Gleich zu Beginn der Demonstration bei der Gesundheitsministerkonferenz am Mittwoch (5. Juli 2023) in Friedrichshafen werden die Fallpauschalen, DRGs, symbolisch entsorgt. Auf dem Parkplatz, an dem die Busse mit Beschäftigten aus ganz Baden-Württemberg ankommen, werfen ver.di-Aktive bei einem Aktionstheater unter großem Gejohle schwarze Würfel »über die Planke«. »DRG«, »Konkurrenz und Wettbewerb«, »Dividenden« steht darauf. Die Forderung, das DRG-System zu versenken und den Kommerz aus dem Gesundheitswesen zu schmeißen, prägt auch die Debatte mit den Gesundheitsminister*innen bei der Abschlusskundgebung.
»Wir wollen nicht weniger als eine Neuausrichtung der Gesundheitspolitik«, erklärt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler am Tagungsort der Ministerkonferenz unter dem Applaus der mehr als 600 Demonstrierenden. »Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen – aber es ist höchste Zeit!« Statt um Profitmaximierung müsse es ums Gemeinwohl gehen, statt Wettbewerb brauche es Solidarität. Für die Krankenhäuser heiße das: »Die Fallpauschalen müssen abgelöst werden – weg mit den DRGs!« Denn diese hätten katastrophale Folgen in Form von Stellenabbau und Ausgliederungen, »aber auch wenn Menschen operiert werden, obwohl sie es nicht brauchen, damit die Rendite stimmt«.
Bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kommen solche Argumente offenbar an. Er selbst geißelte zuletzt immer wieder in drastischen Worten die Ökonomisierung des Gesundheitswesens. In Friedrichshafen sagt er, durch die geplante Krankenhausreform »geht der ökonomische Druck massiv runter«. Künftig sollen die Kliniken 60 Prozent ihres Budgets für das Vorhalten von Behandlungsmöglichkeiten bekommen, die restlichen 40 Prozent werden weiterhin über Fallpauschalen generiert. »60 Prozent sind garantiert als Daseinsvorsorge«, sagt Lauterbach. »Es ist jahrelang demonstriert worden gegen die Fallpauschalen – wir schaffen sie jetzt ab.« So werde »die Spirale aus immer mehr Fällen, immer mehr arbeiten, immer mehr Burn-out, immer weniger Personal« durchbrochen.
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) assistiert, es bestehe die »historische Chance«, eine Zukunftsstruktur für die Kliniken zu bilden. Zudem gelte ab Juli die bedarfsgerechte Personalbemessung für die Krankenhauspflege – die von ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelte PPR 2.0. »Wir werden gemeinsam dafür Sorge tragen, dass diese Personalbemessung umgesetzt wird«, kündigt der aktuelle Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz an.
Sylvia Bühler hält den beiden Politikern entgegen, dass die geplante Reform zwar den Druck etwas verringere, die Probleme aber nicht löse. Nach wie vor gebe es keine bedarfsgerechte Finanzierung, die Fallpauschalen würden angebohrt, aber nicht überwunden. Sie fordert, die Personalkosten aller Berufsgruppen aus den DRGs herauszunehmen, sie vollständig zu finanzieren und das DRG-System komplett zu überwinden. Zudem zeigt sich die Gewerkschafterin besorgt »dass viele Kliniken gar nicht mehr da sind, wenn die Reform richtig losgeht«. Etliche Krankenhäuser, die für die flächendeckende Versorgung gebraucht werden, stünden mit dem Rücken an der Wand. Sie bräuchten kurzfristig Unterstützung.
Doch von der Bundesregierung kommen bislang keine Anzeichen, dass sie dieser auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft erhobenen Forderung nachgeben wird. Stattdessen stehen Kürzungen auf der Agenda. »Dass ausgerechnet im Gesundheitsetat der Rotstift angesetzt wird, hat mir die Sprache verschlagen«, kritisiert Bühler. »Wie absurd ist das denn? Wir brauchen mehr Geld im Gesundheitssystem, nicht weniger.« Hier gehe es auch darum, das in die Politik gesetzte Vertrauen nicht zu verspielen. Für die Gewerkschafterin ist klar: »Wir werden uns nicht damit abfinden, dass die Gesundheitspolitik vom Finanzminister gemacht wird!«
Daniel Behruzi
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