DRG-System vollständig überwinden

Interview zu den Empfehlungen zur Krankenhausreform
13.12.2022


Im Dezember vergangenen Jahres hat die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zusammen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Empfehlungen für eine Krankenhausreform vorgestellt.

Wie schätzt ver.di diese ein? Ein Interview mit Grit Genster, Leiterin des Bereiches Gesundheitspolitik bei ver.di.

 
Das Papier der Regierungskommission Ziel ist eine Reform der Krankenhausvergütung

Eine Revolution bei der Finanzierung von Krankenhäusern und der Versorgung hat Karl Lauterbach versprochen. Bevor wir ins Detail zu den Empfehlungen gehen: Wie ist deine erste Einschätzung als ver.di-Expertin. Gehen die Pläne in die richtige Richtung?

Es stimmt, dass das Problem der Ökonomisierung der Krankenhausversorgung aufgrund des bisherigen Finanzierungssystems der Fallpauschalen die zentrale Ursache für die vorhandenen Defizite in den Krankenhäusern ist. Das benennt die Regierungskommission also richtig und auch der Bundesgesundheitsminister, Karl Lauterbach, hat in der Vergangenheit angekündigt, die Fehlentwicklungen des Fallpauschalen-Systems mit Hilfe neuer Vorschläge überwinden zu wollen.

Die Empfehlung, die die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungskommission und der Bundesgesundheitsminister jetzt präsentiert haben, können aber nicht als Revolution bezeichnet werden. Große Teile der Krankenhausversorgung sollen weiter durch DRGs, also Fallpauschalen, finanziert werden. Das heißt auch, dass die Fehlanreize grundsätzlich bestehen bleiben. ver.di lehnt diesen Vorschlag deshalb ab und fordert für den Bereich der gesundheitlichen Daseinsvorsorge die vollständige Abkehr vom DRG-System hin zu einer kostendeckenden Finanzierung. Voraussetzung ist, dass der Krankenhausbetrieb wirtschaftlich geführt wird und die Krankenhäuser alle für eine bedarfsgerechte Versorgung anfallenden Kosten nachweisen und entsprechend dem Zweck einsetzen.

Kannst du noch einmal kurz erklären, was das Problem der Finanzierung mit Hilfe von Fallpauschalen ist, die die Krankenhäuser bisher ausschließlich für ihre Leistungen bekommen?

In dem System der Fallpauschalen sind Fehlanreize angelegt: Es rechnet sich für Krankenhäuser, die Kosten für die tatsächliche Versorgung mit allen Mitteln möglichst gering zu halten. Das trifft das Personal besonders hart. Die Folgen sind seit 20 Jahren Tarifflucht, extreme Arbeitsverdichtung, überdurchschnittlich hohe Krankenquoten, Berufsflucht, akuter Personalmangel und enorme Schwierigkeiten, genügend Auszubildende für einen Beruf im Krankenhaus zu gewinnen. Die Pflege wurde 2020 aus dem System herausgelöst, um diese Berufsgruppe vor einem Kostendruck zu schützen. Wenn Kliniken Erlöse steigern wollen, setzen sie den Rotstift bei den Beschäftigten an, die nicht in der Pflege am Bett eingesetzt sind.

Außerdem wurden in der Vergangenheit besonders viele Fälle abgerechnet, die lohnend erscheinen, weil sie zum Beispiel wenig personalintensiv sind oder im Fallpauschalen-System mit einem vergleichsweise hohen Basisfallwert versehen sind. So lässt sich die Auslastung von Herzkathederlaboren oder orthopädischen Abteilungen gut planen, was für stabile Erlöse sorgt. Dagegen wurden insbesondere in der Kinderheilkunde und Geburtshilfe, Fachabteilungen mit einem hohen Personalaufwand, deren Auslastung schwieriger planbar ist, Betten abgebaut und Fachabteilungen geschlossen. Das System führt also bisher dazu, dass oft nicht der Versorgungsbedarf im Vordergrund steht, sondern die Leistungen, mit denen besonders gut Geld verdient werden kann.

 
ver.di-Forderung bedarfsgerechte Patientenversorgung

Künftig sollen Krankenhausversorgungsstufen bundeseinheitlich festgelegt werden. Wie steht ver.di zu diesem Vorschlag?

