Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als Vorkämpfer*innen für höhere Löhne? Auch das gibt es. In Berlin haben schwerbehinderte Menschen, die im sogenannten Arbeitgebermodell Persönliche Assistent*innen beschäftigen, mit ver.di einen Tarifvertrag geschlossen. Gemeinsam mit den Beschäftigten protestierten sie mehrfach vor dem Abgeordnetenhaus und dem Sitz der Landesregierung. Als eine seiner letzten Amtshandlungen wies der rot-grün-rote Senat die Verwaltung an, die tarifliche Bezahlung zu refinanzieren. Ein bundesweit bislang einmaliger Durchbruch, der Vorbild für andere Regionen sein könnte.
»Ich bin existenziell darauf angewiesen, meine Leute gut bezahlen zu können«, sagt Birgit Stenger, die seit 40 Jahren von Persönlichen Assistent*innen unterstützt wird. »Sie müssen absolut zuverlässig und kompetent sein. Das ist eine körperlich und psychisch anstrengende Arbeit, die angemessen honoriert werden muss.« Seit 1996 gibt es in Berlin das sogenannte Arbeitgebermodell, in dem die Assistent*innen direkt bei dem schwerbehinderten Menschen angestellt sind. Das bedeutet ein Stück mehr Selbstbestimmung, weil diese selbst entscheiden können, wer sie unterstützt. »Es ist für mich absolut wichtig, dass ich mich gut mit den Assistent*innen verstehe. Denn man ist die ganze Zeit zusammen und kommt sich sehr nahe«, erklärt Birgit Stenger.
Deshalb hat sie sich gemeinsam mit anderen Assistenznehmer*innen in einem Arbeitgeberverband zusammengeschlossen. Anlass waren Tarifverträge, die ver.di 2019 bei den Assistenzdiensten ambulante Dienste e.V. und Neue Lebenswege GmbH durchgesetzt hat. Demnach werden deren rund 1.000 Angestellte in Haustarifverträgen nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) bezahlt, eingruppiert in die Entgeltgruppe EG 5. Die gut 700 Persönlichen Assistent*innen hingegen, die im Arbeitgebermodell arbeiten, erhielten nur die EG 3 – etwa 200 Euro weniger im Monat.
»Früher wurden Assistent*innen im Arbeitgebermodell besser bezahlt als bei den Diensten, denn sie tragen viel mehr Verantwortung«, sagt Birgit Stenger. Bei den großen Assistenzbetrieben gebe es Bereitschaftsdienste, falls Kolleg*innen wegen Krankheit ausfallen. Im Arbeitgebermodell hingegen muss alles von wenigen Assistenzkräften aufgefangen werden. »Bei mir zum Beispiel arbeiten sechs Menschen, davon sind aktuell vier krank und einer in Urlaub – und trotzdem muss die Assistenz irgendwie abgedeckt sein. Das verlangt den Leuten viel ab.« Birgit Stenger und ihre Mitstreiter*innen wollten mit der Tarifinitiative dafür sorgen, dass ihre Beschäftigten zumindest so bezahlt werden, wie diejenigen in den großen Assistenzbetrieben.
Dafür haben sich auch einige Assistent*innen sehr aktiv und ausdauernd eingesetzt. Gleich bei den ersten beiden Online-Versammlungen wurden 50 Beschäftigte ver.di-Mitglied und wählten eine Tarifkommission. Die Verhandlungen selbst verliefen harmonisch, ver.di und der Arbeitgeberverband einigten sich rasch auf einen Tarifvertrag, inklusive Eingruppierung in die EG 5, Bezahlung von Rufbereitschaft und weiteren Regelungen, die sich am TV-L orientieren. »Ich finde die Anlehnung an den TV-L wichtig, damit es nicht nur beim Lohn, sondern auch bei Zuschlägen, Urlaub und in all den anderen Fragen Klarheit und Rechtssicherheit gibt«, erklärt Jan Gehling, der seit 20 Jahren als Persönlicher Assistent arbeitet und sich in der ver.di-Tarifkommission engagiert. Mit der besseren Eingruppierung werde endlich anerkannt, dass die Persönliche Assistenz eine anspruchsvolle Arbeit ist, auch wenn sie keine formale Qualifikation voraussetzt.
Die eigentliche Hürde kam nach dem Tarifabschluss: die Refinanzierung, unter deren Vorbehalt die Einigung stand. Ende 2022 erließ Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) schließlich eine entsprechende fachliche Weisung an das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales. Die finanzielle Verbesserung für Assistenzkräfte im Arbeitgebermodell sei »ein großer Erfolg«, betonte Kipping. »Wir setzen damit ein starkes Zeichen für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen und machen gleichzeitig deutlich: Tarifliche Lösungen lohnen sich!«
Anhaltende Widerstände gab es indes aus der Verwaltung, die unter anderem versuchte, die Bezahlung der Rufbereitschaft wie im TV-L zu verhindern. In den letzten Wochen der Berliner Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken konnte Anfang März auch diese Blockade überwunden werden. »Der lange Kampf hat sich gelohnt«, bilanziert ver.di-Verhandlungsführer Ivo Garbe. »Der bundesweit erste Tarifvertrag im Arbeitgebermodell der Persönlichen Assistenz bringt deutliche Verbesserungen. Er sollte bundesweit zum Standard werden, damit diese so wichtige Arbeit überall angemessen bezahlt wird.«
veröffentlicht am 10. März 2023
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