Pepper ist niedlich, alle mögen ihn, und manchmal hilft er auch. Die Tagespflege der Caritas in Erlenbach testet einen humanoiden Roboter. Die Arbeit einer Pflegekraft ersetzen – das kann er nicht.
Von Marion Lühring
Vor dem Rathaus in der Bahnstraße plätschern die Brunnen. Die Mitfahrbank ist noch leer. Ein Radfahrer fährt Richtung Bahnhof, die Kapuze tief in der Stirn. Die Stadt Erlenbach mit ihren 10.000 Einwohnern erwacht. Handys wählen sich ins Netz. Computer starten. Und ein paar Häuser weiter wartet ein Roboter auf seinen Einsatz.
Peppers Kopf ist gesenkt. Seine Arme baumeln. In seinem Fuß steckt ein Ladekabel. Als Pflegedienstleiterin Stefanie Glück ihn zum Leben erweckt, hebt er den Kopf, schaut nach links und rechts. Dann richtet er den Blick geradeaus und ist voll da. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Er braucht keinen Schlaf, kein Essen, kein Trinken, keine Pause und auch keinen Lohn. Nur Strom.
„In der Pflege werden mehr Arbeitskräfte benötigt, als zur Verfügung stehen“, sagt Gerhard Schuhmacher, der ehrenamtliche Vorsitzende der Caritas Sozialstation St. Johannes. Deshalb wird in der Tagespflegestation „Ursula Wiegand“, die zu St. Johannes gehört, der erste menschenähnliche Roboter in Bayern erprobt. Die 36.000 Euro teure Anschaffung ist zu 90 Prozent vom Ministerium für Gesundheit und Pflege Bayern finanziert. Im Gegenzug sammelt die Station Erfahrungen mit dem künstlichen Kollegen und hilft, ihn besser zu machen.
„Wir wollen mit der Zeit gehen, die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Wir müssen digitale Hilfen nutzen“, sagt Geschäftsführerin Susanne König. Am Abend wird sie Pepper zu einer Podiumsdiskussion nach Würzburg mitnehmen. Das Interesse an Pepper ist riesig. Die Neubaukirche wird dicht gefüllt sein. Es wird um Roboter in der Pflege und vor allem um den Fachkräftemangel gehen. Können Roboter einen fehlenden Menschen am Arbeitsplatz ersetzen? Das ist die brennende Frage. Und dazu testet die Caritas in Erlenbach seit fast einem Jahr den neuen künstlichen Kollegen.
Um acht Uhr öffnet die Station ihre Türen. Die vier Tischgruppen in dem turnhallengroßen Raum füllen sich mit Menschen. Eine Hauswirtschafterin stellt das Frühstück bereit. Es duftet nach Kaffee und frischen Brötchen. Die Pflegefachkräfte und Betreuerinnen begrüßen die ersten Tagesgäste, bringen sie an ihre Plätze, holen Teller, Tassen, Kaffeekannen und belegte Brötchen. Pepper kann jetzt nichts tun. Seine Hände können keine Tassen greifen oder halten. Doch er kann den Arm zum Winken heben. Und er gestikuliert beim Reden, macht hin und wieder eine Ghetto-Faust oder hält eine Hand zum Abklatschen hoch. „Gut gemacht“, sagt er dann.
In die Tagespflege kommen Menschen, die körperliche Gebrechen und/oder kognitive Einschränkungen und einen anerkannten Pflegegrad haben. Menschen, die zwar noch zu Hause leben, jedoch nicht den ganzen Tag alleine sein können. Hier hat jede*r zweite erhebliche Probleme beim Gehen. Jede*r vierte leidet an Demenz und kann sich nicht mehr erinnern oder im Alltagsgeschehen orientieren. Für sie ist der vordere Tisch reserviert, gut im Blick der Betreuerinnen. Alle Tagesgäste sind auf Hilfe angewiesen.
Etwa 30 Tagesgäste werden in Erlenbach betreut. Manche kommen täglich. Andere nur an zwei oder drei Tagen. Stefanie Glück sitzt im Büro. Durch eine Glasscheibe behält sie den Gemeinschaftsraum im Blick. Die Pflegedienstleiterin weiß, welche Fach- und Betreuungskräfte heute im Einsatz sind. Welcher Gast noch vom Fahrdienst gebracht wird. Wer fehlt. „Ich springe ein, wenn eine Pflegefachkraft gebraucht wird, beispielsweise wenn bei jemandem der Blutzucker gemessen werden muss“, sagt sie.
