»Sparen, bis es quietscht.« Dieses einst vom Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit geprägte Motto ist die Geschäftsidee kommerzieller Pflegeheimbetreiber. Mit allen Mitteln versuchen sie, etwas zu tun, das bei hochwertiger Versorgung und guten Arbeitsbedingungen unmöglich wäre: In der Altenpflege Profite zu maximieren. Der Gesetzgeber muss dem einen Riegel vorschieben.
»In den kommerziellen Pflegeeinrichtungen ist alles auf Effizienz und Kostensenkung getrimmt«, sagt Susanne Mayer*. Die examinierte Altenpflegerin weiß, wovon sie spricht – und welche Folgen das im Arbeitsalltag hat. Sie arbeitet in einem kommerziellen Pflegeheim in Nürnberg, steht in engem Austausch mit Kolleg*innen anderer Einrichtungen. »Die Bedingungen sind überall in der Altenpflege schwierig und sehr belastend. Doch bei den Kommerziellen kommt zu allem noch der Renditedruck – ihnen geht es einzig ums Geld.«
Das zeigt sich zum Beispiel bei Arbeitsmitteln und Hygienematerial. »Alles ist abgezählt und ganz knapp berechnet«, berichtet Susanne Mayer. »Immer wieder fehlt es an Handtüchern, Inkontinenzeinlagen, Waschlappen oder anderem Material, das man für die Pflege einfach braucht.« Dann müssen die Pflegekräfte in ihrer knapp bemessenen Zeit auch noch durchs Haus laufen, um irgendwo fehlendes Material aufzutreiben. Finden sie nichts, trocknen sie mit dem nassen Handtuch von der anderen Seite ab. Oder sie nutzen statt zwei nur einen Waschlappen – für den ganzen Körper, inklusive Intimbereich. »Es kann einfach nicht sein, dass wir als Pflegekräfte keine passenden Handschuhe zur Verfügung haben. Ich habe Kolleg*innen erlebt, die in ihrer Pause sogar Müllbeutel gekauft haben, weil es selbst daran fehlte.«
Auch am Essen wird gespart. So erzählen Kolleg*innen, deren Einrichtung verkauft wurde: Am Anfang gibt es Bäckerbrot, dann wird stattdessen beim Discounter eingekauft, und schließlich gibt es nur noch »das Billigste vom Billigen«. Möchte jemand einen zweiten Joghurt oder eine extra Scheibe Käse? Geht leider nicht. »Alles ist rationiert. Und wenn die Bewohner*innen zu Recht sauer sind, dass sie trotz hoher Eigenbeiträge schlechtes Essen bekommen, kriegen wir es ab«, erklärt die Pflegerin.
Zu den vermeintlich kleinen kommen die großen Probleme: Es wird viel zu wenig Personal eingesetzt – auch weil es an verbindlichen Vorgaben fehlt. »Da brechen Leute weinend zusammen, weil trotz krasser Unterbesetzung noch neue Bewohner*innen aufgenommen werden«, sagt Susanne Mayer. »Und warum? Weil jeder belegte Platz, jede vorübergehend nicht besetzte Stelle bares Geld bringt.« Manche Konzerne kalkulieren mit Belegungsquoten von 95 Prozent, für die sie aber das entsprechende Personal nicht vorhalten. Fallen Beschäftigte aus oder werden krank, gibt es keinen Ersatz. Die Folge sind Abstriche an der Qualität. Da werden Lagerungs- oder Trinkprotokolle gefälscht, »weil es zeitlich einfach unmöglich ist, sie zu erfüllen«. Leidtragende sind die Menschen, die auf gute Pflege angewiesen sind. Und die Beschäftigten, von denen immer mehr die Altenpflege verlassen. »Im Alltag haben die Kolleg*innen das Gefühl, solange unter miserablen Bedingungen arbeiten zu müssen, bis sie selbst völlig aufgebraucht, verschlissen und kaputt sind. Und niemanden interessiert es«, kritisiert die 34-Jährige. Ein Blick in die Statistik belegt das: Die Zahl der durchschnittlichen Krankheitstage lag 2021 für alle Branchen bei 13,9 Tage im Jahr. In der Altenpflege waren es mit 25,8 Tagen fast doppelt so viele.
»Es ist höchste Zeit, das Profitstreben in der Altenpflege zu beenden«, betont Matthias Gruß, der bei ver.di für die Altenpflege zuständig ist. Er verweist auf das Beispiel Burgenland: In dem österreichischen Bundesland dürfen Pflegeeinrichtungen ab 2024 nur noch von gemeinnützigen Gesellschaften betrieben werden, die Überschüsse unmittelbar in die Verbesserung der Pflege reinvestieren. »Auch hierzulande sollten Konzerne und Hedgefonds nicht länger Sozialbeiträge und Steuergeld aus dem System ziehen können. Dafür muss der Gesetzgeber sorgen.« Zudem seien bedarfsgerechte Personalvorgaben und flächendeckende Tarifverträge nötig, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und eine gute Versorgung sicherzustellen. Werden die Personalvorgaben in Pflegeheimen nicht erfüllt, müsse es Konsequenzen, zum Beispiel Aufnahmestopps geben. »Für Beschäftigte würde das die Altenpflege attraktiver machen – und unattraktiver für Investoren, die nur auf der Jagd nach dem schnellen Geld sind.«
*Name von der Redaktion geändert
Mit Curata und Convivo haben im Januar gleich zwei große Pflegeheimbetreiber mit insgesamt fast 8.000 Beschäftigten Insolvenz angemeldet. 22.000 pflegebedürftige Menschen wissen nicht, ob sie dauerhaft in ihrer Einrichtung bleiben können bzw. weiter ambulant versorgt werden. Convivo hatte sich wohl bei der Expansion verhoben. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler kritisierte: »Verunsicherung und Zukunftsangst – das ist es, wohin maßloses Profitstreben in der Altenpflege führt.«