„Die derzeit drängendste Herausforderung an den Hochschulen ist die sichere Rückkehr in den Präsenzbetrieb.“ Darüber waren sich alle Teilnehmer*innen der hybriden Veranstaltung „Hochschule und Wissenschaft: Lehren aus der Pandemie“ einig. Anlässlich des Thementages Gute Bildung, der am 31. August 2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „ver.di wählt“ stattfand, diskutierten Sylvia Bühler aus dem ver.di-Bundesvorstand und ehrenamtliche ver.di-Kolleg*innen mit Vertreter*innen aus der Politik. Etwa 60 Zuhörer*innen verfolgten das spannende Gespräch online und brachten ihre Kommentare über die Chat-Funktion in die Diskussion ein.
Knapp einen Monat vor der Bundestagswahl wurde Klartext geredet. „Basale arbeitsrechtliche Standards gelten in der Wissenschaft nicht, das können wir nicht mehr hinnehmen“, stellte Peter Ullrich, Mitbegründer Netzwerks Gute Arbeit in der Wissenschaft, gleich zu Beginn klar. Damit stieß er die Debatte um die prekären Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen an. Auf Nachfrage stellte Michael Müller (SPD) in Aussicht, dass der Entwurf für ein neues Berliner Hochschulgesetz, welches ein Verbot von sachgrundlosen Befristungen vorsieht, noch vor Ende der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt wird. Um den Wissenschaftsstandort Deutschland aber insgesamt zu stärken, „müssen wir die Rahmenbedingungen generell verbessern“, betonte Müller. Woraufhin Stefan Kaufmann (CDU) unterstrich, dass es Ländersache sei, für verlässliche und planbare Laufbahnen zu sorgen. „Das kann der Bund nicht allein machen“, so der CDU-Politiker. Zudem sei die Hochschule mittlerweile die Regelausbildung, so dass nicht jede*r Absolvent*in an einer Hochschule beschäftigt werden könne. Sylvia Bühler hielt dagegen, dass im Wissenschaftsbetrieb viel Schindluder mit Befristungen betrieben werde. „ver.di hat diesbezüglich eine sehr klare Anforderung an die neue Bundesregierung: es darf keine sachgrundlosen Befristungen mehr geben“, sagte die Gewerkschafterin. Sie forderte eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Auch Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen) sah Reformbedarf, sprach sich auf Nachfrage aber gegen eine Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes aus. „Da sollten wir nichts überstürzen, sondern genau hinschauen, ob das Gesetz wirkt und wo nachgebessert werden muss“, sagte sie.
Friedrich Paun, Student an der Universität Göttingen, stellte im Verlauf der Veranstaltung die Situation der Studierenden während der Pandemie eindringlich dar. Neben fehlenden Arbeitsplätzen beispielsweise in den Bibliotheken, hätten die Studierenden beim Studium zu Hause häufig mit fehlender technischer Ausstattung zum digitalen Arbeiten und vor allem mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Er forderte deshalb „eine schnelle und unkomplizierte Öffnung des BAföG“. Dass ein Reformbedarf bei der Ausgestaltung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vorliegt, dem stimmte auch Stefan Kaufmann (CDU) zu. „Wir wollen die Altersgrenzen abschaffen und zu einer Dynamisierung der BAföG-Sätze kommen“, sagte der Politiker und betonte, seine Partei wolle das BAföG zudem um eine Nothilfe- Komponente ergänzen. Mit Blick auf die vergangenen eineinhalb Jahre sprach sich auch Christian Schaft (DIE LINKE) für eine Notfallhilfe im BAföG aus. Darüber hinaus forderte er, das BAföG müsse als „Vollzuschuss rückzahlungsfrei sein“. Beim Vollzuschuss ging auch Michael Müller mit, der SPD-Politiker machte sich aber auch für eine stärkere Unabhängigkeit vom Einkommen der Eltern und bessere Wohnkostenzuschüsse stark. Einzig Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen) präsentierte eine Idee für eine grundlegende BAföG-Reform. Ihre Partei wolle eine Studierenden-Grundsicherung einführen, die aus einem Garantiebetrag von 290€ monatlich besteht, der automatisch an alle Studierenden ausgezahlt werden solle. Darüber hinaus sei ein Einkommens- und bedarfsgerechter Zuschuss geplant, der zusätzlich zur Grundsicherung ausgezahlt werde und von den Studierenden nicht zurückgezahlt werden müsse. Anlässlich des 50. Geburtstags des BAföGs in diesem Jahr betonte Sylvia Bühler, „das Versprechen von Chancengleichheit bei der Bildung muss neu gegeben werden.“
Intensiv diskutiert wurde darüber hinaus die Finanzierung der Hochschulen und die Zuständigkeiten von Bund und Ländern. Auch wenn die Länder bei der Finanzierung der Hochschulen voran gehen müssten, forderte Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen) doch, dass „sich Bund und Länder zu diesem Thema an einen Tisch setzen“. Woraufhin Stefan Kaufmann (CDU) betonte, dass der Bund über den Zukunftsvertrag Studium und Lehre bereits Geld für die Hochschulen zahle. Beim Zweck der Verwendung dieser Gelder gäbe es allerdings noch Unschärfen. Christian Schaft (DIE LINKE) sprach sich insbesondere für eine stärkere Förderung der Studierendenwerke aus und forderte: „Die soziale Infrastruktur an den Hochschulen muss ausgebaut werden“. Auch aus Sicht der Beschäftigten an den Hochschulen, sei eine langfristige und auskömmliche Finanzierung der Hochschulverträge wichtig, erklärte Stefanie Nickel, Personalratsvorsitzende der Technischen Universität Berlin. Nur dann könnten die Beschäftigten den gesteigerten Anforderungen der letzten Jahre gerecht werden, und „Lehre und Forschung gut unterstützen“, sagte die Personalrätin.
Am Ende der Veranstaltung, bei der Sylvia Bühler und die ehrenamtlichen ver.di-Kolleg*innen ihre Anforderungen an eine gute Hochschulpolitik den Vertreter*innen der Politik deutlich gemacht haben, hatte die Gewerkschafterin noch eine Bitte: „Hört genau hin, was die Parteien sagen und geht wählen,“ wandte sie sich an die Teilnehmer*innen.
Der Livestream zum gesamten Thementag Gute Bildung ist auf YouTube abrufbar. Die Veranstaltung „Hochschule und Wissenschaft: Lehren aus der Pandemie“ fand am 31. August 2021, von 14:00h – 15:30h statt und ist im YouTube-Video ab Minute 06:45 zu sehen.
veröffentlicht am 10. September 2021
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