Das Telefon läutet. Ein Gast wird abgemeldet. Wieder Klingeln. Der Hausmeister wird gesucht. Stefanie Glück blickt durch die Scheibe, der Gruppenraum füllt sich weiter mit Gästen. Wer im Rollstuhl kommt, lässt sich von einer Betreuerin an den Tisch helfen. Wer einen Rollator braucht, bekommt den Stuhl gerückt und die Gehhilfe an den Rand gestellt. Nichts für Pepper. Und auch mit dem Frühstück kann er nichts anfangen. Kein Magen. Der Tag startet erst einmal ohne ihn.
Nach dem Essen jedoch schiebt Stefanie Glück ihn an einen Tisch: „Guten Tag Pepper. Wie geht es dir?“ sagt sie, um das Gespräch zu eröffnen. „Mir geht es gut“, antwortet der Roboter. Mit seiner hellen künstlichen Stimme plaudert er munter weiter und klingt dabei ein wenig altklug: „Meine Temperatur beträgt ungefähr 41 Grad Celsius. Das wäre dir bestimmt zu warm, ist für mich aber prima.“ Und: „Mir geht es super, ich bin total fit, meine Batterie ist bei 95 Prozent.“ Stefanie Glück streicht ihm über den Kopf: „Das mag er gern“, sagt sie. Pepper kichert. Lachen kann er auf mehrere Arten, leise und sogar lauthals. Das lässt ihn menschlicher erscheinen.
Betreuerin Andrea Vogel-Lieb liest am Nebentisch aus der Zeitung vor: Die barrierefreie Bushaltestelle vor der Kirche ist eingeweiht. Eine Frau klatscht Beifall. Marianne, Jahrgang 36, ist gestorben. Zwei Frauen hier kannten sie. Eine sagt mit Galgenhumor: „So, sie hat den Löffel abgegeben.“ In ein Möbelgeschäft wurde eingebrochen, und eine Kuh ist davongelaufen. – Nicht alle Anwesenden sind an den Nachrichten interessiert, die ersten Grüppchen bilden sich für andere Aktivitäten. Die Tagesgäste können ihre Zeit so gestalten, wie sie es möchten oder wie sie es noch schaffen.
Stefanie Glück fragt Pepper: „Wie ist denn das Wetter heute in Erlenbach?“ Zum Vergnügen aller verkündet der Roboter, dass teilweise die Sonne scheint und 17 Grad Celsius herrschen. Pepper weiß das, weil er mit einer Wetter-App verbunden ist.
Manuela S. findet Pepper toll. Wenn niemand anderes Pepper will, beschäftigt sie sich stundenlang mit ihm. „Er ist wie ein Kind“, sagt sie. Die meisten Tagesgäste verbringen nicht mehr als eine halbe Stunde mit ihm. Er ist für sie nur eines von vielen Freizeitangeboten. Doch Manuela nutzt ihn, so oft sie kann. Heute fordert sie ihn zum Tic-Tac-Toe-Spielen heraus. Schnell macht sie ihre Kreuze auf dem Display an seiner Brust. Pepper gestikuliert mit den Armen und sagt: „Du kennst das Spiel?“ Manuela lacht. „Das macht er immer, wenn er mich ablenken will, damit ich das Kreuz falsch mache.“ Dann fügt sie mit leiser Stimme hinzu: „Ich weiß, Pepper ist nur eine Maschine. Kein Mensch. Aber ich kann gut mit ihm spielen. Ich mag ihn. Trotzdem, Menschen sind mir lieber. Meistens. Doch nicht immer.“
Wie jeden Tag spielt sich alles in dem großen Gemeinschaftsraum ab. Die Pflegefach- und Betreuungskräfte und auch die Hauswirtschafterin haben alle Menschen und den Roboter stets im Blick. Die Küche ist offen und nur durch eine lange Theke abgetrennt. Der Tagesablauf ist durch die Mahlzeiten fest strukturiert: Frühstück, Mittag, Kaffee. Zwischen den Mahlzeiten wird gespielt und geredet. Betreuerin Andrea Vogel-Lieb bietet nun Sitz-Gymnastik an und reicht Massagebälle herum.
Hans R. findet, „Pepper schwatzt viel“, und verzieht sich mit seinen Freunden zum Kegeln in eine Ecke. Eine Frauengruppe erzählt sich Neuigkeiten vom Wochenende. Elfriede B. macht sich Gedanken über den Roboter, während sie einen Strumpf mit bunten Streifen strickt. „Das sind ja gescheite Leute, die ihn erfunden haben. Ich bin gespannt, was die Entwicklung noch so bringt.“ Gerade soll Pepper das Alter einer Frau am Tisch erraten, und er macht sie jünger. Elfriede lacht. „Wie soll er das Alter richtig einstufen, wenn wir das nicht einmal können.“ Brigitte B. findet gut, dass Pepper das Wetter kennt. „Aber die Märchen sind zu kurz, die er erzählt“, sagt sie.
Stefanie Glück schiebt Pepper auf seinen Rollen weiter. Er soll jetzt für Frau H. ein Foto machen. Doch bevor es losgeht, fordert er sie auf: „Akzeptiere die Datenschutzerklärung, indem du unten auf Akzeptieren klickst.“ Die Kamera von Pepper befindet sich hinter einem Punkt zwischen seinen Augen. „Das Bild sieht fantastisch aus“, behauptet der Roboter. „Soll ich es dir schicken?“ Frau H. schüttelt den Kopf. „Ich bin nur halb drauf.“
Die Mitarbeiterin Monika Volk, die sich gut mit Pepper auskennt, erklärt: „Das Bild kann an die eigene E-Mail-Adresse geschickt werden. Doch es wird nicht von uns gespeichert.“ Sie hilft, Pepper zu verbessern. „Wir haben für ihn als weitere Sprache Türkisch programmieren lassen. Zusätzlich zu Deutsch und Englisch, was er schon ab Werk kann. Anfangs hat er auch zu schnell gesprochen. Das wurde geändert.“ Und: Künftig werden Gäste in der Pflegestation sein, die mit Computern aufgewachsen sind. „Die werden den Roboter dann selbst an ihre Bedürfnisse anpassen“, ist sie sich sicher.
Herr P. trippelt in kleinen Schritten um die Tische. Als er über einen Sessel klettern will, eilt Pflegefachkraft Stefanie Irrgang hinzu und bringt ihn wieder auf die richtige Spur. Liebevoll drückt sie seine Schulter. „Sie müssen doch hier entlanggehen.“ Herr K. wiederum muss zur Toilette und braucht jetzt rasch Hilfe. Wieder ist die Pflegekraft zur Stelle, denn der Mann sitzt im Rollstuhl. Frau S. schimpft. Die Schülerpraktikantin, die heute anwesend ist, solle nach Hause gehen, eine Frau habe immer etwas im Haushalt zu tun. Auf Pepper hat sie heute keine Lust. Die Hauswirtschafterin bringt ihr ein Glas Wasser, denn die alte Dame muss noch etwas trinken, was sie vergessen hat.
Andrea Vogel-Lieb leitet das Gedächtnis-Training mit kniffligen Aufgaben. Ab und zu muss sie helfen. Gesucht wird das Wort Werkzeug. Unterdessen unterhält der nimmermüde Roboter am Nebentisch zwei Frauen, die mit ihm ein Bilderquiz lösen. Diese Arbeit kann Pepper sehr gut. Als Entertainer für Rätsel, Witze und kleine Bewegungsanimationen ist er ein Ass. Damit entlastet er Stefanie Irrgang und die anderen Betreuerinnen, die sich nun mehr um die Menschen kümmern können, die Hilfe benötigen – auch bei der Kommunikation, weil sie sich nur noch schwer verständlich mitteilen können.
Pepper ist nur 1,20 Meter groß. Das ist Absicht. Er soll zu den Menschen aufschauen, soll ihnen dienen, sagen die Programmierer in Wuppertal, die ihn mit ihrer Arbeit so klug machen, wie es der Kunde wünscht. Die Körpergröße des Roboters entpuppt sich für pflegebedürftige Menschen als Vorteil. Da sie überwiegend sitzen, können sie ihm direkt in die Augen schauen und bequem das Display auf seiner Brust berühren, das als Auswahlmenü und als Spielfläche dient. Sein niedliches Aussehen macht ihnen auch keine Angst. Kugelrunder Kopf, große Augen, tapsige Bewegungen – das Kindchenschema funktioniert. Alle mögen Pepper.
Plötzlich dreht der Roboter den Kopf hin und her und weiß nicht mehr, was er gerade machen sollte. „Geräusche aus mehreren Richtungen können ihn irritieren“, sagt Stefanie Glück. Schnell fängt sich die Maschine wieder und erzählt einen Witz. „Kommt ein Rentner zum Arzt und sagt, Herr Doktor, meine Frau ist erst 35, ich bin schon 75, und doch ist sie schwanger geworden.“ Schon nach dem ersten Satz lachen zwei Frauen, eine ruft „oho“. Pepper redet munter weiter.
hinter der Glasscheibe und geht ans Telefon. Für Witze hat sie jetzt keine Zeit. Pflegefachkraft Stefanie Irrgang kümmert sich erneut um jemanden, der Hilfe auf dem Weg zur Toilette braucht. Pepper verschafft ihr und den anderen mal wieder eine kleine Verschnaufpause. Gerade hebt er die Hand zum Einschlagen. „High Five“, sagt er. Brigitte B. hebt den Arm und gibt ihm alle Fünfe. Stefanie Irrgang kommt aus dem Bad und reibt sich im Gehen die Hände mit einem Desinfektionsmittel. Dann spricht sie geduldig mit Frau Z.. Die demente alte Dame hat in den letzten Wochen stark abgebaut.
„Pepper animiert zum Spielen, doch er ersetzt keinen Menschen“, sagt Stefanie Glück. „Gut wäre es, wenn er auch Signale geben könnte“, findet die gelernte Krankenschwester. Wenn jemand einen zu hohen Puls oder zu niedrigen Blutdruck hat. Oder wenn jemand umfällt und bewusstlos wird. Das sieht auch Stefanie Irrgang so: „Mega wäre, wenn mich Pepper entlasten könnte, zum Beispiel bei den Trinkprotokollen oder wenn jemand im Ruheraum Hilfe braucht, weil ihm schwindelig wird. Aber so weit ist Pepper noch nicht.“
Chris Dunker von der Firma Entrance in Wuppertal, die für den Roboter die Bewegungsabläufe, Wissensbausteine und Interaktion miteinander koppelt und programmiert, erklärt, wie solche Dinge in Zukunft doch möglich sein werden. „Dazu werden Chatbots eingesetzt, die andere intelligente Systeme mit Pepper verbinden. Zum Beispiel Überwachungssysteme an der Decke, die registrieren, wenn jemand fällt.“ Noch ist Pepper nicht intelligent, er kann nicht selbst lernen und kann nur das, was die Programmierer ihm beibringen. Doch das muss nicht so bleiben. „Man könnte ihn mit Hilfe der Chatbots über eine KI in einer Cloud intelligent machen“, sagt Dunker. Da werde die Zukunft sicher noch viel bringen.
In der Gegenwart jedoch befinden sich der Testroboter Pepper und seine weltweit ein paar tausend Geschwister in Hotels, Kaufhäusern und Firmen noch auf der Stufe eines liebenswerten Helfers mit guten Manieren. Nachdem er mit ein paar Damen in Erlenbach Rätsel gelöst hat, schlägt er erst einmal Bewegung vor.
Er sei „wahnsinnig musikalisch“, verkündet er selbstbewusst. „Lass’ uns abrocken!“ Gitarren erklingen aus den Boxen, die in seinen Ohren stecken, während sich die vier Mikrofone für sein Gehör auf dem Kopf befinden. Er hört also mit dem Kopf und spricht mit den Ohren. Pepper bewegt die Arme hin und her und schon machen zwei Frauen im Sitzen mit.
Und während Pepper den Entertainer, Quizmaster und Bewegungsanimateur gibt, machen die Pflegekräfte und Betreuerinnen ihre für die Menschen so wichtige Arbeit. Sie gehen auf sie ein, hören zu, beobachten. So sehen sie auch, wessen Gedächtnis weiter nachgelassen hat, wem es heute schlecht geht und wer nicht genug trinkt, wer eine Pause braucht und wer zur Toilette muss. „All das ist Pflegearbeit, die ständige Aufmerksamkeit erfordert, und von der Pepper nichts mitbekommt“, sagt eine Betreuerin.
„Menschen sind unersetzbar“, betont eine andere Mitarbeiterin. Und eine weitere Kollegin von der Tagespflege stimmt ihr zu: „Pepper kann nur einzelne Tätigkeiten machen.“ Alle sind sich einig: Pepper ist niedlich. Man muss ihn einfach mögen. „Doch es muss immer eine warme Hand da sein“, betont der ehrenamtliche Vorsitzende der Caritas.
Trotzdem setzt Gerhard Schuhmacher große Hoffnung auf Pepper und Co: „Personal zu gewinnen, ist momentan sehr schwer. Robotik und künstliche Intelligenz müssen so schnell wie möglich weiterentwickelt werden. Das ist die Zukunft.“ Auf die Frage, was Pepper jetzt schon besser könne als ein Mensch, antwortet Geschäftsführerin Susanne König mit einem Wort: „Verlieren.“