Seit der Übernahme des Pflegeheimbetreibers Casa Reha 1998 durch die ECM Equity Capital Management GmbH wurden immer mehr Einrichtungen gekauft, verstärkt in den letzten drei bis vier Jahren mit einem vorläufigen Höhepunkt 2017. Diese Entwicklung betrifft sämtliche Versorgungsbereiche: Pflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste, Krankenhäuser, Rehakliniken sowie Arzt- und Zahnarztpraxen/Medizinische Versorgungszentren und Homecare-Unternehmen.
Das zeigt eine Auswertung aller öffentlich zugänglichen Informationen über den Kauf von Gesundheitseinrichtungen durch Private-Equity-Investoren (Stand: Dezember 2017), die im Februar 2018 erschienen ist.
Aufgrund der intransparenten Marktsituation, resultierend aus fehlenden Veröffentlichungspflichten, undurchsichtig verschachtelten Konzernstrukturen und sich in Steueroasen versteckenden Fonds, muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle Übernahmen identifiziert werden konnten.
Beachtet werden sollte außerdem, dass diese Bestandsaufnahme nur eine Momentaufnahme darstellt, da viele der Investoren erst am Anfang ihrer Akquisitionsphase stehen. Sowohl Ernst & Young als auch McKinsey & Company jubelten: »Finanzinvestoren kaufen 2017 so viele deutsche Unternehmen wie noch nie. ... 2018 könnte das Private-Equity-Jahr 2017 noch übertreffen« und »European healthcare – a golden opportunity for private equity.«
Insgesamt machen sich die verschiedensten Arten von Finanzinvestoren in der deutschen Wirtschaft immer breiter. Gesundheitseinrichtungen werden überwiegend von Private-Equity-Investoren übernommen. Dies sind Kapitalsammelstellen, die einzelne »Töpfe« (Fonds) einrichten, in das von Anlegern eingesammeltes Geld fließt, um damit andere Unternehmen zu kaufen.[4]
Private Equity wird übersetzt mit »privates Eigenkapital«. »Privat« ist auch in diesem Zusammenhang als Gegenteil von »öffentlich« zu verstehen, im Sinne von »nicht öffentlich an einer Börse handelbaren Unternehmensanteilen«.
Motivation von Private-Equity-Fonds ist die Aussicht auf die Steigerung des Wertes eines Unternehmens. Ihr Geschäftszweck besteht darin, ein übernommenes Unternehmen mit möglichst hohem Gewinn möglichst schnell wieder zu verkaufen. Ziel ist deshalb, strategische Entscheidungen beherrschen zu können, weshalb Minderheitsbeteiligungen selten sind. Das operative Geschäft kann beim vorherigen Management verbleiben, wird aber im Sinne der Zielerreichung von Managern des Private-Equity-Fonds »unterstützt«.
Unter dem Gesichtspunkt, dass Private-Equity-Investoren einen möglichst hohen Wiederveräußerungsgewinn anstreben, sollten Aussagen wie die des mehrheitlich in Besitz der Finanzinvestoren Carlyle Group und Quadriga Capital befindlichen Klinikkonzerns Ameos AG nicht überbewertet werden: »Bei Ameos werden weder Dividenden ausgeschüttet noch anderweitig Gewinne abgeführt. Damit verbleiben alle erwirtschafteten Überschüsse im Unternehmen ...«
Mit einbezogen in die Auswertung wurden sog. »Family Offices«. Dies sind Beteiligungsgesellschaften in Besitz von entsprechend wohlhabenden Einzelpersonen oder Familien, die eigenes Kapital investieren, aber genauso agieren können wie Private-Equity-Fondsgesellschaften, obwohl ihnen nachgesagt wird, langfristiger zu denken. Die luxemburgische Celox SA, die deutsche Droege Group, die belgische Verlinvest und die französische Mérieux Développement besitzen Gesundheitseinrichtungen in Deutschland.
