Die Corona-Pandemie bedeutet für alle Bereiche des Gesundheits- und Sozialwesens eine besondere Herausforderung. Die Beschäftigten sind überall engagiert, um ihre Patient*innen und Klient*innen bestmöglich zu versorgen. Zugleich vertreten sie kollektiv ihre eigenen Interessen. Seit langem fordern sie gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft ver.di bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung. Die gegenwärtige Krise bestätigt unsere Kritik an Kürzungen und an der Ökonomisierung unserer Branche. Deshalb streiten wir weiter für ein solidarisch finanziertes und bedarfsorientiertes Gesundheits- und Sozialwesen – und für den Schutz der Gesundheit und der Arbeitsplätze unserer Kolleginnen und Kollegen in dieser Krise.
Auch auf die Behindertenhilfe hat die Pandemie große Auswirkungen. Werkstätten für behinderte Menschen und Tagesförderstätten wurden geschlossen. Hier wie in der Schulbegleitung wird zum Teil Kurzarbeit beantragt. Für stationäre Wohneinrichtungen bedeutet die Schließung der Werkstätten eine enorme Herausforderung, denn die Bewohnerinnen und Bewohner – die oftmals zu Risikogruppen gehören – sind nun den ganzen Tag vor Ort. Die veränderte Tagesstruktur und Besuchsverbote belasten viele von ihnen zusätzlich. In den Einrichtungen wird dadurch mehr Personal nötig, um eine Überlastung der Beschäftigten und eine gute Betreuung auch in dieser Zeit zu gewährleisten.
Ganz andere Schwierigkeiten entstehen bei den ambulanten Diensten. In der Schulbegleitung werden Beschäftigte aufgrund von Schulschließungen zum Teil anderweitig eingesetzt oder in Kurzarbeit geschickt. Familienunterstützung, Frühförderung und pädagogische Beratung werden teilweise auf telefonische oder Onlinekommunikation umgestellt. In der Persönlichen Assistenz – auf die die Betroffenen auch in dieser Situation rund um die Uhr angewiesen sind – ist vor allem der Mangel an Schutzausrüstung ein Problem.
»Niemanden zurücklassen – das gilt auch und gerade für Menschen mit Behinderungen. Sie sind besonders verletzlich. Wenn gewohnte Strukturen in Werkstätten oder Tageseinrichtungen wegfallen, ist das für viele von ihnen sehr belastend. Die Beschäftigten in der Behindertenhilfe tun alles, um sie zu unterstützen. Doch auch sie selbst brauchen Schutz. Vor Überlastung ebenso wie vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Dafür muss die Versorgung mit dem nötigen Schutzmaterial sichergestellt werden. Hier bleibt noch einiges zu tun.«
Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand
Menschen mit Behinderung brauchen in dieser Situation Unterstützung. Dafür müssen die Bedingungen stimmen. Insbesondere in den Wohnheimen, aber auch in der ambulanten Hilfe müssen unbedingt genug Schutzausrüstungen zur Verfügung stehen. In den stationären Einrichtungen braucht es genug Personal, um die gestiegenen Anforderungen bewältigen zu können. Dass sowohl zusätzliches Personal als auch Schutzausrüstungen in Pflegeeinrichtungen und bei ambulanten Diensten vollständig von der Pflegeversicherung refinanziert werden, ist gut. Doch dies muss auch für die Eingliederungshilfe auf Grundlage des SGB IX gewährleistet sein. Gerade in den Einrichtungen der Behindertenhilfe müssen mehr Corona-Tests stattfinden, um das Infektionsrisiko für diese besonders gefährdete Gruppe zu verringern.
In der Behindertenhilfe gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Finanzierungsregelungen und Kostenträger, was die aktuelle Situation noch komplizierter macht. Nicht überall sind die weitere Finanzierung sowie die Bezahlung zusätzlicher Sach- und Personalkosten während der Krise gesichert. Das muss in allen Bundesländern und bei allen Kostenträgern gleichermaßen der Fall sein. ver.di fordert, dass die Arbeit, soweit es möglich und sinnvoll ist, fortgesetzt und entsprechend finanziert wird. Geht das nicht, greift das Sozialdienstleister-Entlastungsgesetz, das den Einrichtungen bis zu 75 Prozent der bisherigen Vergütung garantiert, wenn sie wegen der Pandemie nicht oder nur eingeschränkt weiterarbeiten können. Darüber hinaus können die Bundesländer und andere Kostenträger die Vergütung auf 100 Prozent aufstocken.
Sozialdienstleister-Einsatzgesetz(SodEG)
Das Sozialdienstleister-Entlastungsgesetz verpflichtet die Einrichtungen, Personal, Räumlichkeiten und Technik zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung zu stellen. Klar ist aber laut Bundesarbeitsministerium, dass die Übernahme von Tätigkeiten, die über das allgemeine Direktionsrecht des Arbeitgebers hinausgehen, »in der freien Entscheidung der Beschäftigten« steht. Zudem ist wichtig, dass die erforderliche Qualifikation vorliegt und die Form der Beschäftigung ebenso geklärt ist wie arbeits-, sozial- und haftungsrechtliche Fragen. Auch bei Versetzungen und der Zuweisung fachfremder Tätigkeiten innerhalb der Einrichtung müssen die Belange der Beschäftigten berücksichtigt werden. Die betriebliche Interessenvertretung stellt per Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung sicher, dass
»Die Situation ist sehr belastend. Wir betreuen 16 schwerstmehrfachbehinderte Menschen, die jetzt den ganzen Tag im Wohnhaus verbringen. Gut ist, dass die Kolleg*innen aus unserer Tagesförderstätte, die derzeit geschlossen ist, nicht etwa in Kurzarbeit geschickt wurden, sondern im Wohnhaus aushelfen. Allerdings fehlt es an Platz. Hinzu kommt der Mangel an Schutzausrüstung und auch an Verbrauchsmaterial wie Feuchttüchern. Hier muss die Versorgung dringend sichergestellt werden. Insgesamt würde ich mir wünschen, dass mehr gesehen wird, was wir in der Behindertenhilfe leisten. Hier gehen alle an ihre Grenzen.«
Christopher Kube-Hemp, Heilerziehungspfleger in einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung in Hamburg
Wann immer möglich und sinnvoll, sollte die Arbeit fortgesetzt werden. Falls das zum Beispiel in Werkstätten für behinderte Menschen oder in der Schulbegleitung nicht geht, müssen zunächst die Zuschüsse im Rahmen des Sozialdienstleister-Entlastungsgesetzes sowie eventuelle Rücklagen ausgeschöpft und Überstunden abgebaut sein, bevor Kurzarbeit beantragt wird. Falls Kurzarbeit nicht vermeidbar ist, muss das Kurzarbeitergeld aufgestockt werden. Denn angesichts der niedrigen Löhne würden sonst etliche Beschäftigte in der Behindertenhilfe in der Grundsicherung landen, wenn diese während der Kurzarbeit nur 60 bzw. 67 Prozent ihres bisherigen Entgelts erhalten. Das darf nicht sein.
Jetzt gilt es, alle Ressourcen zur Bewältigung der Pandemie zu mobilisieren und zugleich die Rechte der Beschäftigten zu sichern. Die Krise zeigt, wie wichtig unser vehementer Einsatz für bessere Bedingungen, für mehr Personal, Aufwertung und Entlastung im Gesundheits- und Sozialwesen ist. Dafür steht ver.di. Mach mit!
ver.di Bundesverwaltung