Außer Kontrolle

27.04.2022
Starke Abhängigkeit

Starke Abhängigkeit: Der Fall einer jungen Wissenschaftlerin zeigt, wie machtlos Nachwuchskräfte mit befristeten Verträgen bei internen Konflikten dastehen. Das Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft fordert eine externe Kontrollinstanz.

In ihrem Postfach in der Fakultät findet die wissenschaftliche Mitarbeiterin Stefanie Ott* einen anonymen Drohbrief. Darin wird sie als „Schlampe“ bezeichnet und aufgefordert, sich nicht um Prüfungsangelegenheiten zu kümmern. „Sonst ergeht es dir schlecht!“ Die junge Wissenschaftlerin hatte kurz zuvor um eine Übersicht gebeten, wer im Fachbereich wie viele mündliche Prüfungen betreut. Sie habe das Gefühl gehabt, dass die allermeisten Prüfungen an ihr hängenblieben, berichtet Stefanie Ott. „Neben all den anderen Aufgaben blieb mir kaum Zeit für meine Habilitation.“ Wenig später folgt der nächste Hassbrief, als „letzte Warnung“ tituliert. „Frauen wie dich hätten wir früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt“, heißt es darin.

Die Reaktion ihrer Vorgesetzen macht für die Nachwuchswissenschaftlerin alles noch schlimmer: Sie habe keine Unter stützung erfahren, berichtet Stefanie Ott, vereinzelt sei über die Drohung sogar gelacht worden. Daraufhin habe sie alleine Kontakt mit der Personalabteilung, dem Justiziar und der Gleichstellungsbeauftragten gesucht. Doch auch dort fand die Wissenschaftlerin nicht die Unterstützung, die sie sich erhoffte. „Der Ton mir gegenüber wurde immer aggressiver“, sagt Stefanie Ott. Sie fühlte sich gemobbt, vermisste die Solidarität ihrer Kolleg*innen. „Die Fakultät rückte geschlossen vor mir ab.“ Die Wissenschaftlerin stellte eine interne Mobbinganzeige, der Personalrat begleitete sie dabei.

An der Hochschule gibt es eine Dienstvereinbarung, die einen Fahrplan für den Umgang mit Konflikten vorgibt. Dazu gehört im ersten Schritt ein moderiertes Gespräch, gefolgt von einem professionellen Mediationsgespräch. „Alles hat sich un endlich lange hingezogen“, sagt die Personalrätin. Der befristete Vertrag von Stefanie Ott lief aus, bevor das Verfahren beendet war. „Damit hat sich das Problem für die Uni von selbst erledigt“, bemängelt die Interessenvertreterin. Das Beispiel habe die Schwachstellen der Dienstvereinbarung deutlich vor Augen geführt: „Da müssen unbedingt Fristen und Sanktionsmöglichkeiten rein.“ Aus ihrer Vernetzung in ver.di weiß sie, dass solche Fälle nicht nur an ihrer Hochschule vorkommen.

Nach der Mobbinganzeige, berichtet Stefanie Ott, habe ihr Professor plötzlich Bedenken geäußert, ob er ihre Habilitation bewerten könne. Von seiner Funktion als Betreuer sei er von heute auf morgen zurückgetreten. „Das hätte das K.O. für ihre Habilitation sein können“, so die Personalrätin. Selbst wenn alle Schritte der Dienstvereinbarung erfolgreich durchgeführt würden und die Postdoktorandin schließlich Recht bekäme, „kann sie ihre Karriere im schlimmsten Fall trotzdem in den Wind schreiben“. Der Fall zeige, wie groß die struk turellen Abhängigkeiten seien. „Professoren sind Könige, die alleine in ihrem Reich herrschen.“

Das sieht Professor Daniel Leising vom Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft ähnlich. Professor*innen hätten eine Art Alleinherrschaft, weitgehend ohne Kontrolle von außen. „Fast alle Macht ist derzeit bei einer Person gebündelt“, sagt der Psychologe der TU Dresden. Professor*innen seien zum Beispiel sowohl dafür verantwortlich, die Arbeitsverträge zu ver-längern, als auch die Abschlussarbeit zu bewerten. Junge Wissenschaftler*innen seien bereit, fast alles dafür zu tun, ihre Qualifikation erfolgreich abzuschließen, nachdem sie oft schon viele Jahre in ihr Forschungsprojekt investiert haben. Diese Bereitschaft werde häufig ausgenutzt. Zwar gebe es Beschwerdestellen oder Ombudspersonen, doch diese seien oft nicht effektiv genug. „Sie haben zu wenig Macht im System.“

Klar, wer mitbekomme, dass der Chef in die Kasse greift oder Daten fälscht, könne Anzeige erstatten. „Aber damit einher geht dann eben das sehr reale Risiko, den eigenen Job zu verlieren“, betont Daniel Leising. Eine große Rolle spielten auch die vielen Befristungen an Hochschulen. Wer sich gegen seinen Vorgesetzten auflehne, setze seine berufliche Existenz aufs Spiel. Der Chef müsse gar nichts anderes tun, als einfach den Vertrag nicht zu verlängern. Wer einmal in Ungnade gefallen sei, werde im jeweiligen Institut schnell zum Außenseiter. „Alle haben dann Angst, selber auch ausgegrenzt zu werden.“

Der Ruf nach mehr externer Kontrolle werde immer lauter, sagt Daniel Leising. „Es muss dafür eine Institution geben, die nicht zum Mikrokosmos der eigenen Uni gehört.“ Sie müsse mit deutlich erweiterten Befugnissen ausgestattet sein, etwa Einsicht in Akten nehmen und auch wirksame Sanktionen verhängen können. Durch die Auslagerung der Zuständigkeit werde auch besser sichergestellt, „dass es keine institutionelle Verwicklung zwischen Beschwerde stelle und Professor gibt“. Wichtig sei auch, die Nöte der Betroffenen ernst zu nehmen, und diese nicht nur „als lästige Fälle zu betrachten, die es möglichst schnell ad acta zu legen gilt.“

Nach dem Konflikt in ihrer Fakultät suchte Stefanie Ott monatelang in Eigenregie nach einer anderen Uni, wo sie ihre Habilitation einreichen kann: „Gott sei Dank konnte ich mein Forschungsprojekt zu Ende bringen.“

*Name geändert

erschienen im biwifo-Report 01/2022, veröffentlicht/aktualisiert am 27. April 2022

 

 

Netzwerk gegen Machtmissbrauch

Das Netzwerk gegen Machtmissbrauch – kurz MaWi – hat sich vor wenigen Monaten gegründet. Die Initiative von Wissenschaftler*innen zielt darauf ab, mehr öffentliches Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Außerdem berät sie Betroffene direkt und will langfristig auf eine Veränderung der akademischen Strukturen hinarbeiten, um Machtmiss brauch auch auf dieser Ebene zu bekämpfen.

Mehr Infos: netzwerk-mawi.de/

 

Weiterlesen

1/12

Kontakt