Organisieren für den Tarifvertrag

Beschäftigte der AWO Rheinland wollen niedrigere Löhne nicht länger hinnehmen und bauen systematisch Durchsetzungskraft auf. Zahl der ver.di-Mitglieder hat sich vervielfacht.
13.02.2023


»Wir wollen endlich mitreden«, erklärt die Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei der AWO Rheinland Altenhilfe GmbH, Nina Mai. Seit Jahren legen die Arbeitgeber die Bezahlung der rund 1.700 Beschäftigten in den 14 rheinland-pfälzischen Pflegeheimen über »Allgemeine Vergütungsbedingungen« fest. Pflegehilfskräfte, aber auch zum Beispiel Betreuungskräfte und Wohnbereichsleitungen verdienen monatlich hunderte Euro weniger als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Servicebeschäftigte werden mit dem Gebäudereiniger-Mindestlohn abgespeist. Klar ist: Das lässt sich nur mit einer starken Gewerkschaft ändern.

»Wir haben ganz viele Gespräche geführt und immer wieder erklärt, dass wir nur gemeinsam etwas erreichen können«, berichtet die Pflegefachkraft Tanja Leclerc aus dem AWO-Seniorenzentrum Höhr-Grenzhausen. Die Alleinerziehende, die jeden Euro zweimal umdrehen muss, war zunächst selbst skeptisch. Lohnt sich das? Nach vielen Gesprächen entschied sie: ja. »Die Beschäftigten wurden jahrelang  nicht angemessen vergütet, jetzt sind wir dran. Der Arbeitgeber muss endlich in die Pötte kommen und die Bedingungen verbessern – mit einem Tarifvertrag.«

 
Nina Mai, Tanja Leclerc und Michaela Schmittuz (v.l.n.r.) machen Dampf für den Tarifvertrag.

Für die Verwaltungsfachangestellte Nina Mai steht fest, dass dieser für alle Beschäftigten gelten muss – auch für die Kolleg*innen aus Küche, Reinigung und Wäscherei, die in einer separaten Servicegesellschaft angestellt sind. »Wir arbeiten alle in einem Haus, deshalb muss für alle dasselbe Tarifwerk gelten«, betont die Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Ziel ist das Niveau des TVöD. Aktuell ist die AWO Rheinland davon meilenweit entfernt. Insbesondere langjährige Beschäftigte in der Hauswirtschaft sind massiv benachteiligt. Hilfs- und Betreuungskräfte oder Wohnbereichsleitungen verdienen teils mehrere hundert Euro monatlich weniger als im öffentlichen Dienst.

Eigentlich müssten auch die Arbeitgeber ein Interesse daran haben, die Lücke zu schließen, gibt Nina Mai zu bedenken. Denn mit Löhnen unter dem Branchendurchschnitt könne die AWO in der Konkurrenz um Arbeitskräfte nicht mithalten. Schon jetzt kehrten viele Kolleg*innen dem Wohlfahrtsverband den Rücken, weil sie anderswo besser bezahlt werden. Zudem würden von den Kostenträgern nur Tarifverträge anerkannt. »Auch für eine sichere Refinanzierung durch die Pflegekassen braucht es also einen Tarifvertrag«, stellt Nina Mai fest. So, wie es in den AWO-Gliederungen in der Pfalz und an der Saar längst der Fall ist.

Systematische Organisierung

Doch von alleine bewegen sich die AWO-Arbeitgeber im Rheinland nicht, das haben sie in den vergangenen Jahren stets gezeigt. Die ver.di-Aktiven haben deshalb systematisch versucht, ihre Kolleg*innen anzusprechen und zu organisieren – unter anderem mit »Organizing-Blitzen« und einer Petition, mit der sich die Mehrheit der Beschäftigten für den Tarifvertrag ausspricht. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder hat sich im Zuge der Aktionen mehr als vervierfacht. In einigen Pflegeeinrichtungen ist ver.di inzwischen sehr gut aufgestellt, in anderen aber noch zu schwach.

Sobald ein Organisationsgrad von mindestens 30 Prozent erreicht ist, wird ver.di die AWO Rheinland zu Tarifverhandlungen auffordern. »Um einen guten Tarifvertrag durchzusetzen, brauchen wir  das Engagement der Beschäftigten. Es liegt an der Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, diese Auseinandersetzung gemeinsam zu führen«, erklärt der ver.di-Landesfachbereichsleiter Frank Hutmacher. Eine Tarifkommission haben die Mitglieder bereits gewählt. »Wir meinen es ernst«, betont der Gewerkschafter. Das gilt auch für Tanja Leclerc. Die Pflegefachkraft hat schon mehr als 30 Kolleg*innen überzeugt, ver.di beizutreten. Wenn dieser Einsatz in allen Einrichtungen Schule macht, sind die Tarifverhandlungen nicht mehr weit.

 

Weiterlesen

1/12