Der Vorschlag geht über die Krankenhausfinanzierung hinaus hin zu grundlegenden Fragen der Krankenhausplanung und -versorgungsstruktur. Grundsätzlich kann er zu einer bedarfsgerechten Patientenversorgung beitragen. Es ist sinnvoll, dass an die einzelnen Krankenhaus-Level Kriterien der Qualität mit Strukturvorgaben für Personal und Technik geknüpft werden.

Gleichzeitig sind die Länder verantwortlich für die Krankenhausplanung. In der Logik einer bedarfsgerechten Versorgung muss die Krankenhausfinanzierung den Ergebnissen der Krankenhausplanung folgen. Wenn künftig jedoch Krankenhaus-Level statisch darüber bestimmen, welche Leistungsgruppen und damit Finanzierungsgrundlagen für ein Krankenhaus gelten, kann die Gefahr einer Umkehr dieses Prinzips entstehen. Dann wäre die Versorgung nicht mehr am Bedarf ausgerichtet, sondern an der Frage, ob eine bestimmte Leistung vor Ort finanziert und erbracht werden soll. Die neuen Kriterien müssen deshalb sicherstellen, dass die Länder dabei eine hohe Versorgungsqualität gewährleisten und die Versorgungsbedarfe der Bürgerinnen und Bürger im ganzen Land sichergestellt werden. Ohne die Länder wird dieser Vorschlag daher nicht umzusetzen sein, sie sind folglich zwingend einzubeziehen.

Künftig sollen nichtärztliche, entsprechend qualifizierte Pflegefachpersonen Einrichtungen des Levels I, also der Grundversorgung, leiten können. Wie bewertet ver.di das?

Damit wird der dringend notwendigen Stärkung von Pflegeberufen Vorschub geleistet und die bisher sehr arztzentrierte Krankenversorgung aufgebrochen. Im ländlichen Raum können diese Krankenhäuser eine Rolle als zentraler Akteur in der Versorgung bei der Koordination der Leistungserbringer in einem regionalen Versorgungsnetz bekommen. Damit sie diese neue Rolle ausfüllen können, müssen die Krankenhäuser in den Landeskrankenhausplänen abgebildet und kostendeckende Finanzierung sichergestellt sein.

Die Kliniken der integrierten Versorgung sollen aus dem Fallpauschalen ausgenommen werden. Wie steht ver.di zu dem Vorschlag?

Das ist zunächst mal ein richtiger Schritt. Doch mit der Umstellung auf die Finanzierung durch Tagespauschalen soll auch das Pflegebudget für die Kliniken entfallen. Das birgt große Risiken. ver.di lehnt die Finanzierung durch degressive Tagespausschalen ab, weil die Beschäftigten damit wieder unter Kostendruck gesetzt werden. Eine Pauschalfinanzierung birgt immer den Anreiz, bei den Personalkosten zu sparen, mit den bekannten, fatalen Auswirkungen. Keinesfalls darf hier ein Einfallstor gebaut werden, das Private-Equity-Fonds als Träger kurzfristige Kapitalrenditen eröffnet. Deshalb sind auch in den Krankenhäusern, die integriert ambulant und stationär versorgen, Strukturvorgaben wesentlich.

 
ver.di-Forderung ausreichend Personal im Krankenaus

Den neuen Krankenhaus-Leveln sollen 128 Leistungsgruppen zugeordnet werden, was bedeutet das für die Versorgungsqualität und hat es Auswirkungen auf die Beschäftigten?

Grundsätzlich begrüßen wir, dass den neuen Krankenaus-Leveln ein System von Leistungsgruppen gegenübergestellt wird. Entscheidend dabei ist, dass zukünftig Vorgaben für die bedarfsgerechte Personalausstattung gemacht werden. Damit meinen wir alle Berufsgruppen im Krankenhaus, denn die Versorgung der Patientinnen und Patienten ist Teamarbeit.

