»Krank durch Arbeit?!« Unter diesem Titel fand die diesjährige ver.di-Fachtagung zur Behindertenhilfe am 19. und 20. September in Dortmund statt. Neben den Arbeitsbedingungen thematisierten die rund 90 Teilnehmer/innen, welche Auswirkungen das Bundesteilhabegesetz auf Beschäftigte und Menschen mit Behinderung haben wird.
Lotte Habermann-Horstmeier, Leiterin des Villingen Institute of Public Health der Steinbeis-Hochschule Berlin, berichtete über die bemerkenswerten Ergebnisse einer breit angelegten Fragebogenaktion. Demnach empfinden mehr als die Hälfte der Betreuungskräfte in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe ihre Tätigkeit als belastend. Knapp 40 Prozent der Befragten schätzen ihren Gesundheitszustand negativ ein. Mehr als jeder Vierte gibt an, mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen zu sein. Und fast die Hälfte befürchtet einen Burnout in der näheren Zukunft.
Das hat auch Folgen für die Betreuungsqualität: Knapp 40 Prozent der Kolleginnen und Kollegen sind der Ansicht, dass sich die Überlastung negativ auf die Gesundheit bzw. das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner auswirkt. »Das passt genau zu den Erfahrungen, die ich tagtäglich als Betriebsrätin in meiner Einrichtung sammle«, betonte eine Kollegin. In den Arbeitsgruppen tauschten sich die Teilnehmer/innen der Tagung intensiv darüber aus, wie Beschäftigte unterstützt werden können, beispielsweise bei der Formulierung von Gefährdungsmeldungen.
Am zweiten Konferenztag standen das Bundesteilhabegesetz und dessen mögliche Konsequenzen für betriebliche Interessenvertretungen im Mittelpunkt. Mit der Anerkennung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik 2009 verpflichtet, allen Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Professor Franz Josef Düwell von der Universität Konstanz formulierte als einen Kernsatz, dass Inklusion mehr sei als Integration. Die Einrichtungen müssten viel stärker und konsequenter als bisher Leistungen anbieten, die auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen mit Unterstützungsbedarf zugeschnitten seien.
Auch die Interessenvertretungen müssen sich auf völlig neue Herausforderungen einstellen, beispielsweise bei der Mistbestimmung der Arbeitszeitgestaltung. Wie können Arbeitszeitmodelle auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung so zugeschnitten werden, dass sie nicht auf Kosten der Gesundheit des Personals gehen? Was kann gegen die weitere Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse unternommen werden – zum Beispiel in Form befristeter Verträge? Zu diesen und vielen weiteren Fragen lieferte die Tagung den Betriebsräten und Mitarbeitervertreter/innen hilfreiche Antworten. Am Ende beschlossen die Teilnehmer/innen einstimmig eine Solidaritätserklärung für die Kolleginnen und Kollegen in Krankenhäusern, die sich mit Streiks für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen.