Wenn Sylvia Meyer in die WG kommt, gilt eine der ersten Fragen dem Kühlschrank: Muss etwas eingekauft werden? Wie sieht der Kontostand aus? „Wir besprechen, was zu tun ist“, sagt die 33-Jährige. „Ziel ist es, dass die Klient*innen so viel wie möglich selber machen.“ Seit Jahren arbeitet die Erzieherin in ambulanten Wohngemeinschaften von Leben mit Behinderung Hamburg. Dort unterstützt sie Erwachsene dabei, möglichst selbstbestimmt am Leben teilzuhaben. Wie viel Assistenz jede*r brauche, sei ganz unterschiedlich. Das macht die Arbeit für Sylvia so spannend: „Immer wieder mit den Klient*innen auszuloten: Was will ich vom Leben? Und was brauche ich dafür?“
Für die Erzieherin steht fest: „Behinderung wird durch die Gesellschaft produziert.“ Sie will daran mitwirken, das in der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegte Recht auf Teilhabe umzusetzen. Der politische Blick auf die Welt sei ihr in die Wiege gelegt worden, sagt Sylvia. Ihre Mutter war politisch engagiert, sie selbst schon als Schülerin bei der Sozialistischen Jugend Deutschlands, die Falken, aktiv. Insofern lag für sie nah, dass sie im Berufsleben direkt bei ver.di eintrat – und als Betriebsrätin die Arbeitsbedingungen verbessert. „Wir sind ein sehr politischer Betriebsrat“, sagt Sylvia. „Wir gestalten unseren Betrieb und auch die Gesellschaft mit.“
Bei ihrer Arbeit stellt die 33-Jährige fest, dass sich langsam etwas verändert. Sie bemerke, dass die jüngeren Bewohner*innen schon anders aufgewachsen seien und andere Möglichkeiten hätten. Sie spielten Theater oder in Bands, gestalteten ihr Leben immer mehr selbst. „Es tut sich gesellschaftlich was“, sagt Sylvia, „und es macht etwas mit allen Menschen. Das ist schön zu erleben.“
Wenn sie von ihrem Job erzähle, bekomme sie immer wieder zu hören: „Diese Arbeit könnte ich nicht machen!“ Sylvia betont: „Es wäre schön, wenn sich das auch auf dem Konto widerspiegeln würde“. In der Corona-Krise werde öffentlich anerkannt, was Menschen in Pflege- und Pädagogikberufen leisteten. Das sei schön. „Aber Applaus zahlt keine Miete.“ Im Sozialbereich seien Abstandsregelungen im Arbeitsalltag oft nicht einzuhalten, damit einher gehe auch ein Risiko. „Diesen Einsatz bringen wir gerne“, betont die Erzieherin. „Aber nicht, damit die Wirtschaft läuft, sondern aus einem menschlichen Anspruch heraus.“
Trotz „Systemrelevanz“ sei der soziale Bereich seit Jahren unterfinanziert. Es sei endlich an der Zeit, dass die Politik für bessere Bedingungen sorgt, dazu zählt vor allem mehr Geld. Trägern müsste erleichtert werden, Tariflöhne zu zahlen, sagt Sylvia. Damit wäre allen sehr geholfen. „Personalmangel ist ein Riesenthema.“ Auch deshalb bräuchten die Sozialberufe dringend eine Aufwertung.
Behindertenhilfe, Teilhabe- und Inklusionsdienste
030/6956-1843
sarah.bormann@verdi.de