»Zwanzig« ruft die Lehramtsstudentin Anna-Lisa Reinhard mit aller Kraft ins Mikrophon. »Millionen« kommt es von den rund 1.500 Beschäftigten und Studierenden der TU Darmstadt zurück, die an diesem Donnerstag gegen drohende Kürzungen protestieren. Mindestens 20 Millionen Euro fehlen aufgrund explodierender Energiekosten im Haushalt der südhessischen Universität. Das Bündnis »TUtalausfall verhindern«, in dem sich Studierendenvertretungen und Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, hat deshalb zum Streik- und Protesttag aufgerufen. Es fordert vom Land Hessen, das Defizit auszugleichen. Die TU-Leitung sieht es in der Pflicht, für sichere Beschäftigung und gute Studienbedingungen zu sorgen – unter anderem durch mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse.
»Wir müssen jetzt gemeinsam kämpfen, denn für gute Lehre braucht es auch gutes Personal«, erklärt der Student Tobias Huber für das Bündnis. Keinesfalls dürften die Mehrkosten für Energie durch Stellenstreichungen im wissenschaftlichen Mittelbau ausgeglichen werden. Das betont auch Martin Bauer von der Initiative »darmstadtunbefristet«. An der TU hätten bereits vor der Krise 16 Prozent der administrativ-technischen und über 90 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten nur einen befristeten Arbeitsvertrag. »Befristungen schaden aber nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Qualität von Lehre und Forschung und somit der ganzen Uni.«
Auf Beschluss der studentischen Vollversammlung werden die Vorlesungen an diesem Tag bestreikt. Die ver.di-Vertrauensleute haben die Beschäftigten dazu aufgerufen, sich dem Protest in ihrer Mittagspause anzuschließen. Gabriel Nyč, der bei ver.di in Hessen für Hochschulen und Forschungseinrichtungen zuständig ist, zeigte sich mit der Resonanz sehr zufrieden. »Das ist ein starkes Signal der TU-Studierenden und Beschäftigten an die Landesregierung. Hessen muss dringend die Defizite der Hochschulen ausgleichen, die durch die Steigerung der Energiepreise entstanden sind.« Zudem müssten notleidende Studierende kurzfristig unterstützt und das BAföG-System grundlegend reformiert werden.
Das fordert auch Tobias Kratz vom AStA-Vorstand: »Es braucht endlich ein BAföG, das nicht nur die völlig Verelendeten bekommen, sondern alle, die es brauchen und wollen!« Zudem bräuchten Studierende 1.000 Euro als Soforthilfe. Die von der Bundesregierung bislang beschlossenen 200 Euro seien »ein Tropfen auf dem heißen Stein«.
Um das zur Erfüllung dieser Forderungen nötige Geld zu beschaffen, müssten »Krisenprofiteure« wie Mineralölkonzerne zur Kasse gebeten werden, fordert die Sprecherin der ver.di-Vertrauensleute an der TU, Heidi Schweitzer. Beschäftigte und Studierende würden weiter gemeinsam für einen sozialen und solidarischen Umgang mit der Krise kämpfen. »Solidarität ist das wertvollste, was wir haben«, betont die Gewerkschafterin. »Und in Krisenzeiten wie diesen ist sie unbezahlbar.«
Insgesamt rund 24.000 Menschen sind am 22. Oktober in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Hannover, Stuttgart und Frankfurt am Main für soziale Gerechtigkeit auf die Straße gegangen. Aufgerufen hatte das Bündnis #SolidarischerHerbst, dem neben ver.di auch Umwelt- und Sozialverbände angehören. Es fordert unter anderem mehr zielgerichtete Soforthilfen, einen Mietenstopp, Investitionen in den Klimaschutz und einen Schutzschirm für die Daseinsvorsorge – von Stadtwerken und Schulen bis zu Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen. »Wir brauchen eine gerechte Erbschaftssteuer, wir brauchen ein angemessenes Heranziehen von hohen Vermögen«, forderte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke bei der Abschlusskundgebung in Berlin. »Solidarität entsteht nicht von allein. Solidarität muss erkämpft werden und dafür ist heute der Auftakt.«
Unter diesem Motto mobilisieren Aktive aus sozialen, gewerkschaftlichen und politischen Gruppen für einen solidarischen Weg aus der Krise. Sie fordern eine Wende hin zu einer Politik, die das Recht aller Menschen auf ein würdiges Leben in den Mittelpunkt stellt. Und sie wollen den Protest nicht denen überlassen, die hetzen und rassistisch oder anderweitig ausgrenzen. Nötig sei die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums – diesmal von oben nach unten.
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