Dialyse

»Die Dialyse wird permanent vergessen«

Die Corona-Pandemie hat auch auf Dialyseeinrichtungen weitreichende Auswirkungen und erhöht die Belastung der Beschäftigten. Doch mehr Wertschätzung gibt es dafür nicht.
20.05.2020
Die Pflegekräfte setzen das Konzentrat für die Dialyse selbst an. Dabei gibt es auch vollautomatische Mischanlagen.

Interview mit dem Krankenpfleger Dirk Derfler, der in einer Dialyseeinrichtung arbeitet.

Etwa 60.000 bis 80.000 Patient*innen in Deutschland werden aufgrund einer Niereninsuffizienz in Dialyseeinrichtungen behandelt, meist ambulant. Was hat sich durch die Corona-Pandemie für sie und die rund 10.000 Beschäftigten in diesem Bereich verändert?

Die Patientinnen und Patienten sind auf die Dialyse angewiesen, sie können nicht einfach wegen der Pandemie zu Hause bleiben. Zugleich sind sie allesamt besonders gefährdet. Deshalb müssen die Einrichtungen vielfältige und weitreichende Maßnahmen ergreifen, um Infektionen zu vermeiden.

Welche sind das zum Beispiel?

Die Organisation und die Abläufe mussten sich deutlich verändern. Das beginnt ab früh morgens mit einer neu eingeführten Einlasskontrolle: Ein Kollege oder eine Kollegin in Schutzkittel, mit Handschuhen, FFP2-Maske und Gesichtsvisier empfängt die Patient*innen, misst Fieber und befragt sie zu ihrem Gesundheitszustand. Falls Auffälligkeiten festgestellt werden, wird die Person direkt isoliert. Längere Pausen zwischen den einzelnen Dialyseschichten sollen verhindern, dass die Patient*innen, die morgens da sind, denjenigen begegnen, die erst am Nachmittag zur Dialyse kommen. Auch das Personal der Früh- und Spätschicht soll sich durch diese Maßnahme nicht begegnen, was allerdings zur Folge hat, der Informationsaustausch und die Einsatzplanung erschwert werden. Während der Dialysebehandlung wird bei jedem Patientenkontakt ein Schutzvisier und den ganzen Tag mindestens ein Mund-Nasen-Schutz getragen. Bei Verdachtsfällen und bestätigten Infektionen wird separates Personal mit voller Schutzkleidung eingesetzt.

 

Den ganzen Tag mit FFP2-Maske und Schutzvisier zu verbringen, ist extrem anstrengend. Nach einer solchen Schicht ist man völlig fertig.

Dirk Derfler

Was bedeutet das für die Pflegekräfte?

Den ganzen Tag mit FFP2-Maske und Schutzvisier zu verbringen, ist extrem anstrengend. Nach einer solchen Schicht ist man völlig fertig. Mit den Kolleginnen und Kollegen versucht man, die ganze Zeit auf Abstand zu bleiben. Soweit es geht, betreuen alle ihre Patient*innen allein. Pause machen dürfen immer maximal zwei Beschäftigte gleichzeitig, damit die Abstandsregeln auch in den Pausenräumen eingehalten werden können. Wegen der Änderung der Arbeitsabläufe haben sich vielerorts auch die Dienstzeiten verschoben. Die ohnehin flexiblen Beschäftigten haben noch weniger Planungssicherheit. All das erhöht die Belastungen.

Haben die Beschäftigten in den Dialyseeinrichtungen das Gefühl, dass ihre Arbeit in dieser besonderen Situation die entsprechende Wertschätzung erfährt?