Der niederländische Finanzinvestor Waterland Private Equity, dem in Deutschland neben etwa 10 Prozent aller Rehabetten (Median-Kliniken) auf Orthopädie spezialisierte Kliniken (Atos-Kliniken), Augenarztpraxen (ZG Zentrum Gesundheit), Pflegeheime und Pflegedienste (Schönes-Leben-Gruppe) sowie »Kinderwunschzentren« (VivaNeo) gehören, erklärt Buy and build folgendermaßen: »Nachdem eine erste Investition in ein ›Plattform-Unternehmen‹ erfolgt ist, unterstützt Waterland das Management aktiv bei der Umsetzung der zuvor vereinbarten Wachstums- und Konsolidierungsstrategie. Mithilfe einer aktiven und zielgerichteten ›Buy-and-build‹-Strategie werden ergänzende Zukäufe nacheinander in das Plattform-Unternehmen integriert, um den Investment-Cluster zu vergrößern und die Marktposition zu stärken.«
Im Klartext: Kaufen, was der Markt hergibt, fusionieren und auf Rendite trimmen, damit sich beim späteren Verkauf im Idealfall mehrere Interessenten gegenseitig überbieten.
Das liest sich in Selbstdarstellungen anderer Private-Equity-Gesellschaften ähnlich:
Die in Deutschland Gesundheitseinrichtungen kaufenden Private-Equity-Gesellschaften kommen bisher aus Großbritannien (12), Deutschland (11), den USA (6), Frankreich (3), den Niederlanden, Belgien, Schweden (jeweils 2), Luxemburg, der Schweiz und Jersey (jeweils 1).
Die zeitliche Entwicklung der Private-Equity-Aktivitäten kann über die Anzahl der Käufe pro Jahr veranschaulicht werden. In Tabelle 1 sind die insgesamt 186 identifizierten Käufe zusammengefasst.
Zur Einordnung: Nach Angaben von Ernst & Young wurden 2017 in Deutschland insgesamt 210 Käufe durch Private-Equity-Unternehmen getätigt.
Beachtet werden muss bei diesen Zahlen, dass es sich um die Anzahl der Käufe (»Deals«) handelt, nicht um die Anzahl gekaufter Einrichtungen. Eine Übernahme einzelner Einrichtungen kommt zwar vor, in der Regel sind es aber deutlich mehr. Die Anzahl betroffener Einrichtungen liegt also insgesamt wesentlich höher.
Bei Betrachtung der letzten drei Jahre fallen mit fast der Hälfte bzw. fast einem Drittel der Käufe zwei Interessenschwerpunkte auf (siehe Tabelle 2): Pflegeeinrichtungen/-dienste und Medizinische Versorgungszentren (inkl. übernommener Arzt- und Zahnarztpraxen, medizinischer Labore und der als MVZ-Trägergesellschaft gekauften Krankenhäuser).
Im Bereich der Gesundheitsversorgung in Deutschland wurden bisher erst 22 Exits bekannt, wobei Private-Equity-Fonds am häufigsten an andere Private-Equity-Gesellschaften verkauften (16 sog. »Secondary Buyouts«). Der Pflegeheimbetreiber Casa Reha ist von 1998 bis 2015 viermal verkauft worden (ECM Equity Capital Management – Advent International – HgCapital – Korian), die GHD GesundHeits GmbH Deutschland von 2007 bis 2014 dreimal (Equistone Partners Europe – IK Investment Partners – Nordic Capital) und der Pflegeheimbetreiber Alloheim zwischen 2008 und 2017 ebenfalls dreimal (Star Capital Partners – Carlyle Group – Nordic Capital).
Über ein »Ende der Nahrungskette« kann nur spekuliert werden. Öffentliche und freigemeinnützige Träger werden bei einem Bieterverfahren weder mithalten können noch wollen. Dasselbe dürfte für »kleine« private Träger gelten. Neben einem Börsengang kommen also vor allem die großen privaten deutschen oder internationalen Gesundheitskonzerne als Käufer infrage.
Die durchschnittliche Haltedauer (Zeitraum zwischen Kauf und Verkauf) scheint mit etwa 5,4 Jahren etwas länger zu sein als der Durchschnitt in Deutschland insgesamt. Der »Private Equity Exit-Report Januar 2004 bis April 2017« von PricewaterhouseCoopers nennt für die ab 2007 in Deutschland getätigten Investitionen im Bereich »Healthcare & Pharma« 4,0 Jahre, für alle Branchen 3,9 Jahre.
Gravierend ist die 2011 mit der Übernahme der RHM Kliniken und Pflegeheime begonnene Bildung des größten privaten Rehakonzerns Median-Kliniken durch Waterland Private Equity.
