In Hamburg war die Parole des ver.di-Aktionstags am Buß- und Bettag, dem 22. November 2017, weithin sichtbar: »Jeder dritte fehlt! Personalmangel in der Altenpflege« stand auf einem Transparent, das Aktivist/innen an einer Fußgängerbrücke über der großen Verkehrsader Hamburger Straße aufgehängt hatten. Zugleich machten Beschäftigte in verschiedenen Pflegeeinrichtungen der Hansestadt – wie im gesamten Bundesgebiet – auf die Personalnot aufmerksam.
Im Seniorenzentrum Hagenbeckstraße wurde ein Wohnbereich symbolisch gesperrt – »wegen fehlendem Personal«. Der Hintergrund: Im Sommer musste eine Etage des Pflegeheims geschlossen werden, weil das Haus die vorgeschriebene Fachkraftquote nicht erfüllen konnte. Vorher sei – selbst tagsüber – manchmal nur eine Fachkraft für sämtliche 76 Bewohnerinnen und Bewohner zuständig gewesen, berichtet die Betriebsrätin Antje Johnssohn. »Das ging gar nicht.« Die Leidtragenden seien die Pflegebedürftigen – und die Beschäftigten, die unzufrieden nach Hause gehen, weil sie die Menschen nicht so versorgen konnten, wie es sein sollte.
Antje Johnssohn arbeitet in der sozialen Betreuung. Auch hier sind die Bedingungen schwierig. Sie und ihre Kolleginnen bekommen lediglich den gesetzlichen Mindestlohn für Pflegehilfskräfte von 10,20 Euro, ab Januar 2018 von 10,55 Euro pro Stunde. Schon jetzt ist der 55-Jährigen klar: Wenn sie in Rente ist, muss sie auf 450-Euro-Basis weiterarbeiten, weil sie sonst nicht über die Runden kommt. »Ich finde es traurig wie mit uns und den pflegebedürftigen Menschen umgegangen wird«, sagt Johnssohn. Was sie motiviert, ist die Wertschätzung durch die Bewohner/innen. »Diese haben auch unsere Aktion für mehr Personal unterstützt«, berichtet Johnssohn: Sie sangen für die Beschäftigten das Lied der »Zehn Altenpflegerinnen«, in dem die Pflegekräfte immer weniger werden – bis irgendwann keiner mehr da ist.
Den Nerv getroffen hat ver.di mit dem Aktionstag auch bei der AWO im niederrheinischen Moers, wo sich mehr als 100 Beschäftigte für die »virtuelle Menschenkette« fotografieren ließen. Am Abend wollten die Aktiven – gemeinsam mit Bündnispartnern aus Verbänden, Mitarbeitervertretungen und Gewerkschaften – noch eine reale Menschenkette um das Johannes-Rau-Haus der Arbeiterwohlfahrt in Moers bilden, um deutlich zu machen: Die Altenpflege braucht mehr Personal. Hajo Schneider von Gesamtbetriebsrat der AWO-Seniorendienste Niederrhein ist davon überzeugt, dass Aktionen wie diese einiges bewirken. ver.di habe es geschafft, dass sich die Parteien mit der Situation in der Alten- und Krankenpflege beschäftigen. »Wir brauchen aber ernsthafte Entlastung, nicht nur ein paar Krümel«, stellt der Gewerkschafter klar. Das gelte nicht nur für die Pflege, auch Verwaltung, Haustechnik und andere Bereiche seien überlastet.
Martin Nestele von der BruderhausDiakonie in Stuttgart hofft ebenfalls darauf, dass die politisch Verantwortlichen etwas tun. Unter anderem durch den Auftritt des Pflege-Azubis Alexander Jorde, der die Kanzlerin in der ARD mit den Realitäten in der Pflege konfrontierte, sei der Pflegenotstand zum Wahlkampfthema geworden. »Das müssen wir nutzen und weiter Druck machen«, meint der Mitarbeitervertreter. »Als erster Schritt muss ein Sofortprogramm dafür sorgen, dass ein Personalschlüssel von zwei Bewohnern auf eine Pflegekraft nicht unterschritten wird.«
Gemeinsam mit einer Gruppe von Aktiven machte Nestele eine »Tour durch Stuttgart«: Sie besuchten nacheinander Pflegeeinrichtungen verschiedener Trägerschaften, eine Altenpflegeschule und sprachen dann auf einer Vollversammlung von Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Heimstiftung. »Dabei haben wir deutlich gemacht: Wenn wir uns Gehör verschaffen wollen, müssen wir mehr werden und uns besser organisieren«, so Nestele.
Im nordrhein-westfälischen Viersen sorgen gut 50 Beschäftigte mit einem »Marsch der Solidarität« für Aufmerksamkeit. »Das war ein guter Anfang«, sagt Björn Rudakowski, der als Krankenpfleger in einem Seniorenheim der Diakonie arbeitet. Ziel sei auch gewesen, Beschäftigte und Interessenvertretungen verschiedener Einrichtungen miteinander zu vernetzen. Denn unabhängig von der Trägerschaft seien alle Pflegeheime personell dramatisch unterbesetzt. »Deshalb brauchen wir eine bundesweite Personalbemessung, die für alle Schichten und alle Bereiche vorschreibt, wie viele Pflegekräfte zur Verfügung stehen müssen«, fordert Rudakowski. »Hier sollten Kirchen, Gewerkschaften und viele andere an einem Strang ziehen.«
Solidarität demonstrierten auch die rund 200 Menschen, die das AWO-Zentralhospital in Görlitz mit einer Menschenkette umringten. Mit dabei waren Bewohner/innen, Angehörige und Beschäftigte des Hospitals, aber auch Gewerkschafter/innen anderer Betriebe – inklusive Arbeiter des von der Schließung bedrohten Siemens-Werks. Markus Schlimmbach vom DGB Sachsen stellte klar, dass der Gewerkschaftsbund die ver.di-Forderung nach einer verbindlichen bundeseinheitlichen Personalbemessung in der Altenpflege voll unterstützt.
In der Ruhrgebietsstadt Recklinghausen bildeten Beschäftigte verschiedener Einrichtungen eine Menschenkette auf dem Altstadtmarkt. »Seit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 findet eine ständige Rationalisierung statt«, kritisiert Detlev Beyer-Peters vom AWO-Seniorenzentrum Recklinghausen, wo der Betriebsrat die Personalnot bereits bei einer Betriebsversammlung am 15. November zum Thema gemacht hat. »Schon wenn nur einer ausfällt, müssen andere Überstunden machen oder Einspringen – es gibt überhaupt keine Reserve.« Auszubildende müssten auf anderen Stationen aushelfen, für ihre praktische Anleitung fehle oft die Zeit.
Die Erklärung der Arbeitgeber, sie könnten wegen des Fachkräftemangels nicht für Entlastung sorgen, lässt Beyer-Peters nicht gelten. »Es gibt bei uns mehr als genug Leute, die ihre Arbeitszeiten gerne aufstocken würden«, berichtet der Interessenvertreter. Das Potenzial sei da – es müsse aber genutzt und finanziert werden.
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