Seit 1. September 2022 gilt die Tariflohnpflicht in der Altenpflege. Im Folgenden stellen wir einige Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Verfügung.
Diese werden von uns im Laufe der Zeit ergänzt.
Stand der Bearbeitung: 22. September 2022
Bitte beachtet, dass wir euch nur allgemeine Einschätzungen geben können. Bei persönlichen Ansprüchen gegenüber dem Arbeitgeber kommt es immer auf den Einzelfall und das jeweilige Arbeitsverhältnis an. Deshalb wende dich für individuelle Fragen an den Betriebs-, Personalrat oder die Mitarbeitervertretung in deinem Betrieb. Darüber hinaus unterstützt dich auch immer deine ver.di vor Ort.
Die (Lohn-)ansprüche der Beschäftigten ergeben sich weiterhin aus dem Arbeitsvertrag, den Betriebsvereinbarungen, den für die Einrichtungen oder den Träger geltenden Tarifverträgen so wie aus der 5. Pflegearbeitsbedingungenverordnung (5. PflegeArbbV).
Das Gesetz regelt nur das Vertragsverhältnis zwischen Träger und Pflegekasse. Daraus ergeben sich zunächst keine direkten und unmittelbaren Ansprüche für die Beschäftigten (im Gegensatz zum Pflegemindestlohn, der in der 5. PflegeArbbV geregelt ist und die einen verbindlichen Rechtsanspruch begründet).
Um den Anforderungen der Tariflohnpflicht zu genügen, muss der Arbeitgeber, abhängig von der gewählten Option, die Inhalte der Arbeitsverträge der Beschäftigten anpassen. Er kann also eine Tarifbindung eingehen, den Beschäftigten Änderungsverträge für ihre Arbeitsverträge vorlegen, Gesamtzusagen machen und/oder ein einseitig festgelegtes Entgeltsystem einführen. In Betrieben mit betrieblichen Interessenvertretungen (Betriebs-/Personalräten, Mitarbeitervertretungen) sind ggf. entsprechende Mitbestimmungspflichten durch den Arbeitgeber einzuhalten.
Nein. Der Gesetzgeber hat mit der sogenannten „Tariflohnpflicht“ lediglich Bedingungen für den Abschluss eines Versorgungsvertrages eingeführt, die auf die Höhe der Entlohnung zielen. Jede Pflegeeinrichtung benötigt einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen, um Leistungen der Pflege mit den Kassen abrechnen zu können.
Je nach Wahl der Option (siehe Frage „Woran muss sich mein Arbeitgeber bei der Entlohnung halten?“) können die Löhne sich auch weiterhin zwischen den Pflegeeinrichtungen und sogar zwischen den Beschäftigten innerhalb einer Einrichtung unterscheiden.
Im Gegensatz zu einem echten Tarifvertrag, ergeben sich aus der Tariflohnpflicht keine direkten und unmittelbaren Rechtsansprüche für die Beschäftigten. Damit der Arbeitgeber die Anforderungen der Tariflohnpflicht erfüllen kann, muss er die Arbeitsverträge entsprechend anpassen. Auf deren Inhalte wiederum haben die Beschäftigten verbindlichen Anspruch.
Die Tariflohnpflicht betrifft alle Betriebe im Sinne des §71 SGB XI, die einen Versorgungsvertrag nach §72 SGB XI mit der Pflegekasse haben. Dies sind: ambulante Pflegedienste, ambulante Betreuungsdienste sowie stationäre Pflegeeinrichtungen.
Keine Pflegeeinrichtungen im Sinne des Gesetzes, und auf die „Tariflohnpflicht“ deshalb nicht zutrifft, sind:
a. stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung oder zur sozialen Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen
b. Krankenhäuser
c. Räumlichkeiten,
i. in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vordergrund steht,
ii. auf deren Überlassung das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz Anwendung findet und
iii. in denen der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Menschen mit Behinderungen durch Leistungserbringer regelmäßig einen Umfang erreicht, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht; bei einer Versorgung der Menschen mit Behinderungen sowohl in Räumlichkeiten im Sinne der Buchstaben a und b als auch in Einrichtungen im Sinne der Nummer 1 ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, ob der Umfang der Versorgung durch Leistungserbringer weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.
Ab dem 1.9.2022 erhalten nur noch Pflegeeinrichtungen bzw. Pflegedienste (ambulant/stationär/teilstationär) einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen, wenn sie ihre Pflege und Betreuungskräfte nach einem Tarifvertrag oder einer kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinie (AVR) oder auf der Höhe des regionalen tariflichen Entgeltniveaus bezahlen. (§72 Abs. 3 a 3 g und §82 c SGB XI)
Dabei können die Träger aus folgenden Optionen wählen:
Option 1: Abschluss eines eigenen Tarifvertrags (oder Beitritt in einen tarifgebundenen Arbeitgeberverband).