Median beschreibt sich Ende 2017 selbst als »größten privaten Betreiber von Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland – mit 18.000 Betten und Behandlungsplätzen. ... mit insgesamt 123 Rehabilitationskliniken, Akutkrankenhäusern, Therapiezentren, Ambulanzen und Wiedereingliederungseinrichtungen. ... Die ca. 15.000 Beschäftigten der Gruppe behandeln und betreuen jährlich etwa 230.000 Patienten und Bewohner in 14 Bundesländern.«
Die angegebene Bettenzahl entspricht 10,9 Prozent aller Rehabetten in Deutschland. Zum Vergleich: Die Helios-Kliniken GmbH besitzt als größter privater Krankenhauskonzern etwa 5,9 Prozent aller Krankenhausbetten. Um auf einen ähnlichen Bettenanteil zu kommen, müsste Helios mit den beiden nächstgrößeren Krankenhauskonzernen Asklepios und Sana fusionieren.
MVZ sind, wie Arztpraxen, Einrichtungen der ambulanten medizinischen Versorgung. Sie wurden 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung definiert und ihre Einführung mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz beschlossen. Damit wurden einerseits neue Beschäftigungsmöglichkeiten für ÄrztInnen im Angestelltenverhältnis geschaffen, die auf eine große Nachfrage stießen. Andererseits begann damit eine vorher nicht mögliche Konzern-Bildung.
2011 stellte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung »Mittelabflüsse an private, rein gewinnorientierte Organisationen« fest und bemerkte, dass medizinische Entscheidungen von Kapitalinteressen beeinflusst werden könnten. Sie bezeichnete dies als »Gefahr«.
Diese Gefahr wollte der Gesetzgeber mit dem 2012 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstrukturgesetz eindämmen, indem Investoren, die allein Kapitalinteressen verfolgen, von der MVZ-Gründung ausgeschlossen werden sollten: »Die Zulassungsregelungen für Medizinische Versorgungszentren (MVZ) werden modifiziert mit dem Ziel, die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen zu sichern. Hierzu gehört insbesondere die Beschränkung der MVZ-Gründungsberechtigung auf Vertragsärzte und Krankenhäuser mit Ausnahmeregelung aus Versorgungsgründen für gemeinnützige Trägerorganisationen.«
Damit blieb die naheliegendste Möglichkeit, die es allen Interessierten, also auch Private-Equity-Fonds, weiterhin erlaubte, MVZ zu gründen: »Dann kauf’ ich mir ein Krankenhaus«. Seitdem wurden 18 Krankenhausübernahmen bekannt, die getätigt wurden, um in Besitz einer MVZ-Trägergesellschaft zu gelangen. Davon gingen 11 Häuser an Private-Equity-Investoren.
Durch Ausnutzen dieses und weiterer Schlupflöcher konnten Private-Equity-Gesellschaften inzwischen zahlreiche Arztpraxen übernehmen und in MVZ umwandeln oder MVZ kaufen. Da aber weder die MVZ-Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung noch die Zahnarzt-MVZ-Statistik der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung die wahren Besitzer veröffentlicht, kann die Anzahl nur grob auf etwa 300 geschätzt werden, davon etwa 25 Zahnarzt-MVZ (von insgesamt rund 2.500 MVZ und etwa 300 Zahnarzt-MVZ).
Die ambulante Intensivpflege versorgt schwerstpflegebedürftige PatientInnen außerhalb von Kliniken in Form einer 1:1-Betreuung zuhause oder personalsparender in dafür angemieteten oder gekauften Räumlichkeiten, den sog. Intensiv- oder Beatmungs-Wohngemeinschaften.
Die vorwiegend von spezialisierten Pflegeunternehmen durchgeführten Betreuungsleistungen bilden einen kleinen, aber stark wachsenden Bereich. In diesem sehr kleinteiligen Markt mit zahlreichen Pflegediensten, die mit wenigen Beschäftigten nur einzelne PatientInnen betreuen, muss davon ausgegangen werden, dass sich die meisten großen, überregional tätigen privaten Intensivpflegedienste in Besitz von Private-Equity-Investoren befinden:
In diesem ebenfalls sehr kleinteiligen und ebenfalls stark wachsenden Segment lag der Private-Equity-Anteil Ende 2017 bei etwa 5 Prozent der rund 930.000 Pflegeheimplätze. Vor allem aufgrund sich in den letzten Jahren erstmals engagierender Private-Equity-Investoren ist zu erwarten, dass ihr Anteil auch weiterhin stark steigen wird:
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