COVID-19

Weltweite Konflikte in Corona-Zeiten

Ob in Frankreich oder den USA, in Israel oder Simbabwe – international streiten Gesundheitsbeschäftigte während der Pandemie für Gesundheitsschutz, Aufwertung und mehr Personal.
04.09.2020
Aktionstag von Pflegekräften am 5. August 2020 in den USA.

Zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli 2020 donnerten wie jedes Jahr die Kampfjets in blau, weiß und rot über Paris. Doch dieses Mal wurden nicht nur Militärangehörige geehrt, sondern auch Pflegekräfte und Ärzt*innen. Diese hätten während der Pandemie »an vorderster Front« gekämpft und dafür einen Orden verdient, so Präsident Emmanuel Macron in gewohnt kriegerischer Diktion. Doch nicht alle der Geehrten waren davon begeistert. »Diese Medaille wollen wir nicht, das ist geradezu eine Provokation«, wird die CGT-Gewerkschafterin Céline Philippard von der taz zitiert, die auf einer geriatrischen Station im Norden von Paris arbeitet. Sie und viele andere wollen nicht nur gelobt werden, sondern fordern bessere Bedingungen und eine angemessene Bezahlung. Dafür gehen Gesundheitsbeschäftigte derzeit etlichen Ländern auf die Straße.

Einen Monat vor der großen Parade, am 16. Juni 2020, zogen zehntausende Beschäftigte öffentlicher Gesundheitseinrichtungen durch Paris und andere französische Städte. Ihre Forderungen: Lohnerhöhungen, mehr Geld für die Krankenhäuser und Schluss mit dem Bettenabbau. »Das öffentliche Gesundheitssystem ist krank, und das seit sehr Langem, seitdem die Finanzierung neu organisiert wurde«, stellte der Arzt Pierre Etien Leblanc in dem genannten taz-Artikel fest, der auf einer Intensivstation im Süden von Paris arbeitet. Die Regierungen der vergangenen Jahre hätten nur ein Ziel gehabt: die Kosten zu senken. »Jetzt will die Staatsführung weitermachen wie vor der Corona-Krise, als wenn nichts gewesen wäre.«

Erste Zugeständnisse haben die Proteste in Frankreich bereits bewirkt. So unterzeichnete die Regierung eine Vereinbarung mit einigen Gewerkschaften, die zusätzliche Ausgaben von 8,1 Milliarden Euro für das Gesundheitswesen vorsieht. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums steigen die Gehälter der Pflegekräfte dadurch »um 225 Euro netto im Monat«. Doch damit sind längst nicht alle zufrieden. Die Vereinigung junger Ärzte, die Gewerkschaft CGT und andere wollen im September zu weiteren Demonstrationen aufrufen, um gegen die hohe Arbeitsbelastung zu protestieren (nach Redaktionsschluss).

 

Streiks in Israel und Simbabwe

Proteste gibt es auch in Israel, wo Pflegekräfte und Ärzt*innen im Juli in einen landesweiten Streik traten. Zuvor waren Verhandlungen mit dem Finanzministerium über bessere Arbeitsbedingungen gescheitert. Die Notfallversorgung von Covid-19-Patient*innen sollte während des Ausstands gewährleistet bleiben. Auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind in Israel schon seit Wochen im Arbeitskampf. Ebenfalls mit Streik drohten Ende August die Beschäftigten der öffentlichen Labore. Sie fordern eine verbindliche Vereinbarung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Zudem wollen sie dauerhaft verhindern, dass die Labore – die in der Pandemiebekämpfung eine zentrale Rolle spielen – privatisiert werden.

Ein heftiger Arbeitskampf läuft derzeit auch in den Krankenhäusern von Simbabwe. Seit Wochen streiken die dortigen Pflegekräfte dafür, dass ihnen in der Pandemie genug Schutzmaterial zur Verfügung gestellt wird. Zudem fordern sie die Zahlung ausstehender Corona-Zulagen und die Auszahlung der Löhne in US-Dollar. Angesichts einer Inflationsrate von 1000 Prozent sind die Gehälter im öffentlichen Dienst nahezu wertlos geworden. Statt ernsthafte Angebote zu machen, setzt die Regierung auf Einschüchterung: Im Juli wurden 13 streikende Krankenpflegerinnen in der Hauptstadt Harare vorübergehend festgenommen und dann aus ihrem Job entlassen. Die Internationale der öffentlichen Dienste (PSI), der auch ver.di angeschlossen ist, hat zusammen mit der Internet-Plattform »LabourStart« eine Unterschriftenkampagne zur Solidarität mit den Betroffenen initiiert.

