Wie kommt mehr Personal in die Altenpflege? Mit dieser Frage beschäftigte sich die Fachtagung „Personalbemessung in der stationären Altenpflege“, zu der ver.di am 24. Februar eingeladen hatte. Zuerst einmal machte Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand für Gesundheit zuständig, deutlich, wie dramatisch die Situation in der Altenpflege heute schon ist. Die Beschäftigten würden die Versorgung der Bewohner/innen nur durch Selbstausbeutung aufrecht erhalten können. „Die Beschäftigten werden emotional erpresst“, so Bühler. Es fehlt qualifiziertes Personal. Bereits heute könnten innerhalb von drei Monaten nur 39 von 100 ausgeschriebenen Stellen besetzt werden. Und das Problem wächst. Aufgrund des demografischen Wandels müssten bis 2030 jährlich 10.000 zusätzliche Pflegefachkräfte ausgebildet werden. Doch woher nehmen, in einem Beruf mit denkbar schlechter Bezahlung, in dem die Verweildauer nur sieben Jahre beträgt, weil die Arbeit nicht länger auszuhalten ist?
Um über diese akute Situation „mit der Politik ins Gespräch zu kommen“, wie Bühler es formulierte, hat ver.di ein Gutachten zur „Gesetzlichen Personalbemessung in der Altenpflege“ in Auftrag gegeben, das an diesem Abend vorgestellt wurde. In dem Zeitraum 2003 bis 2013 hat sich die Betreuungsrelation von 2,37 Bewohner/innen pro Pflegekraft auf 2,46 verschlechtert – trotz eines Personalanstiegs von 24 Prozent. „Dies kann den gestiegenen Bedarf aber nicht ausgleichen“, betonte Professor Stefan Greß, neben Professor Klaus Stegmüller einer der Autoren der Studie. Das hat mehrere Ursachen: unter anderem mehr hochaltrige Bewohner/innen, die zu versorgen sind und kürzere Verweildauern durch zunehmende Behandlungs- und Kurzzeitpflege nach verkürzten Klinikaufenthalten. Dieser permanent steigende Bedarf trifft auf eine angespannte Personalsituation in den Heimen. Das hat Folgen für die Beschäftigten, so Gesundheitsökonom Greß – etwa ein hohes Aufkommen psychischer Erkrankungen sowie eine hohe Fluktuation. Untermalt ist dieses Szenario dann noch durch eine „geringe gesellschaftliche Wertschätzung“ des Berufs Altenpflege, die sich in einer geringen Entlohnung ausdrückt, wie Greß feststellte.
Die Gutachter, die eine gesetzliche Personalbemessung in der Altenpflege dringend empfehlen, verweisen auf Studien aus den USA, die „positive Effekte gesetzlicher Personalstandards auf die Pflegequalität“ nachwiesen. Greß kritisierte dagegen den deutschen „Flickenteppich mit höchst unterschiedlichen Personalschlüsseln nach Bundesländern“. Insofern sei die Einführung einer einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeinrichtungen, wie sie das Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) für den 30. Juni 2020 vorsieht, „ein echter Fortschritt“. Der Wissenschaftler bemängelte allerdings die Finanzierung und Überwachung des Vorhabens als „unklar“. Die Autoren der Studie empfehlen vor allem für den Übergangszeitraum bis Sommer 2020 die schnelle Bereitstellung von Geldern, um schon jetzt mehr Personal in der Altenpflege zu finanzieren. Greß und sein Kollege Stegmüller regen an, hierzu den bereits installierten Pflegevorsorgefonds in einen „Pflegepersonalfonds“ umzuwidmen. Mit den 1,2 Milliarden Euro jährlich könnten pro Jahr 38.000 neue Stellen bei einer Fachkraftquote von 50 Prozent finanziert werden. Greß warnte eindringlich davor, mit der Finanzierungsfrage bis 2020 zu warten.
Die folgende Diskussion machte deutlich, dass sich die Bundespolitik in der Analyse der Probleme in den Heimen einig ist. Nur die Frage, woher und wie schnell das Geld kommen soll, um die Misere zu beheben und ob die Ausbildung in der Altenpflege verändert werden muss, um den Beruf attraktiver zu gestalten, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.
