»Weit und breit keine Bibliothek«

07.11.2023

Bibliotheken fehlt Geld und Personal. Viele können nicht mal die regulären Öffnungszeiten aufrechterhalten. Der neue Sprecher der ver.di-Bundesfachkommission Holger Sterzenbach, erklärt im Interview, warum die Diskussion über eine Sonntagsöffnung völlig an der Realität vorbeigeht.

 
Holger Sterzenbach ist neuer Sprecher der ver.di-Bundesfachkommission

Seit Jahren macht sich ver.di gegen eine Sonntagsöffnung von Bibliotheken stark. Zuletzt ist eine Klage dagegen in Nordrhein-Westfalen jedoch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gescheitert. Gibt ver.di ihren Widerstand gegen die Sonntagsöffnung jetzt auf?

Nein, auf keinen Fall. Das Thema bleibt auf unserer Tagesordnung. An unserer Position hat sich nichts geändert. Wir ziehen jetzt vors Bundesverwaltungsgericht. Allerdings kann es dauern, bis dort mit einem Urteil zu rechnen ist. Danach sehen wir weiter. Aber fest steht: Der Schutz der Beschäftigten hat für uns oberste Priorität. Unserer Meinung nach geht die Debatte um eine Sonntagsöffnung völlig an der Realität der Bibliotheken vorbei.

Was wäre so schlimm daran, wenn Bibliotheken sonntags öffnen?

Der freie Sonntag ist für die Beschäftigten eine große Errungenschaft, die wir nicht leichtfertig über Bord werfen dürfen. Das Arbeitszeitgesetz verbietet das Arbeiten an Sonn- und Feiertagen. Ausnahmen gelten unter anderem für Museen, Theater- oder Musikvorstellungen. Aber es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Bibliotheken an sieben Tagen pro Woche geöffnet haben müssen. Die Beschäftigten brauchen den freien Sonntag, um sich von der Arbeit zu erholen, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, Freunde zu treffen oder anderen Freizeitaktivitäten nachzugehen.

Und wenn jemand sonntags freiwillig arbeiten möchte?

Das wäre natürlich die absolute Voraussetzung. Aber mit der Freiwilligkeit ist das immer so eine Sache. Damit wird der Leistungs- und Verhaltenskontrolle Tür und Tor geöffnet. Die Gefahr ist groß, dass Sonntagsarbeit zur Regel wird – und der Druck groß ist. Schon jetzt tun sich Bibliotheken schwer damit, Personal zu finden. Wir sollten tunlichst vermeiden, den Beruf noch unattraktiver zu machen.

Aber gerade Familien gehen sonntags doch auch gerne ins Museum, Kino oder Theater. Warum soll das nicht auch für Bibliotheken möglich sein?

Klar, ich verstehe den Wunsch. Aber Bibliotheken sind keine Kultureinrichtungen im engeren Sinne, sondern haben ganz klar einen Bildungsauftrag. Leider sind sie jetzt schon gar nicht in der Lage, dem wirklich gerecht zu werden. Viele Häuser können nicht mal mehr die normalen Öffnungszeiten von Montag bis Samstag gewährleisten. Öffentliche Bibliotheken sind immer noch eine freiwillige Leistung der Kommunen. Daran wird häufig gespart.

Einige Bibliotheken haben sonntags ja schon geöffnet, wie sieht die Situation dort aus?

Für Nordrhein-Westfalen lässt sich sagen, dass nur vier Bibliotheken diese Option überhaupt nutzen. Und sowohl dort, als auch in Berlin und Hamburg gilt, dass sonntags kein Fachpersonal im Einsatz ist. Es gibt keinerlei kompetente Beratung. In manchen Fällen öffnet eine Agentur lediglich die Türen, stellt einen Wachdienst und betreibt das Café. Bei der Ausleihe und Nutzung von digitalen Medien sind die Menschen auf sich allein gestellt. Das geht am Anspruch der Bibliotheken komplett vorbei. Unsere Position ist: Wenn die Häuser geöffnet haben, dann bitte richtig, mit Fachpersonal. Doch klar ist: Das kostet Geld. Sonntags fallen tarifliche Zuschläge an. Die Rahmenbedingungen müssten vor Ort in Betriebs- und Dienstvereinbarungen festgelegt werden.

Ist das Geld dafür da?

Keinesfalls. Und wenn, fehlt das Geld an anderer Stelle, wo es dringend benötigt wird. Statt über Sonntagsöffnung in Großstädten zu reden, sollten wir lieber den Fokus darauf richten, dass viele Bibliotheken nicht einmal verlässlich die regulären Zeiten von Montag bis Samstag abdecken können. Wir brauchen gute Angebote, wie zum Beispiel lange Öffnungszeiten und fachliche Beratung in der Fläche, keine Leuchttürme.

Wie ist es aktuell um die öffentlichen Bibliotheken bestellt?

In Nordrhein-Westfalen gibt es ganze Landkreise ohne eine einzige öffentliche Bibliothek, in vielen Regionen Deutschlands sieht es ähnlich aus. Bundesweit gibt es ganz viele weiße Flecken, wo es weit und breit kein Angebot gibt. Oft sitzen sonntags gar keine Fachkräfte mehr an der Ausleihe, sondern nur noch geringfügig beschäftigte Hilfskräfte. Das hat nichts mehr damit zu tun, was Bibliotheken im Kern ausmacht. Darüber müssen wir dringend sprechen. Wir können nicht zulassen, dass die öffentlichen Bibliotheken am langen Arm verhungern. Es braucht Bibliotheksgesetze, die die Kommunen verpflichten, für eine Finanzierung zu sorgen, die längere Öffnungszeiten unter der Woche und breite Beratungsangebote durch Fachpersonal ermöglichen.

 

 

Kontakt

  • Matthias Neis

    Be­reichs­lei­ter So­zia­le Diens­te, Bil­dung und Wis­sen­schaft

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