Es ist eine deutliche Botschaft, die Hochschulbeschäftigte diese Woche überall im Land an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und den Bundestag richten: »#NotMyWissZeitVG« – der vom Ministerium vorgelegte Referentenentwurf für eine Neufassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) muss massiv nachgebessert werden. Mit Infoständen, kreativen Aktionen und Kundgebungen fordern sie mehr Perspektiven auf unbefristete Beschäftigung und einen ‚Tarifvertrag für studentische Beschäftigte.
»Wir sind sauer«, heißt es am Mittwochmittag (14. Juni 2023) auf dem Darmstädter Marktplatz. Rund 50 Beschäftigte der Technischen Universität verteilen Zitronen und Flugblätter. Passant*innen bleiben stehen und solidarisieren sich. »Wir sind stinksauer auf die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die es nicht auf die Reihe bekommt, endlich für mehr unbefristete Beschäftigung an den Hochschulen zu sorgen«, erklärt Johannes Reinhard von der Initiative »darmstadtunbefristet«. Der vom ihrem Ministerium vorgelegte Referentenentwurf bringe keine wesentlichen Verbesserungen. »Auch an der TU Darmstadt werden die Daueraufgaben in Forschung und Lehre größtenteils von befristet Beschäftigten ausgeübt«, berichtet der Sprecher der ver.di-Vertrauensleute. »Über 90 Prozent der Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und fast jede bzw. jeder fünfte Angestellte in Technik und Verwaltung sind nur auf Zeit angestellt – ein Armutszeugnis.«
Auf dem Campus der Uni Halle haben Aktivist*innen ein Aktionscafé eingerichtet und spielen »Hanna ärgere dich (nicht)«: Auf einem lebensgroßen Spielfeld konkurrieren viele befristete #Hannas um sehr wenige Dauerstellen. Am Infostand informieren ver.di-Aktive über die Situation und fordern ihre Kolleg*innen auf, selbst aktiv zu werden. Die ganze Woche über finden an der Martin-Luther-Universität Veranstaltungen und Vorträge zum Thema statt. »Ich bin selbst nicht betroffen, habe einen unbefristeten Vertrag, aber ich solidarisiere mich«, sagt Annika Weißenborn, die als Technische Assistentin an der Medizinischen Fakultät in Halle arbeitet. »Ich bekomme ja mit, was Befristungen für die Betroffenen bedeuten und dass es für die Uni immer schwerer wird, Personal zu finden und zu halten.« Das schade auch der Institution Hochschule, Daueraufgaben müssten von dauerhaft angestelltem Personal erledigt werden.
»Forschung und Lehre leiden, wenn hochqualifizierte Leute nach ein paar Jahren wieder gehen müssen«, kritisiert Annika Weißenborn, die bei den ver.di-Vertrauensleuten in Halle aktiv ist. Zudem verstärken Befristungen die Benachteiligung von Frauen, ist die Gleichstellungsbeauftragte überzeugt. »Bei den Medizinstudierenden sind die Frauen in der Mehrheit, in der Promotion ist das Geschlechterverhältnis in etwa ausgeglichen, die Habilitation machen vor allem Männer – das hat definitiv auch etwas mit den unsicheren Beschäftigungsverhältnissen an der Uni zu tun, die es Frauen besonders schwer machen.«
Ein Problem ist die Unsicherheit insbesondere für befristet Beschäftigte mit Familie oder Kinderwunsch. »Ich bin 47 Jahre alt, habe zwei Kinder und hatte noch nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag«, sagt der Politikwissenschaftler Alexander Gallas am Rande einer Aktion mit rund 50 Teilnehmenden am Dienstag in Kassel. Bei ihm haben sich schon 15 befristete Verträge aneinandergereiht. »Das ist natürlich eine enorme Belastung, auch für die Familie, denn alle in der Familie fragen sich: Wie geht es weiter?«, berichtet er im Radiointerview. »Deshalb protestiere ich hier, denn ich finde, das ist ein untragbarer Zustand.«
Darauf machen unbefristet-Initiativen und Gewerkschafter*innen auch anderswo aufmerksam. Kolleg*innen tragen Buttons, kleben Plakate und machen Fotos, um für bessere Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu protestieren. An der Uni Göttingen haben Beschäftigte am Infostand die Möglichkeit, ihre Meinung auf Sprechblasen aus Pappe kundzutun. »Gute Lehre für alle braucht Dauerstellen für alle«, steht darauf, oder »Wir wollen Langzeitdozierende statt Langzeitstudiengebühren«. An der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität in Kaiserslautern können die Kolleg*innen mit Klebepunkten auf einem Plakat deutlich machen, welche ver.di-Forderungen sie unterstützen. Das Votum ist eindeutig: Von verbindlichen Mindestvertragslaufzeiten über einen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung wegen Kinderbetreuung und verbindliche Perspektiven auf Entfristung bis hin zu freien Tarifverhandlungen finden sämtliche Forderungen einhellige Unterstützung.
An fast allen Aktionen beteiligen sich auch Studierende, die sich für den TVStud, einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte einsetzen. In Dresden demonstrierten etwa 100 Aktive aus den sächsischen Hochschulen vor der Staatskanzlei und dem Finanzministerium. Die Gelegenheit, endlich einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte durchzusetzen, erscheint günstig. 11 der 16 Landesregierungen haben sich für bessere Arbeitsbedingungen der studentischen Hilfskräfte ausgesprochen, sechs befürworten in ihren Koalitionsverträgen den Tarifvertrag. Doch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) stellt bislang auf stur. Deshalb wollen die TVStud-Aktiven mit Hilfe von Organizing-Methoden systematisch Stärke aufbauen und den Druck erhöhen.
Beim Befristungsrecht hingegen liegt der Ball im Bundestag. Selbst in der Regierungskoalition gibt es deutliche Kritik an Stark-Watzingers Referentenentwurf. Dieser sei »nicht konsensfähig, insbesondere im Hinblick auf die Postdoc-Phase«, heißt es bei den Grünen. Deren Obfrau für das WissZeitVG, Laura Kraft, erklärt gegenüber dem zwd-Politikmagazin: »Wir wollen mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit für Beschäftigte nach der Promotion, ohne dass sich der Druck auf diese zusätzlich erhöht. Deshalb setzen wir uns weiterhin dafür ein, Qualifizierung im Gesetz klarer zu definieren, die Rolle der Tarifpartner zu stärken und Befristungshöchstquoten zu verankern.«
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner bekräftigt ihre im ver.di-Interview geäußerte Forderung, Wissenschaftler*innen nach der Promotion spätestens nach zwei Jahren eine Anschlusszusage auf eine unbefristete Stelle zu geben. Zudem spricht sie sich für eine weitere Öffnung der sogenannten Tarifsperre aus, um beim Thema Befristungen »sozialpartnerschaftliche Lösungen« zu ermöglichen.
»Die vielen Aktionen in dieser Woche haben deutlich gemacht, dass die Beschäftigten deutliche Nachbesserungen am Referentenentwurf zum WissZeitVG erwarten«, zieht Sonja Staack von ver.di ein positives Fazit der Aktionswoche. »SPD und Grüne müssen ihre Versprechen einlösen und auf einer grundlegenden Reform des Befristungsrechts beharren. Darauf werden wir in den kommenden Monaten immer wieder drängen.«
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