Grundsätze für sichere Bibliotheken

22.06.2020

Positionspapier der ver.di-Bundesarbeitsgruppe Archive, Bibliotheken und Dokumentationseinrichtungen

Öffentliche und Wissenschaftliche Bibliotheken bieten allen Bevölkerungsschichten, unabhängig ihres Alters, ihrer Herkunft und von ihrem sozialen Status kommerz- und möglichst kostenfreien Zugang zu allen Informationsmitteln. Sie sind damit ein unverzichtbarer Bestandteil der Informationskultur unserer Gesellschaft und leisten einen wichtigen Beitrag zum grundgesetzlich festgeschriebenen Recht auf informelle Selbstbestimmung.

Besonders in Krisenzeiten bieten sie ihren Nutzer*innen einen unverzichtbaren Zugang zu Wissen und Informationen. Dazu gehören nicht nur Bücher, Zeitschriften und Tageszeitungen, sondern auch e-books, e-Journals, Datenbanken bis hin zu Volltextdatenbanken und ein freier und kostenloser Internetzugang. 

In der Corona-Krise wird noch deutliche, wie wichtig der Bildungsauftrag von Bibliotheken für die Gesellschaft ist: von der Informationsbereithaltung für Eltern, die ihre Kinder im Homeschooling unterstützen, über Studierende und Wissenschaftler*innen in Studium, Lehre und Forschung bis zu allen anderen Informationssuchenden.  Es zeigt sich noch stärker, dass Bildung ist ein grundlegender Schlüssel zu politischer Meinungsbildung und damit zu gesellschaftlichen Aktivitäten ist.

Zugleich bedeutet eben der öffentliche und niedrigschwellige Zugang zu Bibliotheken in einer Pandemie-Situation ein besonderes gesundheitliches Risiko. 

Die Corona-Pandemie zwang daher auch alle Bibliotheken, zunächst ihre Pforten zu schließen, um Gefahren für Bibliotheksbeschäftigte und Nutzer*innen zu verhindern. Inzwischen wird der Service in unterschiedlichen Formen wiederaufgenommen. Aufgrund der beschriebenen Bedeutung unterstützt ver.di ausdrücklich alle Bemühungen, der Bevölkerung den Zugang zu Informationen über die Bibliotheken auch in Pandemiezeiten zu ermöglichen. Das muss jedoch unter Sicherstellung des Gesundheitsschutzes von Nutzer*innen wie Beschäftigten realisiert werden.

Bis zur Überwindung der Pandemie ist zu erwarten, dass ein „normaler“ Bibliotheksservice anders aussehen muss als in Vor-Corona-Zeiten, denn die Nutzung der Bibliotheken als Lern- und Aufenthaltsort kann erhebliche Infektionsgefahren bergen. Deshalb ist es von unabdingbarer Bedeutung, Mindeststandards für die Wiederaufnahme und Aufrechterhaltung des Bibliotheksservices zu formulieren und einzuhalten.

Denn in der Praxis zeigt sich ein bunter Flickenteppich von Maßnahmen. Sie weisen auf zahlreiche ungelöste Probleme hin, deren Lösung vielfach an finanziellen und personellen Ressourcen scheitert.

Gerade die Corona-Krise verdeutlicht, wie sehr die Fähigkeit einer Bibliothek, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen von ihrer finanziellen Ausstattung abhängt.

Während gut ausgerüstete Bibliotheken trotz geschlossener Bibliothekspforten dennoch nicht aufgehört haben, Informationsmittel für ihre Nutzer, hauptsächlich in elektronischen Formen, bereitzustellen, brauchen und brauchten Nutzer*innen kleinerer Bibliotheken mit geringer IT-Technik und schmalen Erwerbungsetas zur Anschaffung von Datenbankzugängen und -lizenzen viel Geduld für einen normalen Bibliotheksservice mit Präsenzmöglichkeiten. Unsere zentrale Forderung für gute und leistungsfähige Bibliotheken ist dabei, in der Corona-Krise mehr denn je, eine flächendeckende aufgabengerechte Finanzausstattung. Gerade jetzt wird das Auseinanderdriften der Bibliothekslandschaft in Bibliotheken erster und zweiter Klasse zu einem gesellschaftlichen Problem.

Als Interessenvertretung unserer Mitglieder in den Bibliotheken fordern wir darüber hinaus die Träger von Bibliotheken auf, vor Wiederaufnahme des Bibliotheksservices alle notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung von Gesundheit und Unversehrtheit ihrer Beschäftigten und der Nutzer*innen durch Einhaltung aller Hygienevorschriften zu gewährleisten.

Folgende Punkte sind dabei von zentraler Bedeutung:

 

1. Neue Arbeitsformen pragmatisch und beschäftigtenfreundlich umsetzen

Da die Krise vor Entwicklung eines Impfstoffes kaum zu überwinden sein wird, sollten Arbeitsgeber*innen und Personalräte zügig, konstruktiv und im Sinne des Gesundheitsschutzes die Möglichkeiten für Wohnraumarbeit oder Homeoffice über Dienstvereinbarungen aktualisieren und absichern. In der ersten Phase verschärfter Kontaktbeschränkungen stand für diese Formen der Wohnraumarbeit vor allem eine pragmatische Umsetzung im Mittelpunkt. Nun müssen aber, in Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen, auch solche heimischen Arbeitsplätze mit Infrastruktur ausgerüstet und unter Beachtung des Arbeitsschutzes gestaltet werden. Dabei müssen mögliche weitere Phasen von verstärkten Kontaktbeschränkungen berücksichtigt und zeitweilige Optionen für die Aussetzung der Arbeitszeiterfassung und auch der Kernarbeitszeiten mitgedacht werden.

