Der von der neuen Bundesregierung angekündigte Pflegebonus sorgt für Debatten und viele Fragen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat erklärt, dass »vor allem Pflegekräfte, die in der Pandemie besonders belastet waren«, die Prämie erhalten sollen. Was meint ver.di dazu?
Zunächst einmal freuen wir uns, wenn die extreme Belastung und die herausragenden Leistungen der Beschäftigten finanziell gewürdigt werden. Wichtig ist aber, dass alle im Gesundheitswesen einen solchen Bonus bekommen. Und wenn er in unterschiedlichen Höhen gezahlt werden sollte, muss die Politik das festlegen und dafür nachvollziehbare Kriterien finden. Die Pandemie verlangt ja nicht nur den Pflegepersonen auf den Intensivstationen oder auf Corona-Stationen extrem viel ab. Was ist mit den Kolleg*innen im Reinigungsdienst auf diesen Stationen? Auch die ganzen Schutzmaßnahmen im Altenheim sind ein enormer Mehraufwand und immer läuft die Angst mit, eine Bewohnerin anzustecken. Oder in der Behindertenhilfe. Hier fällt für die Menschen mit Behinderung oft die ganze Tagesstruktur weg und es muss mit wenig Personal vieles anders organisiert und aufgefangen werden. Die Pandemie verlangt allen Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen viel ab – in der Pflege, aber eben auch in den anderen Berufsgruppen. Deshalb plädieren wir dafür, dass sie alle eine Prämie erhalten.
Dafür dürften die vorgesehenen eine Milliarde Euro kaum reichen.
Das stimmt, bei den Einzelnen käme dann nur wenig an. Deshalb darf die Summe gerne noch mal kräftig aufgestockt werden. Die neue Bundesregierung sollte nicht die Fehler ihrer Vorgängerin wiederholen. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Verteilung der unzureichenden Prämie an Beschäftigte in Krankenhäusern den Einrichtungen überlassen. Die betrieblichen Interessenvertretungen hunderttausender Klinikbeschäftigter machten daraufhin in einem offenen Brief deutlich, dass sie daran nicht mitwirken wollen. Noch heute wirkt in manchen Kliniken die Unruhe nach. Das muss dieses Mal anders laufen. Die Bundesregierung muss klare Kriterien festlegen, wie die Prämie verteilt wird.
Lauterbach begründet den Bonus unter anderem damit, dass Beschäftigte »teilweise bei der Pflege ihrer Patientinnen und Patienten ins persönliche Risiko gegangen sind«.
Das ist so, aber auch dies gilt nicht ausschließlich für die Kolleg*innen auf den Corona-Stationen der Krankenhäuser. Auch zum Beispiel in der Arbeit mit behinderten Menschen und in der Altenpflege ist es unmöglich, Abstand zu halten. Oder die Kolleg*innen im Rettungsdienst, die immer als erste am Ort des Geschehens sind und nie wissen, was auf sie zukommt. Schon vor der Pandemie haben die Beschäftigten im Gesundheitswesen vollen Einsatz gezeigt, um unter schwierigen Bedingungen die Versorgung zu sichern. Die Corona-Pandemie hat die Situation weiter verschärft.
Machen Prämien die Arbeit im Gesundheitswesen attraktiver?
Um die Arbeit im Gesundheitswesen und der Altenpflege attraktiver zu machen, braucht es mehr Personal und eine flächendeckend gute Bezahlung. Insbesondere bei kommerziellen Pflegeunternehmen ist das meist nicht der Fall. Prämien können die dringend erforderlichen besseren Arbeitsbedingungen niemals ersetzen.
Was schlägt ver.di vor, um die Situation zu verbessern?
Für die ambulante und stationäre Pflege plädieren wir in der neu eingerichteten Mindestlohnkommission für eine deutliche Erhöhung des Pflegemindestlohns. Wir sind gespannt auf die Positionierung der Arbeitgeber von Caritas und Diakonie, schließlich haben sie flächendeckende tarifliche Mindeststandards für die Altenpflege torpediert. Und in allen Bereichen sind bedarfsgerechte Personalvorgaben nötig, die eine gute Versorgung ermöglichen und die Gesundheit der Beschäftigten schützen. Für die Krankenhauspflege sollte die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Deutschen Pflegerat und ver.di vorgelegte Personalbemessung, die PPR 2.0, baldmöglichst verbindlich auf den Weg gebracht werden – so, wie SPD, Grüne und FPD es im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Hätten solche langfristig wirkenden Reformen Auswirkungen auf die akute Situation?
Die Beschäftigten erwarten gerade jetzt in der Pandemie, dass die richtigen Lehren gezogen und Maßnahmen ergriffen werden, um die strukturellen Probleme endlich zu lösen. Das wäre ein wichtiges Signal an die vielen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeitszeit wegen der hohen Belastung reduziert oder ihren Beruf ganz aufgegeben haben. So könnten die dringend benötigten Arbeitskräfte gewonnen und gehalten werden.
Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik
030/6956-1810
grit.genster@verdi.de