Während Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auch in der dritten Welle der Corona-Pandemie alles dafür tun, eine gute Versorgung zu gewährleisten, setzen manche Arbeitgeber andere Prioritäten. Einige, vor allem kommerzielle Unternehmen haben trotz der dramatischen Situation nichts anderes im Sinn, als die Interessenvertreter*innen ihrer Beschäftigten zu drangsalieren. So betreibt die Residenz-Gruppe in Bremen und Osnabrück die fristlose Kündigung von Betriebsräten in Pflegeeinrichtungen. In erster Instanz ist sie damit ebenso gescheitert wie die Leitung der Atos-Klinik Fleetinsel in Hamburg.
»Das ist eine krachende Niederlage für den Arbeitgeber, die Betriebsräte haben auf ganzer Linie gewonnen«, kommentierte die ver.di-Gewerkschaftssekretärin Kerstin Bringmann die Verhandlung vor dem Bremer Arbeitsgericht am Dienstag (27. April 2021). Bei dieser war offensichtlich geworden, wie substanzlos die Behauptungen sind, mit denen das Management der zum französischen Orpea-Konzern gehörende Residenz-Gruppe mehrere Betriebsratsmitglieder fristlos kündigen will. Das Gericht gab darauf die passende Antwort: Es wies den Antrag des Arbeitgebers, die Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung seiner Vorsitzenden Nicole Meyer und ihrer Stellvertreterin Monika Sonntag zu ersetzen, ebenso ab wie die Begehren, beide aus dem Betriebsrat zu entfernen oder das 15-köpfige Gremium gleich ganz aufzulösen.
Wird der Orpea-Konzern – der bereits 2018 beim Reha-Betreiber Celenus im thüringischen Bad Langensalza mit dem letztlich erfolglosen Kündigungsversuch von zwei Gewerkschafterinnen für Empörung sorgte – aus dieser Niederlage lernen? Nach dem Auftreten der Arbeitgebervertreter vor Gericht zu urteilen, wird das nicht der Fall sein. So kündigte der Rechtsanwalt des kommerziellen Pflegeheimbetreibers öffentlich an, Betriebsräte von einer Detektei überwachen zu lassen, wie mehrere Teilnehmende bestätigen. »Dass sich jemand traut, so etwas zu sagen, hat mich erschrocken«, sagte der Rechtsanwalt Michael Nacken, der den Betriebsrat vertritt. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler kommentierte in einer Pressemitteilung: »Das ist ein neuer Tiefpunkt im Umgang des Orpea-Konzerns mit Arbeitnehmerrechten.«
Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf die Haltung des Konzerns gegenüber der Mitbestimmung seiner Beschäftigten. Orpea, mit über 1.100 Einrichtungen in 23 Ländern nach eigenen Angaben europäischer Marktführer in der Altenpflege, zieht derzeit auch alle Register, um die Gründung eines Europäischen Betriebsrats (EBR) zu verzögern. So hat der Konzern eine Vereinbarung zur EBR-Gründung blockiert und verweigert bislang die Herausgabe von Daten über Einrichtungen, Beschäftigtenzahlen und Interessenvertretungen, die für die Gründung einer europaweiten Interessenvertretung nötig sind. »Das zeigt: Die Ereignisse in Norddeutschland sind kein Ausrutscher, sondern Teil einer Konzernpolitik, für die Beschäftigtenrechte – sagen wir es mal vorsichtig – nicht gerade an erster Stelle stehen«, so Marion Leonhardt von der ver.di-Bundesverwaltung.
In Bremen macht das Unternehmen auch anderweitig Druck auf Betriebsräte, die nichts anderes getan haben, als konsequent die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen zu vertreten. So wurden zeitweise Hausverbote ausgesprochen und Gehälter gekürzt. Zudem hat der Pflegeheimbetreiber eine »Schadensersatzklage« über 150.000 Euro wegen angeblicher »Rufschädigung« gegen die Betriebsratsvorsitzende Nicole Meyer eingereicht. »Das entbehrt jeglicher Grundlage und ist reine Zermürbungstaktik«, erklärt ver.di-Sekretärin Bringmann. »Ich forderte Orpea dringend auf, zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zurückzukehren, wie sie im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen ist.« Um sich gegen die Übergriffe der Geschäftsleitung zur Wehr zu setzen, hat der Betriebsrat eine Klage wegen der Behinderung von Betriebsratsarbeit eingereicht.
Auch anderswo im Gesundheitswesen setzen Arbeitgeber mitten in der Pandemie Belegschaftsvertretungen unter Druck. So hat der private Klinikbetreiber Atos in Hamburg versucht, mit fadenscheinigen Begründungen einer Betriebsrätin zu kündigen. Auch hier wies das Landesarbeitsgericht (LAG) den Antrag zurück, die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung zu ersetzen. Das Management hatte für den angeblichen Arbeitszeitbetrug keinerlei stichhaltige Belege liefern können. »Das ist ein großartiger Erfolg. Wir sind erleichtert, dass das LAG dem Ansinnen der Arbeitgeberseite nicht Recht gegeben hat«, kommentierte die Hamburger Gewerkschaftssekretärin Kathrin Restorff. Bis Mitte Mai könnte der Klinikkonzern noch Beschwerde gegen das im März ergangene Urteil einlegen. Restorff forderte Atos auf, »den Antrag auf Kündigung sofort und bedingungslos zurückzunehmen und die Rechte des gewählten Betriebsrates zu respektieren.« Zuvor war auch schon der größte Klinikbetreiber der Hansestadt, Asklepios, mit dem Versuch gescheitert, eine aktive Gewerkschafterin zu entlassen. Diese hatte auf Missstände infolge des Personalmangels hingewiesen. Nach einer massiven Welle von Solidaritätsbekundungen zog Asklepios die Kündigung schließlich zurück.
»Wenn Arbeitgeber Beschäftigtenrechte derart mit Füßen treten, ist Solidarität ist die einzige wirksame Antwort.«
Obwohl es vor allem kommerzielle Unternehmen sind, die derart gegen Beschäftigte vorgehen, gibt es solche Fälle auch bei öffentlichen Trägern. So wollte das Uniklinikum Münster einen Fachkrankenpfleger entlassen, der sich in den Medien kritisch zur Arbeitssituation geäußert hatte. Mit Unterstützung von ver.di reichte er Kündigungsschutzklage ein. Die ver.di-Betriebsgruppe am Uniklinikum hatte den Vorstand in einer Sonderausgabe ihrer Betriebszeitung aufgefordert, die Entlassung zurückzunehmen: »Diese Kündigung richtet sich nicht nur gegen ihn, sondern gegen alle, die sich am UKM für Verbesserungen für das Personal und in der Versorgung der Patient*innen einsetzen.«
Für Kerstin Bringmann ist klar: »Wenn Arbeitgeber Beschäftigtenrechte derart mit Füßen treten, ist Solidarität ist die einzige wirksame Antwort.« Um den Betriebsräten von Orpea den Rücken zu stärken, hatten sich am Dienstag in Bremen mehrere Dutzend Gewerkschafter*innen mit Transparenten vor dem Bremer Arbeitsgericht versammelt. Davon und von den vielen Solidaritätsbotschaften zeigte sich die Betriebsratsvorsitzende Nicole Meyer sichtlich gestärkt. »Ohne Unterstützung hätten wir das nicht durchgestanden«, betonte sie nach der Urteilsverkündung. »Wir waren und sind nicht allein, wir haben eine solidarische Gewerkschaft und einen hervorragenden Rechtsanwalt an unserer Seite.«
Daniel Behruzi