Wenn Achim Berger* früher OP-Masken bestellte, kosteten diese etwa vier Cent. »Früher«, das ist nur wenige Wochen her, vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Heute muss das westdeutsche Universitätsklinikum, für das Berger einkauft, 60 Cent pro OP-Maske bezahlen. Für jede Atemschutzmaske (FFP2 bzw. FFP3) muss die Klinik – deren Namen wir nicht nennen, um ihr den Erwerb von Schutzausrüstung am Markt nicht noch schwerer zu machen – mehr als sechs Euro aufwenden. Noch vor kurzem waren es 88 Cent. »Viele Anbieter versuchen, mit der Krise Reibach zu machen. Das finde ich unglaublich«, sagt Berger. Er bekomme ständig Anrufe von Menschen, die ihm Schutzausrüstung anbieten, weil sie angeblich »Gutes tun« wollten und »gute Kontakte« nach Ostasien hätten. Zu völlig überhöhten Preisen, versteht sich.
»Man soll die Ware bestellen und im Voraus bezahlen, ohne überprüfen zu können, ob sie überhaupt den geforderten Qualitätsstandards entspricht«, berichtet Berger. »Zertifikate« gebe es jede Menge, doch darauf sei kein Verlass. »Es gibt viele unseriöse Anbieter, die jetzt Telefonakquise betreiben – irgendwer wird in seiner Not schon darauf hereinfallen«, sagt er. Es sei schon erstaunlich, dass manche Werbemittelfirmen nun über klinische Schutzausrüstung verfügen wollen – während die Läger seriöser Anbieter leergeräumt sind, mit denen das Klinikum lange zusammenarbeitet und die zum Teil selbst Fertigungsstätten in China haben.
Für die Angestellten im Einkauf, aber auch in der Buchhaltung, im Transportdienst und in viele anderen Bereichen bedeute die aktuelle Situation extremen Stress. »Zu Recht wird viel über die Pflege geredet. Aber auch alle anderen Beschäftigten im Krankenhaus sind derzeit stark gefordert«, betont der 60-Jährige. »Wir müssen jetzt zusammenhalten. Es muss Schluss sein mit der Profitorientierung im Gesundheitswesen. Dafür muss die Politik jetzt und nach der Krise sorgen.«
Laut Krankenhausentlastungsgesetz, das die Kliniken im Kampf gegen die Pandemie finanziell unterstützen soll, sind einmalig für den gesamten stationären Aufenthalt 50 Euro pro Patient*in für zusätzliche Materialkosten vorgesehen. Dies gilt zunächst von Anfang April bis Ende Juni. Die Materialkosten, die Krankenhäuser wegen des Coronavirus tatsächlich aufwenden müssen, sind schwer zu kalkulieren. Denn noch ist offen, wie schwer Covid-19-Patient*innen im Durchschnitt erkranken und wie das Zahlenverhältnis von Patient*innen mit und ohne Beatmung sein wird. Auch ist unklar, wie lang an Covid-19 erkrankte Personen durchschnittlich im Krankenhaus liegen werden. Es wird von einer Spanne zwischen zwei und sechs Wochen ausgegangen. Zwar wird die Pauschale für jeden »Fall« bezahlt, also auch für nicht infizierte Patient*innen. Doch auch bei diese wird durch die Pandemie zusätzlicher Schutzaufwand nötig, um sie vor einer Ansteckung zu bewahren.
Die persönliche Schutzausrüstung bei der Behandlung von Covid-19-Patient*innen besteht laut Empfehlungen des Robert Koch-Instituts aus einem Schutzkittel, Einweghandschuhen, einer dicht anliegenden Atemschutzmaske sowie einer Schutzbrille. Was davon bei einer Einzelzimmerisolierung mehrfach verwendet werden kann, ist in den Kliniken zum Teil unterschiedlich geregelt. Auf der Intensivstation im Dreischichtbetrieb brauchen bei einer Eins-zu-eins-Betreuung drei Pflegekräfte pro Tag und Covid-19-Patient*in jeweils eine umfangreiche Schutzausrüstung. Hinzu kommen Ärzt*innen und Therapeut*innen.
Vor diesem Hintergrund heißt es in einer internen Berechnung der nordrhein-westfälischen Krankenhausgesellschaft: »In Anbetracht der dynamischen Preisentwicklung ist der Betrag von 50 Euro keinesfalls geeignet, auch nur einen einzigen Behandlungstag auf der Intensivstation zu finanzieren. Selbst auf Normalstationen würden die täglichen Kosten für die dringend notwendige Schutzausrüstung zur Versorgung eines Covid-19-Patienten den Betrag von 50 Euro vermutlich übersteigen.« Auch der Einkäufer Achim Berger ist sich sicher, dass er mit den 50 Euro pro Patient*in nicht weit kommt. »Zu den alten Preisen wäre man damit hingekommen, aber jetzt reicht das vorne und hinten nicht.« Es sei denn, die Wucherpreise würden vom Staat unterbunden.
Genau das fordert Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. »Wenn Anbieter von Schutzausrüstung diese lebensrettenden Produkte zu völlig überhöhten Preisen anbieten, müssen diese von der Bundesregierung beschlagnahmt und zügig verteilt werden«, so die Gewerkschafterin. »Das freie Spiel der Marktkräfte richtet hier einen ungeheuren Schaden an. Wir alle bezahlen dafür die Rechnung – manche sogar mit ihrem Leben. Das darf die Gesellschaft, das darf der Staat nicht zulassen.« Zudem müssten gewerbliche Firmen, die dazu technisch in der Lage seien, zur Umstellung der Produktion auf Schutzanzüge, Mundschutz und Desinfektionsmittel verpflichtet werden, erklärt Bühler. »Es empört mich total, wenn ich sehe, dass Unternehmen in der Krise Phantasiepreise verlangen und Extraprofite einfahren wollen. Dieses unmoralische Spiel mit Menschenleben muss schleunigst unterbunden werden.«
Daniel Behruzi
*Name von der Redaktion geändert.
ver.di Bundesverwaltung