Option 2: Dynamische „Anwendung“ der Entlohnungsbedingungen eines in der Region geltenden Tarifvertrags, sofern dieser das regional übliche Tarifniveau nicht um mehr als 10 Prozent übersteigt.
Option 3: (erst nachträglich hinzugekommen): Durchschnittliche regionale tarifliche Entlohnung von Pflege- und Betreuungskräften im Durchschnitt der jeweiligen Entgeltgruppe und Zahlung der durchschnittlichen regionalen, tariflichen, pflegetypischen variablen Zuschläge. Dies darf um nicht mehr als 10 Prozent überschritten werden.
Einzelheiten regeln Richtlinien des GKV Spitzenverbands.
Ein genereller Informationsanspruch für Beschäftigte besteht vermutlich nicht. Ein Anspruch auf Auskunft vom Arbeitgeber könnte jedoch vorhanden sein, wenn Beschäftigte Leistungen geltend machen wollen und dafür die Informationen erforderlich sind.
Dazu gibt es noch keine einschlägige Rechtsprechung.
Die Bestimmungen gelten ausschließlich in Bezug auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Leistungen der Pflege oder Betreuung von Pflegebedürftigen erbringen. Dies umfasst insbesondere Pflege- und Betreuungskräfte ohne mindestens einjährige Berufsausbildung, Pflege- und Betreuungskräfte mit mindestens einjähriger Berufsausbildung und Fachkräfte in den Bereichen Pflege und Betreuung mit mindestens dreijähriger Berufsausbildung.
Seit dem 31. August 2022 mussten alle Versorgungsverträge der Träger entsprechend der neuen Vorgaben angepasst werden. Die Tariflohnpflicht gilt seit dem 1. September 2022. Welchen gegebenenfalls höheren Lohnanspruch Beschäftigte haben, hängt von ihrem bisherigen Arbeitsvertrag ab und welchen Tarif der Arbeitgeber zur Anwendung bringt (siehe dazu auch „Auf welchen Lohn habe ich Anspruch“ und „Woran muss ich mein Arbeitgeber bei der Tariflohnpflicht halten?“)
Künftige Tarifsteigerungen müssen von „Anwendern“ im Sinne des Gesetzes (Option 2, siehe oben) innerhalb von zwei Monaten nachvollzogen werden. Entgeltniveausteigerungen müssen (bei Option 3, siehe oben) jeweils ab folgenden Januar nachvollzogen werden.
Um die Kriterien für einen Versorgungsvertrag mit den Kassen zu erfüllen, kann der Arbeitgeber die Entlohnungsbedingungen eines in der Region geltenden Tarifvertrags „dynamisch anwenden“ (Option 2, siehe auch „Woran muss ich mein Arbeitgeber bei der Entlohnung halten). Der Arbeitgeber kann hierzu gegenüber den Kassen einen gültigen Tarifvertrag benennen, der im entsprechenden Bundesland in mindestens einer Pflegeeinrichtung gilt. Auf dessen Höhe muss er seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Leistungen der Pflege oder Betreuung für Pflegebedürftige erbringen, bezahlen.
Für kirchliche Arbeitgeber gelten die o.g. Voraussetzungen in Bezug auf die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, wenn sie keine Tarifverträge anwenden.
Die angewendeten Tarifverträge und Arbeitsvertragsrichtlinien dürfen das durchschnittliche, regionale tarifliche Entgeltniveau um nicht mehr als 10 Prozent überschreiten.
Eine Übersicht der entsprechenden regionalen Tarifverträge und kirchlichen Regelungen, wird hier zur Verfügung gestellt: www.transparenzberichte-pflege.de
Wenn der Arbeitgeber einen Tarifvertrag anwendet (Option 2), muss er das regelmäßige Entgelt übernehmen. Dazu zählen die Grundvergütung, einschließlich Entgeltbestandteile, die an die Art der Tätigkeit, Qualifikation und Berufserfahrung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Region anknüpfen, sowie weitere Zulagen, Zuschläge und Gratifikationen, einschließlich Überstundensätze.
Die Anzahl der Urlaubstage etc. zählt nicht als Gehaltsbestandsteil.
