimativ zum Abschluss eines Entlastungs-Tarifvertrags auf. Indem sich viele organisierten und ihre Streikbereitschaft dokumentierten, konnten die Beschäftigten der Uniklinik eine Vereinbarung durchsetzen, die ihnen zusätzliche Freischichten bringt, falls sie mehrfach in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen. Durch die vereinbarten Besetzungsregeln müsse sie heute deutlich weniger Patient*innen gleichzeitig betreuen als früher, erklärte die Krankenpflegerin Ost. Ein Ersatz für bedarfsgerechte Personalvorgaben per Gesetz sei der Tarifvertrag allerdings nicht.

 

Servicekräfte wehren sich

Auch in den Servicegesellschaften wächst der Widerstand. So berichtete Karin Reinfelder von der Klinikum Nürnberg Service-Gesellschaft (KNSG) wie sie und ihre Kolleg*innen in den vergangenen Wochen mehrfach in den Streik getreten sind, um eine Angleichung ihrer Gehälter an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) durchzusetzen. Das hat gewirkt: Die Stadt Nürnberg hat als Eigentümerin zugesagt, den TVöD ab 2024 vollständig zur Anwendung zu bringen. Nun wird über die Überleitung und die Angleichungsschritte dorthin verhandelt. »Das ist ein toller Erfolg, der zeigt: Wenn wir gut organisiert und entschlossen sind, können wir unsere Arbeitsbedingungen verbessern«, bilanzierte die Betriebsrätin und ver.di-Aktivistin.

 

»Wir werden keine Ruhe geben, bis sowohl die Gesundheit der Beschäftigten als auch die Versorgungsqualität gesichert sind.«

Sylvia Bühler, ver.di-Bundesvorstandsmitglied

Das zu erreichen, haben sich auch die Beschäftigten der Tochtergesellschaften des Berliner Klinikträgers Vivantes vorgenommen, die ihren Arbeitgebern und dem Senat gemeinsam mit ihren Klinik-Kolleg*innen ein Ultimatum gesetzt haben. »Wir haben uns gewerkschaftlich organisiert, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu durchzusetzen«, erklärte der Logistikarbeiter José Jerome Alberto von der Vivantes Service GmbH. »Denn Krankenhaus ist Teamarbeit. Wir brauchen den TVöD für alle.«

Wie breit und kreativ die Bewegung für eine bessere Gesundheitspolitik ist, zeigte sich am Mittwoch in vielen Städten. In Recklinghausen kamen Altenpflegekräfte und Bewohner*innen zu einer »Rollatordemo« vor dem Rathaus zusammen. In Nürnberg durchbrachen Beschäftigte unter dem Motto »Gesundheitsblockaden einreißen« symbolisch eine Wand vor der Dienststelle des Landesgesundheitsministeriums. In Stuttgart übergaben die Demonstrierenden Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) eine »Urkunde für besonders erfolgreiches Missmanagement im Gesundheitssystem«. In Mainz veranstalteten fast 80 Pflegepersonen aus ganz Rheinland-Pfalz ein »Pflegetribunal« über die Gesundheitspolitik der Landesregierung. Neben vielen weiteren Kundgebungen und Demonstrationen stellten die ver.di-Aktiven auch etliche betriebliche Aktionen auf die Beine und untermauerten damit die Aussage des ver.di-Bundesvorstandsmitglieds Sylvia Bühler: »Wir werden keine Ruhe geben, bis sowohl die Gesundheit der Beschäftigten als auch die Versorgungsqualität gesichert sind.«

 

Hier kannst du dir noch einmal den Livestream zur Gesundheitsministerkonferenz 2021 vom 16. Juni anschauen.

 

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