Unikliniken NRW

»Ein riesiger Erfolg«

Nach 77 Tagen Streik haben die Beschäftigten der sechs Unikliniken in NRW einen Tarifvertrag Entlastung erkämpft.
22.09.2022
Katharina Wesenick Katharina Wesenick ist hauptamtliche Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft bei ver.di NRW.


mittendrin:
77 Tage mussten tausende Beschäftigte der sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken streiken, um einen Tarifvertrag Entlastung zu erreichen. Warum hat das so lange gedauert?

Katharina Wesenick: Dass Krankenhausbeschäftigte überhaupt dafür streiken müssen, Patient*innen mit einer angemessenen Personalbesetzung gut versorgen zu können, ist ein Unding. Das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht, deshalb haben die Kolleg*innen der Unikliniken in NRW es selbst in die Hand genommen, sich organisiert und einen Tarifvertrag für mehr Personal und Entlastung durchgesetzt. Dass wir das mit sechs Unikliniken in einem Flächentarifvertrag geschafft haben, ist ein weiterer Meilenstein der bundesweiten Bewegung für Entlastung. Das war durchaus ein Wagnis und hat die Verhandlungen verkompliziert, weil sowohl die Einstellung der Klinikleitungen als auch unsere gewerkschaftliche Stärke an den einzelnen Standorten unterschiedlich war. Es war aber auch richtig, denn wir wollen gleiche Beschäftigungsbedingungen an den Krankenhäusern.

Ihr musstet zum Teil erhebliche Widerstände überwinden.

Ja. Insbesondere in Bonn und Aachen haben die Klinikvorstände immer wieder versucht, ihren Beschäftigten Knüppel zwischen die Beine zu werfen. In Aachen hat  sich der Vorstand lange geweigert, eine Notdienstvereinbarung zu unterzeichnen, die neben der Notversorgung auch das Streikrecht garantiert. Zudem hat er versucht, den Auszubildenden ihr Streikrecht abzusprechen. Die Uniklinik Bonn klagte sogar durch zwei Instanzen, um den Streik zu verbieten. Dass Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft zu solchen Mitteln greifen, ist schon ein starkes Stück. Doch all das ist krachend gescheitert. Die Beschäftigten haben sich ihre Grundrechte nicht nehmen lassen. Das war eine tolle Erfahrung – hat aber auch jede Menge Zeit gekostet und den Tarifabschluss verzögert.

Die Kosten für das Pflegepersonal auf bettenführenden Stationen werden voll refinanziert, in anderen Bereichen nicht. Welche Rolle spielte das in dem Tarifkonflikt?

Eine große. Entlastung auch in den nicht-refinanzierten Bereichen durchzusetzen, erforderte eine extrem harte Auseinandersetzung. Wir mussten erst die Landesregierung dazu bewegen, die Übernahme der zusätzlichen Kosten verbindlich zuzusagen. Das haben wir durch die Ausdauer des Streiks und den politischen Druck geschafft. Dass die Politiker*innen wegen der Landtagswahl unter besonderer Beobachtung standen, hat sicher geholfen. Es ist ein riesiger Erfolg, dass künftig für fast die gesamte Pflege ein verbindlicher Personalschlüssel gilt – auch für Bereiche wie Notaufnahmen und Operationssäle, deren Personalkosten von den Krankenkassen nicht voll refinanziert werden. Wird künftig die vereinbarte Personalbesetzung sieben Mal unterschritten oder entstehen anderweitig belastende Situationen, gibt es jeweils einen zusätzlichen freien Tag als Belastungsausgleich.

Darüber hinaus haben wir für Kitas, Radiologie, Therapeut*innen und andere Berufsgruppen ebenfalls Mindestbesetzungen festgeschrieben, die allerdings nur im Jahresdurchschnitt erreicht werden müssen. Schmerzhaft ist, dass wir in Ambulanzen, Patiententransport und anderen Servicebereichen lediglich einen pauschalen Stellenaufbau von 30 Vollkräften pro Klinik durchsetzen konnten. Das ist viel zu wenig – insbesondere in Düsseldorf. Dort wurde aufgrund des erfolgreichen Widerstands der Belegschaft in der Vergangenheit deutlich weniger outgesourct.

