Ab dem 16. März gilt für Beschäftigte in bestimmten Einrichtungen, beispielsweise Kliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen, Rettungsdiensten und in der Behindertenhilfe, eine Impfpflicht gegen Covid-19. Wie steht ver.di dazu?
Vorweg: Wir appellieren an alle, bei denen keine gesundheitlichen Gründe dagegensprechen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Die Impfung bietet keinen perfekten Schutz, sie verhindert aber in der Regel schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle und dämmt die Infektionen ein. Es ist weiterhin sehr wichtig, sich und andere zu schützen. Und es ist der Weg, diese Pandemie mit all ihren schlimmen Folgen endlich hinter uns zu lassen. Aber – und das sagen wir ebenso klar: Die Impfpflicht für Beschäftigte bestimmter Einrichtungen sehen wir sehr kritisch.
Warum?
Die Impfquote ist bei den davon besonders betroffenen Berufsgruppen schon sehr hoch. Zum Beispiel in der Krankenhauspflege liegt sie laut aktueller Umfrage des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) bei durchschnittlich 95 Prozent. In anderen Bereichen ist sie etwas niedriger, aber Tatsache ist: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht hat keinen nennenswerten Einfluss auf die bundesweite Impfquote. Zugleich ist sie kein gutes Signal an die betroffenen Beschäftigtengruppen und könnte problematische Folgen haben.
Wie wird in ver.di über das Thema diskutiert?
Durchaus kontrovers. Es gibt unterschiedliche Positionen und es ist uns wichtig, einander gut zuzuhören. Auch streiten darf sein. Schließlich gibt es hier ja kein richtig oder falsch und wir ringen um den besseren Weg. Es sind bei diesem Thema viele Emotionen im Spiel und das ist auch verständlich. Auch unter den betroffenen Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Behindertenhilfe gibt es ja verschiedene Meinungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Auch unter denen, die eine Impfung nie in Frage gestellt haben, gibt es kritische Stimmen zu diesem Gesetz. Denn es stellt sich die Frage, weshalb alleine die Berufsgruppen in die Pflicht genommen werden, die in der Pandemie vielfach über ihre physischen und psychischen Grenzen gehen mussten. Ich kann gut verstehen, wenn zum Beispiel eine Kollegin in der ambulanten Altenpflege hinterfragt, weshalb für sie die Impfpflicht gelten wird, aber nicht für die von ihr zu pflegenden Personen oder deren mitversorgende Angehörige.
In der erwähnten Umfrage des DKI geben zwei von drei Krankenhäusern an, aufgrund der Freistellung ungeimpfter Beschäftigter mit Einschränkungen bei der Patientenversorgung zu rechnen.
Das zeigt doch erneut, wie unzureichend die Personalbesetzung in den Krankenhäusern ist, auch unabhängig von der Pandemie. Gleiches gilt für die Altenpflege, die Behindertenhilfe, Rettungsdienste und andere Bereiche. Wenn hier nur etwas mehr Personal ausfällt als üblich, drohen große Versorgungsprobleme. Das muss bedacht werden, wenn ab Mitte März noch nicht geimpftes Personal abgezogen werden soll. Seit Jahren fordern wir verbindliche Vorgaben für eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Für die Krankenhauspflege hat ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat die PPR 2.0 entwickelt. Doch der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Problem nicht gelöst – mit fatalen Folgen.
Was wird nach dem 15. März geschehen?
Das ist noch völlig unklar. Sollten die Gesundheitsämter Beschäftigten ohne Impfung ab Mitte März verwehren, erst einmal weiterzuarbeiten, würde das auf eine noch höhere Belastung des verbleibenden Personals hinauslaufen. Da das aber nicht zumutbar ist, können eigentlich nur die Leistungen eingeschränkt werden. Das sagen ja auch die Klinikbetreiber in der genannten Umfrage. Was wir aus den Betrieben hören, passt dazu allerdings gar nicht. Nämlich, dass die meisten Arbeitgeber die Dienstpläne für die kommenden Wochen trotz allem mit der kompletten Belegschaft aufstellen und beim OP-Programm keine Abstriche machen. Die andauernde Extrembelastung hat auch schon vor der Pandemie viele aus ihrem Beruf getrieben, das darf sich nicht noch weiter verschärfen.
Wie sollte mit Beschäftigten umgegangen werden, die sich nicht impfen lassen?
Für ver.di ist klar, dass niemand wegen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gekündigt werden darf. Niemand darf dem Gesundheitswesen ganz verloren gehen, alle Arbeitskräfte werden dringend gebraucht, gerade auch auf lange Sicht. Politik und Arbeitgeber sind gefordert, noch nicht geimpfte Beschäftigte gezielt anzusprechen und fundiert zu informieren. Man muss Ängste und Bedenken von Kolleg*innen ernst nehmen und mit ihnen darüber sprechen. Den vielen Falschinformationen in den Sozialen Medien muss mit Aufklärung begegnet werden. Die Impfkampagne ist in dieser Hinsicht noch deutlich ausbaufähig.
Erhalten ver.di-Mitglieder im Zweifelsfall rechtliche Unterstützung?
Unsere gewerkschaftlichen Rechtsabteilungen stellen sich auf vermehrte Nachfragen ein. Mitglieder, denen gekündigt wurde, weil sie ihrem Arbeitgeber keinen Impfnachweis vorgelegt haben, dürften in aller Regel Rechtsschutz erhalten, natürlich immer vorbehaltlich einer individuellen Prüfung. Kompliziert wird es beim Thema Freistellung ohne Gehaltszahlung, wogegen dann jemand klagen möchte. Es kann auch nicht sein, dass ungeimpfte Beschäftigte nicht arbeiten und den vollen Lohn erhalten, während ihren geimpften Kolleg*innen noch stärkere Belastung droht. Das ist eine ganz schwierige Diskussion in den Belegschaften, und zwar über alle Beschäftigtengruppen hinweg.
Hast du Verständnis für Demonstrationen gegen die Impfpflicht?
Selbstverständlich können Menschen demonstrieren, wenn sie gegen ein Gesetz sind. Das ist ihr gutes Recht. Nicht akzeptieren kann ich, wenn dabei die Regeln nicht eingehalten werden, die uns vor einer noch schlimmeren Ausbreitung der Pandemie schützen sollen – also Abstand halten und Masken tragen. Das ist das ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die auf den Stationen jeden Tag um Menschenleben kämpfen. Und was gar nicht geht, sind Angriffe auf Medienschaffende. Die Pressefreiheit ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer Demokratie. Ich kann nur jedem Kollegen und jeder Kollegin empfehlen, genau zu prüfen, mit wem man da gemeinsam demonstriert. Rechtsextreme versuchen, den Ärger über die einrichtungsbezogene Impfpflicht für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Gemeinsam mit alten oder neuen Nazis zu marschieren, muss sich für jeden Demokraten und jede Demokratin ausschließen.
ver.di Bundesverwaltung