Die Höhe der durchschnittlichen, regionalen, tariflichen Entgeltniveaus für die drei Entgeltgruppen sowie die durchschnittlichen regionalen, tariflichen, pflegetypischen variablen Zuschläge werden hier veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert: www.transparenzberichte-pflege.de
Die durchschnittlichen regionalen, tariflichen, pflegetypischen variablen Zuschläge werden ebenfalls veröffentlicht (www.transparenzberichte-pflege.de) und sind von den Trägern als zusätzliches Kriterium zu erfüllen.
Oberstes Gebot lautet: Finger weg vom Kugelschreiber! Um beurteilen zu können, ob sich die Änderungen unter dem Strich für den/die Beschäftigten lohnen, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden, was genau da unterschrieben werden soll. Viele Arbeitgeber nutzen die Gelegenheit um „alte Zöpfe abzuschneiden“. Beschäftigte sollen im Gegenzug zu Lohnerhöhungen auch Verschlechterungen (z.B. bei Arbeitszeit, Urlaub oder Zulagen, etc.) zustimmen. Hier ist genau abzuwägen. Ohne Zustimmung kann nichts abgesenkt oder verschlechtert werden.
Neben der Rücksprache mit dem Betriebs-, Personalrat oder die Mitarbeitervertretung in deinem Betrieb unterstützt dich als ver.di-Mitglied auch immer deine ver.di vor Ort.
Für die Beschäftigten ändert sich erst einmal nichts. Arbeitgeber, die bereits tarifgebunden waren, und in deren Tarifverträgen die Bezahlung von Pflege- und Betreuungskräften geregelt ist, erfüllen bereits die Anforderungen des Gesetzes.
Ja. Der Pflegemindestlohn nach der 5. PflegeArbbV definiert weiterhin für ungelernte Pflegekräfte, Pflegekräfte mit ein- oder zweijähriger Ausbildung und für examinierte Pflegefachkräfte eine verbindliche untere Haltlinie. Diese darf grundsätzlich nicht unterschritten werden. Ansprüche daraus können rechtlich geltend gemacht werden.
Der Verstoß gegen die Pflicht zur Zahlung des Pflegemindestlohns stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann im Einzelfall mit Geldbußen bis zu 500.000 Euro belegt werden.
Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass Mindestarbeitsbedingungen in der Pflegebranche künftig in einem Tarifvertrag geregelt werden können. Diesen Tarifvertrag kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales anschließend auf die gesamte Branche erstrecken. Einen solchen Tarifvertrag haben ver.di und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) 2021 verhandelt. Damit auf die ganze Branche hätte Anwendung finden können, hätten die Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Caritas und der Diakonie der Erstreckung des Tarifvertrags zustimmen müssen. Das haben die Arbeitgeber der Caritas und Diakonie nicht getan und somit bundesweit einheitliche Mindestbedingungen deutliche über dem Pflegemindestlohn verhindert. Die Tariflohnpflicht im SGB XI ist eine Folge dieser Verhinderung. (Siehe Wozu gibt es eine Tariflohnpflicht in der Altenpflege?)
Um jetzt und in Zukunft genügend Menschen für Pflege und Betreuung zu finden, müssen sich die Arbeitsbedingungen verbessern und die Gehälter flächendeckend deutlich steigen. Jedoch gibt es bisher keine Übereinkunft bei den Arbeitgebern, durch einen Branchentarifvertrag den ruinösen wirtschaftlichen Wettbewerb zu regulieren. Das Ergebnis: im Schnitt zu niedrige Löhne, die sich zwischen Regionen und Trägern drastisch in ihrer Höhe unterscheiden. Für die gleiche Tätigkeit bei gleicher Qualifikation gibt es nicht selten Unterschiede von 800€ und mehr. Viele Menschen sind nicht mehr bereit, unter diesen Bedingungen zu arbeiten und die Personalknappheit verschärft sich zunehmend. Der letzte Versuch einen Tarifvertrag mit guten Mindestbedingungen auf die gesamte Altenpflege zu erstrecken, ist an der scheinheiligen Blockade der Arbeitgeber der Caritas 2021 gescheitert.
Um die Löhne in der Fläche in der Altenpflege zu erhöhen, entschied sich die Bundesregierung mit Gesundheitsminister Jens Spahn dazu, im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI - Pflegeversicherung) den Trägern in der Altenpflege Bedingungen bzgl. der gezahlten Löhne zu setzen. Nur wenn sie diese Bedingungen erfüllen, können sie einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen abschließen und Leistungen abrechnen.
Dazu wurde das SGB XI mit dem GVWG entsprechend angepasst. (§§72 und 82c SGB XI)