»Haben noch viel vor«

Ja, sie dürfen streiken: Vier ver.di-Mitglieder gehen am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim mit gutem Beispiel voran – und bauen Gewerkschaftsstrukturen auf.
20.03.2024

Sie haben ganz klein angefangen: Beim ersten Streik waren sie nur zu viert. „Vor allem wollten wir erst einmal zeigen, dass es möglich ist“, betont der Personalrat Dirk Wiegand vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. Gemeinsam fuhren sie während der Tarifrunde der Länder zur Kundgebung nach Wiesloch, zwei Transparente im Gepäck. Als der Redner auf der Bühne sie willkommen hieß, gab es viel Applaus für das Viererteam. „Das war ein tolles Gefühl“, sagt der Heizungstechniker. Auch die Pflegekraft Alexandra Sondergeld berichtet, dass sie stolz gewesen sei. Beim zweiten Streik waren schon mehr Kolleginnen und Kollegen mit von der Partie. Fortsetzung folgt.

 
In Aktion: Die vier ver.di-Mitglieder mit Sylvia Bühler beim Warnstreik in Wiesloch.

„Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagt Jan Merzweiler, ebenfalls im Personalrat und bei ver.di aktiv. „Und haben noch viel vor.“ Hartnäckig hatte sich bis dahin am ZI das Gerücht gehalten, dass die 1.700 Beschäftigten nicht streiken dürften. Zwar sind die Arbeitsverträge der Psychiatrie und Forschungseinrichtung an den Tarifvertrag der Länder angelehnt, doch die Landesstiftung ist selbst nicht Mitglied im Arbeitgeberverband. „Deshalb hieß es lange, wir dürften uns an den Streiks nicht beteiligen“, berichtet der Medizininformatiker. Dieser Irrglaube wurde erst ausgeräumt, als es im Personalrat zu einem Generationenwechsel kam und neue Mitglieder das Amt übernahmen, darunter Dirk Wiegand und Jan Merzweiler. Beide traten daraufhin bei ver.di ein.

Durch die Arbeit im Personalrat sei ihm gewusst geworden, dass die Lohnerhöhungen im Tarifvertrag der Länder nicht vom Himmel fallen, sagt Jan Merzweiler. „Sondern verhandelt werden.“ Deshalb stand für ihn schnell fest: „Wer etwas verändern will, sollte in die Gewerkschaft eintreten.“ Bis dato habe die Gewerkschaft in ihrer Einrichtung überhaupt keine Rolle gespielt, fügt Dirk Wiegand hinzu. Das änderten die beiden Personalräte – und sind jetzt zum Beispiel in der ver.di-Landesfachkommission Psychiatrie vertreten. „Die Vernetzung mit anderen Einrichtungen ist enorm wichtig“, findet der Heizungstechniker. „Alle haben die gleichen Themen und Probleme.“ Sie tauschten sich aus und erhielten Tipps zu Dienstvereinbarungen oder Mitbestimmungsrechten. „Das ist sehr wertvoll.“

 

Kurz vor dem Start der Tarifrunde der Länder im letzten Herbst gründeten sie zudem eine ver.di-Aktivengruppe am ZI. „Dann ging es Schlag auf Schlag“, berichtet Dirk Wiegand. Über ver.di holten sie sich im ersten Schritt die rechtliche Absicherung: „Wir dürfen streiken!“ Das Zauberwort laute „Partizipationsstreik.“ Da die Arbeitsverträge am TV-L partizipierten, dürften sie dafür auch streiken. Zur großen Freude von Alexandra Sondergeld. Sie trat schon während ihrer Ausbildung in ver.di ein und wollte sich gewerkschaftlich engagieren. Doch als sie danach als Pflegekraft ans Zentralinstitut in Mannheim wechselte, herrschte dort diesbezüglich Flaute. Deshalb sei sie „extrem dankbar“ gewesen, dass jetzt endlich etwas passiert, berichtet die Gewerkschafterin. Ihre erste Reaktion: „Natürlich bin ich dabei. Das Streikrecht darf uns niemand nehmen.“ Auch für ihre Kollegin Julia Petermann stand sofort fest, dass sie mitmacht. „Ich bin schon lange Mitglied bei ver.di und habe mich gefreut, jetzt aktiv werden zu können.“ 

Die ver.di-Mitglieder starteten mit einer aktiven Mittagspause vor dem Hauptgebäude. „Unsere allererste Aktion“, berichtet Dirk Wiegand. Sie verteilten Flyer, informierten über die Tarifrunde und drehten die Musik laut auf. Etwa 100 Beschäftigte nahmen teil – und toppten damit alle Erwartungen. „Für unsere Verhältnisse ein voller Erfolg.“ Mit ihrem ersten Streik ein paar Wochen später, zeigten die vier: „Es geht“, betont Jan Merzweiler. „Wir dürfen das.“ Julia Petermann war zunächst etwas mulmig zumute. Doch ihr Team auf ihrer Station habe ihr den Rücken gestärkt.  Beim zweiten Streik waren sie schon fast dreimal so viele. Und verhandelten dafür extra eine Notdienstvereinbarung. „Das war für uns komplettes Neuland“, so Dirk Wiegand. Jetzt planen die ver.di-Aktiven die nächsten Schritte.

Dazu gehört, mehr Mitglieder für die Gewerkschaft zu gewinnen. Zudem stehen am 7. Mai die nächsten Personalratswahlen an. Sie habe beschlossen, jetzt auch zu kandidieren, sagt Julia Petermann. „Weil ich wichtig finde, dass mehr ver.di-Mitglieder im Personalrat vertreten sind.“ Perspektivisch stelle sich die Frage, so Jan Merzweiler, welche Möglichkeiten es für einen Tarifvertrag gebe: Können sie auch in den TV-L? Oder lieber einen Hausvertrag abschließen? Fakt sei, dass die derzeitige Regelung für die Beschäftigten nicht die beste sei, gibt der Medizininformatiker zu bedenken. So seien sie von einigen Einzelregelungen im TV-L ausgenommen. Das gilt zum Beispiel für die Pflegezulage von 140 Euro pro Monat, kritisiert der Gewerkschafter. Früher habe ihr Geschäftsführer ihnen diese Prämie „trotzdem großzügig gewährt“, doch vor zwei Jahren sei damit Schluss gewesen. Einige Stationen erhielten Zulagen als „Goodies“ von der Geschäftsleitung. „Als Personalrat sind wir natürlich nie dagegen, wenn jemand mehr Geld erhält“, sagt Jan Merzweiler. „Aber wir müssen uns fragen, ob das der richtige Weg ist.“ Besser sei ein solides Fundament durch einen Tarifvertrag zu schaffen. Zum einen könnten solche Regelungen sonst auch leicht wieder zurückgenommen werden. Zum anderen zielten sie stets auf die Interessen der Arbeitgeber, weil zum Beispiel auf einer Station der Personalmangel groß sei. „Aber uns geht es um die Interessen der gesamten Belegschaft.“