Ganz und gar nicht. Die Dialyse wird permanent vergessen. So auch bei den Prämien. Ich freue mich für die Kolleginnen und Kollegen in der Altenpflege und einigen Krankenhäusern, dass ihre Leistungen in dieser Pandemie mit Zulagen honoriert werden. Aber was ist mit uns? Selbst beim Bonus von 500 Euro und beim Verpflegungsgeld, die das Land Bayern an Pflege- und Rettungskräfte im Freistaat bezahlt, sind die Dialysebeschäftigten bisher außen vor. Dafür gibt es überhaupt keine Rechtfertigung. Die Kolleginnen und Kollegen sind jeden Tag mit Hochrisikopatient*innen in Kontakt, tun alles, um sie zu schützen und sind zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Doch sie werden einfach umgangen. Das schafft viel Frust. Zu Recht fordert ver.di eine monatliche Prämie von 500 Euro für alle Beschäftigten in versorgungsrelevanten Bereichen. Wir müssen uns mehr Gehör verschaffen, um das auch für die Dialyse durchzusetzen. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie fehlte es an Wertschätzung für unsere wichtige Arbeit. Das muss sich endlich ändern.

 

Die Arbeitgeber stellen zunehmend sogenannte Dialysehilfen ein, die über keinerlei medizinische Ausbildung oder Vorkenntnisse verfügen. Das ist nicht die Art von Hilfe, die wir benötigen.

Dirk Derfler

Inwiefern fehlte vorher schon die Wertschätzung?

In den Dialyseeinrichtungen arbeiten hoch qualifizierte Pflegekräfte und Medizinische Fachangestellte, die sich weiterqualifiziert haben. Die Fachweiterbildung zur nephrologischen Fachschwester dauert zwei Jahre – genauso lang wie zur Anästhesie- bzw. Intensivpfleger*in. Die Kolleginnen und Kollegen müssen mit komplizierten medizinischen Geräten umgehen, Fehlbedienungen können weitreichende gesundheitliche Folgen für die Patient*innen haben. Sie müssen daher stets aufmerksam und konzentriert sein und tragen eine hohe Verantwortung. Fachkenntnisse und eine fundierte Ausbildung sind dafür nötig. Dennoch stellen Arbeitgeber zunehmend sogenannte Dialysehilfen ein, die über keinerlei medizinische Ausbildung oder Vorkenntnisse verfügen.

Die Hilfskräfte haben überhaupt keine Ausbildung?

Nein. Eine Assistenzkraft bekommt lediglich einen »Crashkurs« von in der Regel einer Woche Theorie. Danach soll sie Teile der Dialysebehandlung durchführen – unter Aufsicht einer Pflegekraft. In der Praxis heißt das: Die Pflegekräfte tragen die Verantwortung für immer mehr, meist multimorbide und schwerkranke Dialysepatient*innen – und zusätzlich noch für unqualifiziertes Personal. Das ist nicht die Art von Hilfe, die wir benötigen.

 

Gibt es keine Regeln, welche Qualifikationen in Dialyseeinrichtungen verlangt werden?

Eben nicht. In Deutschland ist die Durchführung der Dialysebehandlung eine ärztliche Leistung, die aber delegiert werden kann. Jahrzehntelang war es unumstritten, dass nur examinierte Pflegekräfte oder Medizinische Fachangestellte eine Dialysebehandlung durchführen können. Doch angesichts des Fachkräftemangels und in kommerziellen Unternehmen auch zur Gewinnmaximierung haben die Betreiber den Einsatz von Hilfskräften entdeckt, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Lange haben Pflegekräfte in der Dialyse nach Unterstützung durch Hilfskräfte gerufen, weil sie immer mehr Patient*innen gleichzeitig betreuen mussten. Sie sollten Tätigkeiten wie Oberflächendesinfektion, logistische Unterstützung, Patiententransport, Entsorgungstätigkeiten oder das Zubereiten von Mahlzeiten übernehmen. Stattdessen übernehmen sie nun Teile einer Behandlung selbst – ein Schlag ins Gesicht für jede Dialysefachkraft. Deshalb brauchen wir für die Dialyse einheitliche und verbindliche Personalschlüssel, die auch die Qualifikation vorschreiben. Der Gesetzgeber muss hier dringend handeln, um die Versorgungsqualität zu erhalten und die Beschäftigten zu entlasten.

 

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