Herzlich willkommen

Saarlands Uniklinikum wirbt Pflegekräfte aus Mexiko an. Das Beispiel von Carlos T. zeigt, wie daraus eine Erfolgsgeschichte wird.
17.09.2024

von Kathrin Hedtke 

Auf der Intensivstation tritt Carlos T. ruhig neben das Krankenbett und prüft auf dem Überwachungsmonitor, ob die Werte des Patienten in Ordnung sind: Blutdruck, Herzschlag, Sauerstoff. Freundlich erklärt der Krankenpfleger ganz genau, was er macht: Wie er eine Blutgasanalyse durchführt, wie er die Magensonde kontrolliert und wie die Dialysemaschine funktioniert – die vielen Fachbegriffe kommen dem Mexikaner leicht über die Lippen, in perfektem Deutsch. »Ich habe sehr, sehr viel gelernt«, sagt der 32-Jährige. Schwerer fällt ihm mitunter, den saarländischen Dialekt seiner Kolleginnen zu verstehen. Zwar geben sich alle im Team große Mühe, hochdeutsch zu sprechen, doch immer wieder mischt sich ein »eijo« oder »hann« in ihre Sätze. »Puh«, Carlos T. lacht: »Aber jetzt geht es schon viel besser.«

Der junge Mann hat vor zweieinhalb Jahren seine Heimat verlassen, um in Deutschland als Pflegefachkraft zu arbeiten. Insgesamt hat das Universitätsklinikum des Saarlandes gemeinsam mit der Städtischen Klinik Saarbrücken in den vergangenen vier Jahren über 100 Fachkräfte aus Mexiko angeworben. Aktuell läuft die vierte Runde des Programms. »Eine Erfolgsgeschichte, zumindest auf unserer Station«, sagt die Leitung der Interdisziplinären Operativen Intensivstation, Anja D.. Mit Blick auf den Fachkräftemangel ist sie überzeugt, dass es ohne Pflegekräfte aus dem Ausland nicht geht. Allerdings nur als ein Baustein. Die neuen Kolleginnen und Kollegen bräuchten besondere Unterstützung, vor allem am Anfang. »Das ist kein Selbstläufer«, betont die Leiterin. »Studium, Sprache – und fertig, so leicht ist es nicht. Das ganze Team ist maximal gefragt.«

 
Wie wollten wir empfangen werden? Stationsleiterin Anja D. hat sich vorher viele Gedanken gemacht.

Deshalb haben sie sich auf der Interdisziplinären Intensivstation vorher gut überlegt: Wie wollten wir empfangen werden? Und was für Unterstützung könnten wir gebrauchen? »Das muss man sich einfach mal für sich selbst vorstellen«, findet Anja D.. »In einem fremden Land, mit einer fremden Sprache, weit weg von der Familie.« Carlos T. nickt. Zusammen mit einer Kollegin kamen sie zu zweit auf die Station. Obwohl er in Mexiko bereits ein Jahr lang Deutsch gelernt hatte, verstand er zunächst wenig, wusste nicht, wie alles funktioniert – und traute sich kaum nachzufragen. Vorher habe er gehört, dass die Deutschen nicht viel Geduld hätten. »Ich hatte große Angst, etwas falsch zu machen.« Nach der Arbeit ging er wie gelähmt nach Hause, mit Kopfschmerzen. »Ich habe mich jeden Tag gefragt: Schaffe ich das? Jeden Tag!« Immer noch habe er viel Heimweh. »Ich vermisse meine Familie und mein Land.« Aber er habe auch schnell gemerkt, wie nett alle zu ihm sind. Die Stationsleiterin besorgte für ihn zum Beispiel eine gebrauchte Waschmaschine, brachte sie vor der Frühschicht mit dem Auto vorbei, die Kollegen der Nachtschicht halfen beim Ausladen. »Das hat enorm gutgetan«, sagt Carlos T.. Seine Chefin findet: »Das ist Team.«

 
Am Anfang sind feste Bezugspersonen sehr hilfreich.