 
Kämpfen statt kuscheln: Beschäftigte der NRW-Unikliniken im Streik

Ist das der Grund, warum die ver.di-Mitglieder in der Düsseldorfer Uniklinik das Ergebnis mehrheitlich abgelehnt haben?

Ja. Sie sind zu Recht enttäuscht, dass die Arbeitgeber für die Servicebereiche und die sogenannten pflegefernen Berufe so gemauert haben. Außerdem dauert es recht lange, bis die Sollbesetzungen und Belastungsausgleiche voll zum Tragen kommen. Insgesamt gibt es aber eine große Zustimmung zum Tarifvertrag: 73,58 Prozent der ver.di-Mitglieder an den sechs Kliniken haben sich bei der Urabstimmung für die Annahme des Ergebnisses ausgesprochen. Auf der Haben-Seite stehen die Nachwirkung des Vertrags und vor allem das Ergebnis für die Auszubildenden, für die wir nicht nur mehr Praxisanleitung, verlässliche Dienstplanung und eine Mindestquote von Lehrkräften festgeschrieben haben. Erstmals erhalten sie auch während der Ausbildung einen Ausgleich in Form von Selbstlerntagen, falls die Vorgaben nicht eingehalten werden.

Wie erklärst du dir die enorme Ausdauer der Streikenden?

Dieser Tarifvertrag ist nur dadurch möglich geworden, dass die streikenden ver.di-Mitglieder so extrem lange durchgehalten haben. Der Streik war bis zuletzt stabil. Die Basis dafür war die intensive Einbeziehung der Kolleg*innen von Beginn an: Die Forderungen wurden von den Stations- und Bereichsteams selbst entwickelt und beschlossen. Über ihre Delegierten waren sie in den Verhandlungsprozess kontinuierlich eingebunden. Sie haben selbst mitdiskutiert und mitentschieden, welche Kompromisse wir eingehen und welche nicht. Das erklärt die hohe Identifikation mit dem ganzen Kampf und dem Ergebnis.

Diese Erfahrung nehmen wir mit in künftige Auseinandersetzungen. Und die Erkenntnis, dass betriebliche Kämpfe den Druck auf die politischen Entscheidungsträger*innen erhöhen. Dass nun endlich ein – wenn auch noch unzureichender – Entwurf für ein Gesetz zur Personalbemessung vorliegt, ist nicht zuletzt durch die erfolgreichen Arbeitskämpfe für Entlastung in Berlin, NRW und anderswo zu erklären.

Interview: Daniel Behruzi

 

Frankfurt für Entlastung

Frankfurter Klinikbeschäftigte am 25. August im Warnstreik

Die Tarifbewegung für Entlastung nimmt auch an der Frankfurter Uniklinik Fahrt auf. Ende August beteiligten sich insgesamt mehr als 800 Beschäftigte an zwei Warnstreiktagen. »Das war ein starker Anfang«, bilanziert der ver.di-Verhandlungsführer Georg Schulze. »Wir werden jetzt weiter intensiv Gespräche mit den Teams führen, um die Bewegung noch zu verbreitern.« Denn bei den Verhandlungen betont die Klinikleitung zwar auch immer wieder, dass sie das Personal entlasten will. Doch in den konkreten Positionen ist man noch weit auseinander. Während die Teamdelegierten und die ver.di-Tarifkommission beispielsweise nach drei Überlastungssituationen einen zusätzlichen freien Tag fordern, bietet das Management diesen erst nach 20 unterbesetzten Schichten an. Der Krankenpfleger Eric Dittrich stellt sich daher auf eine längere Auseinandersetzung ein: »Geschenkt wird uns nichts – das ist klar. Aber wir sind absolut dazu bereit, für Entlastung zu kämpfen.«

t1p.de/frankfurt-entlastung

 

 

Uniklinik Mainz

Dr. Christian Elsner



»Ohne Entlastungstarifvertrag könnten wir nicht mehr Leistung bringen, sondern weniger. Wir haben dadurch mehr neue Mitarbeitende gewinnen können, als wir Tage verloren haben, die zusätzlich freigenommen wurden.«

Dr. Christian Elsner, kaufmännischer Vorstand an der Unimedizin Mainz, im Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 22. August 2022

 

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