 
Krankenpflegerin vor dem Methodist Hospital of Sacramento am 5. August 2020

US-Pflegekräfte streiten für Entlastung

In den USA – wo sich die Corona-Pandemie auch wegen der Inaktivität der Trump-Regierung weiter rasch ausbreitet – fordern Pflegekräfte ebenfalls mehr Schutz. Am 5. August 2020 mobilisierte die Organisation »National Nurses United« (NNU) zu mehr als 200 Aktionen innerhalb und außerhalb der Betriebe. »Pflegekräfte wissen, dass die ungezügelte soziale, ökonomische und ethnische Ungerechtigkeit von jeher unsere Patient*innen tötet. Covid-19 zwingt uns als Gesellschaft nur dazu, diesen Problemen ins Auge zu sehen«, sagte die Krankenschwester und NNU-Vorsitzende Bonnie Castillo. »Die neuen Corona-Wellen, unkontrollierten Infektionen und Todesfälle, das Versagen der Arbeitgeber, die Gesundheit der Pflegekräfte und anderer Beschäftigter zu schützen, die empörend hohen Raten von Erwerbslosigkeit und Hunger, das totalitäre Durchgreifen gegen Demonstrant*innen – jede Krise, die wir aktuell erleben, kann auf die Ursache zurückgeführt werden, dass menschliches Leben weniger wertgeschätzt wird als der Profit.«

In vielen Krankenhäusern der USA haben die Gewerkschaften ihre Aktivitäten im Zuge der Corona-Pandemie verstärkt. So stimmten an der Universitätsklinik Illinois am 19. August 2020 rund 1.000 Pflegekräfte für einen Streik. Sie fordern einen Tarifvertrag für Entlastung und mehr Personal, der die zu betreuenden Patient*innen pro Pflegekraft begrenzt. »Wir wollen, dass das Management die Pflegekräfte ernst nimmt«, erklärte Alice J. Johnson von der örtlichen Gewerkschaft. Die geforderte Vereinbarung werde dazu beitragen, Leben zu retten.

In den betrieblichen Konflikten geht es meist auch um mangelnde Schutzausrüstung. Dagegen protestierten beispielsweise auch die Beschäftigten des Unternehmens »HCA Healthcare«, das unter anderem sechs Krankenhäuser im US-Bundesstaat North Carolina betreibt. Nach Gewerkschaftsangaben hat der finanzkräftige Konzern seit Beginn der Pandemie Staatshilfen von insgesamt etwa einer Milliarde Dollar (840 Millionen Euro) kassiert. »Wenn sie so viel Geld bekommen und ihren Beschäftigten dennoch weiterhin nicht genug Schutzmaterial zur Verfügung stellen, zu wenig Personal einsetzen und keine ordentliche Fortbildung für den Umgang mit Covid-19 anbieten, dann ist das widerlich«, kritisierte die Krankenpflegerin Sarah Kuhl in der Zeitung Citizen Times.

In demselben Konzern, am Riverside Community Hospital im Südosten Kaliforniens, organisierte die Gewerkschaft SEIU-HWU im Juni eine zehntägige Arbeitsniederlegung für Entlastung und mehr Personal. Ende August reichten drei SEIU-Aktivist*innen erstmals Klage gegen das Unternehmen ein, weil es Beschäftigte trotz Corona-Symptomatik und ohne adäquate Schutzausrüstung eingesetzt habe. Damit habe es »die Ausbreitung des Coronavirus rücksichtslos in Kauf genommen«.

Rücksichts- und Verantwortungslos gehen die kommerziellen Gesundheitskonzerne in den USA auch sonst mit der Situation um. Viele Krankenhäuser haben Beschäftigte beurlaubt oder gar entlassen, weil ihre Einnahmen wegen der Verschiebung planbarer Operationen zurückgegangen sind. Und das in einer Situation, in der die Zahl der Infektionen die Marke von sechs Millionen überschritten hat (Stand vom 31. August 2020). Mehr als 183.000 Menschen sind dort bislang an Covid-19 gestorben, darunter viele Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen.

 

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