In Mexiko hat der junge Mann nach dem Pflegestudium bereits vier Jahre in einem Krankenhaus als OP-Pfleger gearbeitet. »Dort ist alles ganz anders.« Die Angehörigen helfen zum Beispiel bei der Pflege, bringen Essen vorbei und kümmern sich um die Wäsche. Im öffentlichen Krankenhaus in Puebla hangelte sich Carlos T. von einem Vertrag zum nächsten – und benötigte zwei Jobs, um über die Runden zu kommen. »Das ist hier besser.« Immerhin kann er jeden Monat seiner Familie etwas Geld schicken. Alle Pflegekräfte aus dem Ausland absolvieren in Deutschland zunächst ein Jahr lang einen Sprachintensivkurs und anschließend eine Anerkennungsprüfung. Sehr hilfreich war für Carlos T., dass auf seiner Station feste Bezugspersonen für die Praxisanleitung verantwortlich sind. »Hut ab, in was für einer kurzen Zeit er Deutsch gelernt hat«, lobt Mentorin Ina F.. Der Kollege sei sehr fleißig. Und man merke sofort, wie viel Spaß ihm die Arbeit macht. »Er bringt so viel Freude rein. Das tut dem Team gut.«

 
Zum Glück gibt es Anna!

Doch für die neuen Pflegekräfte ist es nicht damit getan: Sie müssen eine Wohnung suchen, einen Freundeskreis aufbauen, allerhand Behördenkram erledigen, und, und, und. Auf der Interdisziplinären Intensivstation hat deshalb Anna Elbert kurzerhand für den neuen Kollegen eine Patenschaft übernommen, so nennt sie es. »Das hat sich so ergeben«, sagt die Pflegekraft, zuckt mit den Schultern und lächelt übers ganze Gesicht. Die 34-Jährige ist bei der ver.di-Betriebsgruppe aktiv, im Personalrat und in der Arbeitskammer, kurzum: Sie ist top vernetzt und kennt sich bestens aus. Sie half Carlos T. unter anderem, seinen Wohnsitz anzumelden, Urkunden anerkennen zu lassen oder die Steuer zu regeln. Auch als er holterdipolter aus dem Wohnheim ausziehen musste, konnte er auf sie zählen. Wie sollte er so schnell eine neue Wohnung finden? Sein Arbeitsvertrag lief nur sechs Monate, daran geknüpft war seine Aufenthaltsgenehmigung, auch das Gehalt war nicht üppig. »Gott sei Dank gab es Anna«, betont er. »Sie hat mir viel, viel, viel geholfen.« Und auch Anna Elbert ist glücklich, dass der mexikanische Kollege jetzt zum Team gehört. Sie betont, dass ausländische Pflegekräfte nicht die Lösung des Fachkräftemangels sind. »Sie dürfen nicht dafür benutzt werden, unsere Löcher zu stopfen.« Vielmehr müssten die Arbeitsbedingungen attraktiver werden. In der Tarifrunde der Länder zog sie gemeinsam mit dem mexikanischen Kollegen über den Campus, beide waren als ver.di-Tarifbotschafter im Einsatz. Worum geht es in der Tarifrunde? Wie funktioniert Gewerkschaftsarbeit? Und wofür streiken wir? Mit seinem Smartphone hat Carlos T. viele Erklärvideos auf Spanisch aufgenommen und auf Facebook & Co gepostet. »Das kam super an«, sagt Anna Elbert. Viele Pflegekräfte aus Mexiko sind in ver.di eingetreten. Auf der Kundgebung in Homburg streckten sie Plakate auf Spanisch in die Luft.

 

Zusammen mit seiner mexikanischen Kollegin absolviert Carlos T. aktuell berufsbegleitend eine zweijährige Weiterbildung für Anästhesie und Intensivpflege. »Wir sind richtig stolz«, sagt Stationsleiterin Anja D. und strahlt. »Unsere ersten beiden Mitarbeiter aus Mexiko. Und es läuft so gut.« Leider ist das nicht überall so. Nicht alle fühlten sich auf ihren Stationen willkommen, berichtet Carlos T.. Und nicht überall würden sie als gleichwertig im Team angesehen. »Viele haben nicht so viel Glück wie ich. Ich weiß immer, wo ich hingehen kann, wenn ich Probleme habe.« Sein Wissen gibt er an seine Community weiter. Ob es um Steuererklärung, Rentenansprüche oder Arbeitsverträge geht: »Sie kommen mit ihren Fragen zu mir – und ich gehe zu Anna.« Carlos T. lacht. Vorher hätten ihn viele gewarnt, dass die Menschen in Deutschland kalt seien. »Aber das ist falsch. Sie sind ganz, ganz nett.«

 

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