Daneben sollten besonders Risikopersonen von Präsenzaufgaben freigestellt werden. Ebenfalls sind besondere Vorsichtsmaßnahmen für diejenigen zu ergreifen, die in ihrem privaten Umfeld unmittelbar mit Risikogruppen zusammenleben. Für Beschäftigte in besonderer persönlicher Betreuungsbelastung muss es in Phasen, in denen Schulen, Kitas, Pflegeeinrichtungen und andere Betreuungsangebote nicht oder nur eingeschränkte zur Verfügung stehen, erweiterte Möglichkeiten für bezahlte Freistellungen geben. Diese müssen regelmäßig an den Verlauf der Pandemie angepasst werden. Bei allen Entscheidungen muss der Arbeitnehmer*innenschutz immer wieder an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden.

 

2. Mitbestimmung ist kein Luxus – Rechte der Personalräte einhalten

Wir müssen feststellen, dass bei Teilen der Bibliotheksleitungen die Meinung vorherrscht, in der Krise müsse man sich nicht an die Mitbestimmungsrechte halten. Das ist ebenso falsch wie inakzeptabel. Gerade in dieser schwierigen Lage ist in jedem Fall sicherzustellen, dass dem Personalrat alle Informationen umfassend zur Verfügung gestellt werden, damit seine durch die Personalvertretungsgesetze zugewiesenen Rechte auf Information, Mitwirkung und Mitbestimmung in allen personellen, sozialen, innerdienstlichen und organisatorischen Angelegenheiten gewahrt bleiben.

 

3. Personalvertretungen einbinden

In allen Bibliotheken mit Corona-Einschränkungen wurden Pandemie-Ausschüsse und -Arbeitsgruppen oder auch Krisenstäbe gegründet, leider häufig ohne Beteiligung der Personalräte. Dabei machen sie nicht nur ihr Auftrag als Interessenvertretung der Beschäftigten, sondern auch ihre fachliche Kompetenz bei Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in dieser Situation unverzichtbar. Wir fordern alle Leitungen auf, die Personalvertretungen in die Planung und Umsetzung aller betrieblichen Maßnahmen wie Arbeitsorganisation und Arbeitszeitmodelle, Informationen des Personals, Personalplanung und Schulungen und alle Hygienepflichten einzubinden.  

 

4. Mindeststandards für den Gesundheitsschutz einhalten

In dem Augenblick, da Bibliotheken ihr Türen wieder dem Publikumsverkehr öffnen, muss der Zugang sowohl für Personal als auch für Nutzer*innen verantwortlich und sicher gestaltet werden. Keinesfalls darf den Forderungen nach „Lockerungen“ der Kontaktbeschränkungen auf Kosten von Beschäftigten und Nutzer*innen nachgegeben werden, ohne ausreichend deren Sicherheit zu gewährleisten.

Zugangskontrollen müssen eingerichtet werden und dafür zuständiges Personal, ggf. auch Wachpersonal, festgelegt werden. Abstandsvorschriften bei Ausgabe und Abgabe von Medien müssen organisiert werden. Atemschutzwände, Desinfektionsmittel, Handschuhe, Mund-Nase-Masken müssen zwingend in ausreichendem Maße vor Wiedereröffnung zur Verfügung gestellt werden. Arbeit in kleinen feststehenden Gruppen mit festgelegten Schichtwechseln können Infektionsketten kurzhalten. Dokumentationen von Gesundheitszuständen und personellen Zusammensetzungen sind unerlässlich. Unter Beschränkung von Aufenthaltsqualität für Nutzer*innen muss häufig und genügend Zeit für Desinfektionsarbeiten eingeräumt und organisiert werden. Dafür muss ggf. auch zusätzliches Reinigungspersonal eingestellt werden.

Markierungen von „Einbahnstraßensystemen“ in Bibliotheksräumlichkeiten können Unterschreitungen von Abstandsregelungen vermeiden. Abgegebene Medien gehören vor Weiterbearbeitung mindestens 3 Tage in „Quarantäne“, da medizinische Studien ein Überleben des Corona-Virus auf Leinenumschlägen von 3 Tagen nachgewiesen haben.

Der Corona-Virus hat auch das Arbeitsleben in Bibliotheken auf den Kopf gestellt. ver.di setzt sich mit Hochdruck dafür ein, dass Arbeits- und Gesundheitsschutz sowohl für Bibliotheksbeschäftigte als auch für Bibliotheksnutzer*innen gewahrt bleiben. Wir fordern die Träger*innen und Leitungen auf, zusammen mit ver.di, den Personalvertretungen und Beschäftigten sichere und attraktive Bibliotheken für alle Nutzer*innen und Beschäftigten zu schaffen.

veröffentlich am 22. Juni 2020

 

 

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