Der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung Karl-Josef Laumann (CDU) lobte die Gutachter dafür, dass sie „den Status quo fair und reell“ wiedergeben. Zugleich wies er aber darauf hin, dass dieser Status quo nun einmal das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Einrichtungen in den Bundesländern sei. Um dies zu verändern, sei ja das Gesetz zur Personalbemessung auf den Weg gebracht worden. Auf den Vorschlag eines Pflegepersonalfonds ging er nicht ein. Laumann betonte dagegen, dass die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs – künftig wird der Pflegebedarf von Menschen mit psychischen oder dementiellen Einschränkungen besser berücksichtigt – vom Gesetzgeber mit insgesamt 2,5 Milliarden Euro hinterlegt wurde, davon stünden 800 Millionen allein im stationären Bereich zur Verfügung. Dieses Geld müsste in der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Personalbemessung eben zur Verbesserung der personellen Situation genutzt werden. „Das sind immerhin rund 20.000 Stellen, wenn die Mittel komplett für Personal genutzt würden“, so Laumann. Wenn die Kostenträger hier nicht aufstocken würden, werde er dies zu einem „Riesenthema“ machen, versprach der Pflegebevollmächtigte.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Hilde Mattheis unterstützte die zentrale Forderung des ver.di-Gutachtens, den Pflegevorsorgefonds, den sie als eine „Geldvernichtungsmaschine“ bezeichnete, in einen Pflegepersonalfonds umzuwandeln, um die akute Personalnot in der Altenpflege zu lindern. Zwar brauche man Zeit für eine vernünftige Personalbemessung, sie warnte hier vor „Schnellschüssen“, aber davon unbenommen seien aktuelle „Anreize in der stationären Altenpflege“.
Aus Sicht der pflegepolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke Pia Zimmermann zeigt die Studie, dass mehr Personal allein nicht den Fortschritt bringe, sondern dass hier die Fachkraftquote greifen müsse. Zimmermann betonte jedoch, dass es für die desolate Lage schnell eine Lösung brauche. „Wir müssen jetzt handeln“, forderte sie. Dazu gehören aus ihrer Sicht: ein auskömmliches Einkommen, verlässliche Dienstpläne, Weiterbildungsmöglichkeiten auch für Pflegehelfer, Durchlässigkeit im Beruf. Eine solide Finanzierung sieht sie in der BürgerInnenversicherung, die von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken unterstützt wird.
Elisabeth Scharfenberg, Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, spricht sich wie Hilde Mattheis von der SPD für den Pflegepersonalfonds aus, den das Gutachten vorschlägt. „Das ist schnelle Hilfe auf den Punkt.“ Auch sie will einen bundeseinheitlichen Personalschlüssel an die Fachkraftquote binden, damit nicht nur viel Personal kommt, sondern auch gutes. Sie wies zudem darauf hin, dass man „ein Auge auf die Selbstverwaltung haben“ müsse, die vor allem an geringen Kosten interessiert sei und daher kein Interesse an einer besseren Personalausstattung habe.
Bei so viel politischer Harmonie in Sachen gesetzlicher Personalbemessung legte Gewerkschafterin Sylvia Bühler den Finger in die Wunde und sprach von Zukunftsmusik. „Wir brauchen jetzt ein Signal, dass es besser wird, in diesem wunderbaren Beruf arbeiten zu können“, forderte sie. Es könne doch nicht sein, dass es über tausend Euro Unterschied in der Bezahlung von Bundesland zu Bundesland gebe. „Da werden Leute ausgebeutet“, so Bühler.
Bei der Frage, wie die Pflege attraktiver zu gestalten sei, appellierte sie aber auch an die Beschäftigten in der Altenpflege. „Ich gehe jetzt in ein anderes Haus, in dem die Arbeitsbedingungen besser sind“ – solch eine selbstbewusste Haltung sei vonnöten, um Arbeitgeber, die ihr Personal via Zwangsteilzeit, „hundsmiserabler“ Bezahlung oder befristeter Verträge ausnutzen, zu disziplinieren. Und die Gewerkschaft müsse mit der Wirtschaft reden. Pflege sei schließlich von hohem ökonomischen Interesse – denn wer pflegt die Angehörigen, wenn die Arbeitnehmer/innen ins Büro oder in die Werkhalle müssten?
Aus der Zuhörerschaft, die mit auffallend vielen Vertreter/innen der Praxis besetzt war, mit Betriebsrät/innen, Beschäftigten von Trägern oder Unternehmensberatern, kam die Forderung nach harten Sanktionen, wenn Kostenträger und Einrichtungen sich künftig nicht an die Personalbemessung halten würden. Hier sei die Heimaufsicht der Bundesländer gefragt.
Uta von Schrenk
Pflegepolitik, Pflegeversicherung, Digitalisierung im Gesundheitswesen
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