»Euch ist kein Weg zu weit, kein Wasser zu kalt, um zu zeigen: Wir wollen endlich gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.« Mit diesen Worten spielte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler bei der Kundgebung am Mittwoch (5. Juli 2023) in Friedrichshafen auf die vielfältigen Aktionen an, die Beschäftigte während der Proteste zur Gesundheitsministerkonferenz auf die Beine stellten. Großer Jubel kam auf, als ein Fahrradkorso auf den Kundgebungsplatz fuhr. Einige der 13 Beschäftigten aus der Altenpflege waren die gesamte Strecke aus dem 640 Kilometer entfernten Dresden mit dem Rad nach Friedrichshafen gefahren. Ihr Motto: »Kein Weg zu weit für gute Pflege«.
»War das anstrengend?«, so die rhetorische Frage des Vorsitzenden des ver.di-Bundesfachbereichsvorstands, Johannes Hermann, der die Tour initiiert hatte. »Jahrzehnte in der Pflege zu arbeiten, mit zu wenig Personal – das ist wirklich anstrengend.« Die Aktion solle dazu beitragen, die Altenpflege wieder auf die Tagesordnung zu setzen, denn das sei dringend nötig. »Obwohl wir immer mehr pflegebedürftige Menschen haben, werden Wohnbereiche geschlossen, weil es niemanden mehr gibt, der dort arbeiten kann oder will – das ist ein Thema für die ganze Gesellschaft«, betonte der Betriebsratsvorsitzende der AWO Sachsen Soziale Dienste gGmbH. Die politisch Verantwortlichen dürften nicht länger auf Zeit spielen, denn Zeit hätten weder die pflegedürftigen Menschen oder ihre Angehörigen noch die Beschäftigten. »Wir wollen mit unserer Fahrt Mut machen«, erläuterte Johannes Hermann. »Damit wir uns zusammen auf den Weg machen – manchmal auch bei Gegenwind und Regen –, um etwas zu verändern.«
An kreativen Protestformen mangelt es denjenigen, die für eine Neuausrichtung der Gesundheitspolitik streiten, jedenfalls nicht. So sprangen dutzende Teilnehmer*innen mit Rettungsringen und Transparenten in den Bodensee, um deutlich zu machen: Den Gesundheitsbeschäftigten steht das Wasser bis zum Hals. Sie schwenkten Fahnen und hielten unter großem Applaus »SOS«-Schilder in die Höhe.
Einen Notruf sandten auch mehr als 2.500 Beschäftigte aus allen Teilen des Landes, die nicht zur Gesundheitsministerkonferenz in den äußersten Südwesten reisen konnten. Sie dokumentierten schriftlich, welche Folgen die Personalnot für sie und für die Versorgungsqualität hat. »Das sind Gefährdungsanzeigen an die verantwortlichen Landespolitiker«, erläuterte die Fachkrankenschwester Jana Langer aus Ulm. Die Zettel füllten mehrere Kisten, die Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) für sich und seine Ressortkolleg*innen entgegennahm.
Dass die Zustände in den psychiatrischen Einrichtungen keinen Deut besser sind als in Akut- und Reha-Kliniken oder der Altenpflege macht eine Befragung von Psychiatrie-Beschäftigten deutlich, über deren Ergebnisse die Gesundheits- und Krankenpflegerin Lilian Kilian auf der Kundgebung in Friedrichshafen berichtete. Dabei gibt es hier – anders als in den anderen Bereichen – Vorgaben, wie viel Personal eingesetzt werden muss. Doch haben Kliniken und Krankenkassen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) dafür gesorgt, dass Verstöße auch Jahren nach Einführung der Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) nicht sanktioniert werden. »Die Konsequenz ist, dass sie permanent unterlaufen werden«, kritisierte Kilian.
Der neuen Erhebung zufolge wird die Richtlinie nur zu durchschnittlich 81 Prozent erfüllt – kaum besser als vor einem Jahr. »Der dringend benötigte Personalaufbau bleibt aus«, so das Fazit von Lilian Kilian, die sich als Sprecherin der ver.di-Bundesfachkommission Psychiatrische Einrichtungen engagiert. Die Befragung mache zudem die fatalen Folgen der Privatisierung im Gesundheitswesen sichtbar. Denn in den kommerziell betriebenen Psychiatrien ist die Personalausstattung noch deutlich schlechter als in öffentlichen Häusern. Während Letztere die PPP-RL immerhin zu 87 Prozent erfüllen, sind es bei den Privaten lediglich 75 Prozent.
Doch statt die Privatisierung zurückzudrängen, würden die staatlichen Kliniken unter Druck gesetzt, kritisierte Kilian, die am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Weinsberg arbeitet. Seit 2019 verweigerten die Kassen die Refinanzierung der tariflichen Personalkostensteigerungen. Das treffe ausgerechnet die Einrichtungen, die versuchen, die Personalvorgaben einzuhalten und zum Beispiel gefährliche Alleinarbeit in der Nacht zu vermeiden. »Jetzt droht ein Stellenabbau und die Angleichung an das schlechteste Niveau«, kritisierte Kilian. »Dadurch werden Patienten gefährdet und Arbeitsbedingungen verschlechtert, während bei kommerziellen Trägern zugleich Geld der Versicherten den Aktionären in den Hals gesteckt wird.« Die politisch Verantwortlichen müssten dagegen einschreiten, forderte die Gewerkschafterin. »Gesundheitseinrichtungen gehören zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie sind keine Fabriken. Wir behandeln Menschen, keine Werkstücke!«
Daniel Behruzi
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
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