Kein Zurück

    27.04.2022

    Das neue Berliner Hochschulgesetz will Befristungen eindämmen, doch Unileitungen blockieren die Regelung.

     
    Süßer "Berliner" mit Marmeladenfüllung
    © Daniel Behruzi
    Süßer "Berliner" mit Marmeladenfüllung

    Ihre Koffer haben sie schon dabei: »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«, rufen Beschäftigte der Technischen Universität in Darmstadt im Sprechchor. Sie sind es leid, sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten zu hangeln. Ihr Vorbild ist das neue Berliner Hochschulgesetz. Die Novelle bietet Postdocs eine Chance auf eine Dauerstelle. Zudem werden sachgrundlose Befristungen verboten. Doch Berliner Hochschulleitungen sabotieren das Gesetz: Sie blockieren neue Einstellungen, Stellenausschreibungen und Vertragsverlängerungen, um Entfristungen zu verhindern. Auch der Berliner Senat rudert etwas zurück. Nur sechs Monate nach Inkraft treten ist bereits eine Änderung des Hochschulgesetzes in Arbeit. ver.di ruft zum Protest auf.

    »Beim Berliner Hochschulgesetz darf es kein Zurück geben«, betont Jana Seppelt von ver.di in Berlin. Für Kritik sorgt vor allem, dass eine lange Übergangsfrist geplant ist: Der Entwurf sieht vor, dass nur Wissenschaftler*innen eine Chance auf Entfristung haben, die nach dem 31. September 2023 neu eingestellt werden. Damit werde eine ganze Generation von Postdocs im Stich gelassen, kritisiert die Gewerkschafterin. Zudem soll die Regelung nicht für promovierte Wissenschaftler*innen gelten, die überwiegend aus Drittmitteln oder aus Programmen des Bundes und der Länder finanziert werden.

    Im Kern soll das neue Gesetz bestehen bleiben. Wer schon promoviert hat und jetzt habilitiert oder Lehrerfahrung sammelt, muss nach der Qualifizierungsstelle eine sogenannte Anschlusszusage erhalten. Damit erhalten promovierte Wissenschaftler*innen die Möglichkeit, dauerhaft an der Hochschule zu arbeiten. »Die Regelung ist richtig und gut«, sagt René Pawlak, Vorsitzender des Gesamtpersonal rats an der Berliner Humboldt Universität. Er äußert die Hoffnung, dass sich das Modell auch anderswo durchsetzt. »Berlin geht mit gutem Beispiel voran«, sagt Sonja Staack, bei ver.di bundesweit für Hochschulen verantwortlich. Die Gewerkschafterin lobt das Verbot sachgrundloser Befristun gen an den Berliner Hochschulen. Davon profitierten vor allem die Kolleg*innen aus Technik und Verwaltung.

    »Wir haben sehr dafür gekämpft, Postdocs mit Daueraufgaben – das ist ganz wichtig zu betonen – eine Perspektive zu eröffnen«, sagt Jana Seppelt. Allerdings sei begrenzt, wie viele Postdocs davon letztlich profitierten. »An der TU Berlin mit 7.000 Beschäftigten geht es um 162 Stellen«, rechnet die Gewerkschafterin vor. »Die Zahl ist ein Witz.« Zumal diese Stellen nicht automatisch sofort entfristet werden, sondern die Wissenschaftler*innen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen.

    Gleichwohl war der Aufschrei aus den Reihen der Unileitungen groß. Die Präsidentin der Humboldt-Universität trat aus Protest zurück. Die neuen  Regelungen für Postdocs, meint Sonja Staack, rechtfertigten Reaktionen in dieser Schärfe nicht. »In der freien Wirtschaft ist es üblich, dass hochqualifizierte Fachkräfte eine klare Berufsperspektive haben.« Auch gehe es bei der Entfristung nur um Stellen, deren Finanzierung langfristig gesichert sei. Bei ihrer Aktion gegen Befristungen an der TU Darmstadt überreichen die Kolleg*innen dem Perso nalchef einen süßen Berliner mit Marmeladenfüllung. Ihre Botschaft: »Was in Berlin möglich ist, muss auch hier drin sein.«

    erschienen im biwifo-Report 02/2022, veröffentlicht/aktualisiert am 27. April 2022

     

    Was ist dran an den Argumenten für Befristung?

    »Wissenschaftler*innen mit unbefristeten Verträgen blockieren dauerhaft die Stellen und nehmen Nachwuchs kräften die Chance auf eine Qualifikation.«


    Dieses »Verstopfungsargument« hat im Rahmen von #IchbinHanna für viel Empörung gesorgt – zu Recht. Es geht nicht darum, alle Arbeitsplätze in Dauerstellen umzuwandeln und keine Qualifikationen mehr zu ermöglichen. Promotions- und Projektstellen sind von der Novelle gar nicht betroffen. Aber Befristungs quoten von 90 Prozent und mehr sind nicht zu rechtfertigen.


    »Hochschulen sollen Exzellenz fördern. Sie sind jedoch nicht mehr innovativ, wenn Wissen schaftler*innen es sich auf Dauerstellen bequem machen.«

    Die Vorstellung, Beschäftigte bräuchten Druck und Zukunftsangst, um motiviert zu sein, widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch wissenschaftlichen Erkenntnissen. Insbesondere Wissenschaftler*innen haben eine hohe intrinsische Motivation. Legen sich etwa alle verbeamteten Professor*innen auf die faule Haut? Kettenbefristungen führen nicht zu mehr Innovation, sondern verhindern diese. Ständige Existenzangst kostet Kraft und verhindert Kreativität.


    »Eine Garantie auf Dauerstellen können Hochschulen gar nicht finanzieren.«

    Keine Frage: Die Hochschulen müssen zuverlässig ausfinanziert werden, um ihre Aufgaben in Lehre und Forschung auf hohem Niveau erfüllen zu können. Dafür setzt sich ver.di gegenüber den politischen Entscheider*innen ein. Daueraufgaben müssen übrigens sowieso dauerhaft finanziert werden – auch wenn sie von wechselnden Beschäftigten ausgeführt werden.

     

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