Keinesfalls reicht es aus, wenn für die Pflege lediglich die Pflegepersonaluntergrenzen vorgegeben werden sollen. Obwohl sie lediglich eine „rote Linie“ nach unten ziehen, die nicht unterschritten werden soll, werden Schlupflöcher schon heute zu oft genutzt. Im Bereich der Pflege darf das neue System nicht hinter den gerade gesetzlich auf den Weg gebrachten Vorgaben für die Personalausstattung zurückbleiben, also hinter der PPR 2.0 und den dazugehörigen Instrumenten für die Kinderheilkunde und Intensivpflege. Bei der Entwicklung der genauen Vorgaben, deren Nachweisführung und Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung ist die Expertise von ver.di unbedingt zu beteiligen.

Die Kommission empfiehlt, künftig einen Teil der Krankenhausfinanzierung durch Vorhaltekosten sicherzustellen. Dagegen soll das DRG-System nicht ganz aufgegeben werden. Kann dieser Vorschlag zu einer bedarfsgerechten Versorgung beitragen und hilft es, den Kostendruck von den Beschäftigten zu nehmen?

Den neuen Finanzierungsvorschlag lehnen wir ab, weil er die bekannten Probleme der DRG-Finanzierung nicht löst. Außerdem wird das jetzige System der Krankenhausfinanzierung noch intransparenter, wenn neben das DRG-System, das weiterhin mindestens 60 Prozent der Finanzierung ausmachen soll, ein zweites System gestellt wird. Dann nimmt die Komplexität weiter zu.

Hinzu kommt: Es finden sich keine Belege für die Behauptung, dass für die Krankenhäuser Druck vorhanden sein muss, ihre Leistungen wirtschaftlich zu erbringen. Wir sind überzeugt davon, dass diese als wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge immer kostendeckend finanziert sein müssen, wenn sie für die Versorgung der Menschen gebraucht werden. Eine Revolution wäre die vollständige Abkehr vom DRG-System.

 
Grit Genster Leiterin des Bereiches Gesundheitspolitik

Das sind Empfehlungen, über die jetzt diskutiert wird. Wie geht es jetzt weiter und wie wird sich ver.di in den Prozess einbringen?

Reformen bei der Krankenhausfinanzierung und bei der Krankenhausplanung sind lange überfällig, deshalb ist es wichtig, dass die Diskussion jetzt im Rahmen eines Gesetzgebungsprozesses fortgeführt wird, der im nächsten Jahr sicherlich einige Monate in Anspruch nehmen wird.

Nicht zuletzt die Pandemie, aber auch die Energiekrise haben dazu geführt, dass bedarfsnotwendige Krankenhäuser und Fachabteilungen von Schließungen bedroht sind. Es darf nicht zu kalten Strukturbereinigungen kommen. Deshalb sind Krankenhäuser, die für die Versorgung der Menschen gebraucht werden, im ersten Schritt finanziell abzusichern. Das darf die Bundesregierung nicht auf die lange Bank schieben.

Es gilt aber auch: Ohne die Länder mit der Verantwortung für Planung und Sicherstellung der Versorgung wird es nicht gehen, deshalb müssen sie für einen Bund-Länder-Pakt, wie er im Koalitionsvertrag beschrieben ist, ins Boot geholt werden. Die Umsetzung der Pläne der Regierungskommission muss den Konzepten der Krankenhausplanung folgen, denn die Länder legen fest, wie die bedarfsnotwendige Infrastruktur aussieht. Der Bund muss die Finanzierung sicherstellen, doch ohne die Schließung der immensen Lücke bei den Investitionskosten vonseiten der Länder besteht das Problem der Unterfinanzierung weiter. Da müssen schnell Lösungen her.

Die zukünftige Rolle der Krankenhäuser muss sich an den Versorgungsbedarfen orientieren und kann regional unterschiedlich ausfallen. ver.di setzt sich für regional angepasste Konzepte ein, an deren Entwicklung wir als in den Krankenhäusern maßgebliche Gewerkschaft mit den betrieblichen Interessenvertretungen und dem DGB frühzeitig beteiligt werden müssen. Für die Beschäftigten muss ein Umbau das Versprechen auf gute Aus- und Arbeitsbedingungen einlösen und verlässliche Perspektiven bedeuten. Dafür setzt sich ver.di ein.

veröffentlicht am 13. Dezember 2022

 

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