Dass Auszubildende im ambulanten Pflegedienst »alleine auf Tour« gehen, ist nach meiner Rechtsauffassung unzulässig. Im Pflegeberufegesetz ist dies zwar weder ausdrücklich untersagt noch erlaubt. Nur für den Nachtdienst ist eine »unmittelbare Aufsicht« festgeschrieben. Grundsätzlich heißt es in Rechtsprechung und Literatur aber, dass die Ausbildung »unter ständiger Anleitung und Aufsicht« zu erfolgen hat. Das gilt besonders im ersten Ausbildungsjahr. Die Frage spitzt sich in der ambulanten Pflege deshalb zu, weil der wirtschaftliche Nutzen von Ausbildung nahezu verloren geht, wenn immer eine Pflegefachkraft beim Einsatz dabei sein muss. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber bei der Finanzierung der Ausbildung für die ambulanten Pflegedienste ein für die Arbeitgeber günstigeres Anrechnungsverhältnis festgelegt: 14 Auszubildende ersetzen bei der Abrechnung eine Pflegefachkraft, in der stationären Pflege sind es 9,5 Auszubildende. Weil ständige Aufsicht und Anleitung nötig sind, falle der Wertschöpfungsanteil in der ambulanten Pflege geringer aus, so die Begründung.
Falls Auszubildende dennoch unerlaubterweise alleine auf Tour gehen, müssen die zu verrichtenden Pflegetätigkeiten selbstverständlich ihrem Ausbildungsstand entsprechen und auf dem Ausbildungsplan basieren. Dieser ist mitbestimmungspflichtig. Hinzu kommt: Es soll eine Kompetenzentwicklung erkennbar sein. Eine ständige Ausübung der immer gleichen Routinetätigkeiten ohne weiteren Kompetenzzuwachs ist daher nicht zulässig. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in einem Urteil (OVG NRW, 6.02.2023 -13 B 1123/22) erklärt: Ein angemessenes Verhältnis von Fachkräften zu Auszubildenden diene ebenso wie die Pflicht des Ausbildungsträgers, nur Aufgaben zu übertragen, die dem Ausbildungszweck dienen und dem Ausbildungsstand entsprechen, dem Schutz der Auszubildenden vor Überforderung. So werde sichergestellt, »dass diesen während der praktischen Ausbildung fachkundig anleitende Pflegefachkräfte zur Seite stehen und sie nicht nur als Arbeitskräfte eingesetzt werden«.
Pflege-Azubis müssen auch in der Behandlungspflege ausgebildet werden und diese zunehmend selbstständig auszuüben lernen. Das entbindet den Träger der praktischen Ausbildung aber nicht von seiner Anleitungs- und Aufsichtspflicht. Sie gilt auch dann, wenn Auszubildende zuvor einen »Behandlungsschein « erworben haben, bestimmte Aufgaben also nachweislich schon können. Auch in dem Fall muss die Ausbildung so gestaltet werden, dass noch Wissens- und Kompetenzzuwachs möglich ist und die Ausbildungszeit für weitere Qualifizierung genutzt werden kann. Auszubildende und Träger haften für fehlerhafte Pflege und Behandlung. Auszubildende können Arbeitsaufträge zurückweisen, die sie überfordern. Je nach Fall sind sie dazu sogar verpflichtet. Der Träger haftet für Anweisungen an nicht hinreichend qualifiziertes Personal, wenn sie zu Schäden führen. Auszubildende sollten sich in solchen Fällen an ihre betriebliche Interessenvertretung wenden. Diese kann im Einzelfall helfen und grundsätzliche Vereinbarungen zur Ausbildungsqualität abschließen sowie auf Kooperationsverträge mit anderen Einrichtungen Einfluss nehmen.
Autor: Gerd Dielmann