Die hessische CDU-SPD-Landesregierung streicht den Hochschulen 2024 per Nachtragshaushalt 34 Millionen Euro. Im nächsten Jahr drohen weitere Einschnitte. Zugleich steigen die Kosten für Energie und Neubauten, aber auch fürs Personal. Bei den Tarifverhandlungen im Frühjahr hatten die hessischen Landesbeschäftigten mit ver.di deutliche Lohnsteigerungen durchgesetzt: In diesem Jahr gibt es steuerfreie Einmalzahlungen von 3.000 Euro, im nächsten Jahr steigen die Gehälter dauerhaft zunächst um 200 Euro und danach nochmal um 5,5 Prozent. »Diese Lohnerhöhungen sind das Minimum, das die Hochschulbeschäftigten brauchen und verdient haben«, erklärte Gabriel Nyc, der bei ver.di in Hessen für Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständig ist. »Das Land muss die erhöhten Kosten vollständig refinanzieren. Stattdessen die Budgets zusammenzustreichen, wäre für Lehre und Forschung ebenso fatal wie für die Beschäftigungssicherheit und die Arbeitsbedingungen.«
Um das deutlich zu machen, gingen am 18. Juli in Marburg, Kassel, Frankfurt und Darmstadt insgesamt gut 1.000 Beschäftigte und Studierende auf die Straße. »Ich empfinde die Proteste als Rückenwind«, erklärte Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) vor rund 500 Demonstrierenden in Darmstadt. Er werde sich innerhalb der Regierung für eine gute Finanzierung einsetzen. Das verlangen auch die insgesamt 900 Teilnehmenden von Personalversammlungen in Marburg und Darmstadt: In einer Resolution fordern sie die Landesregierung auf,»ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und für eine auskömmliche und verlässliche Finanzierung der Hochschulen zu sorgen«. Gerade in Zeiten technologischer und gesellschaftlicher Umbrüche komme es auf eine leistungsfähige Wissenschaft und gute Bildung an.
Bildungskürzungen seien »das völlig falsche Signal«, bekräftigte der Sprecher der ver.di-Landesfachkommission Hochschulen, Mathis Heinrich von der Uni Marburg. »Die Beschäftigten und Studierenden aller hessischen Hochschulen halten zusammen, um diese Attacke auf unsere Zukunft abzuwehren.« Auch Anna Diegler, in der Marburger Hilfskraftinitiative und bei ver.di aktiv, betonte, dass Studierende und Hochschulbeschäftigte an einem Strang ziehen. »Zusammen treten wir für ein gutes Studium und sichere Beschäftigung an Hessens Hochschulen ein.«
Mit dem Protest in der letzten Vorlesungswoche habe man »trotz Klausurenphase ein erstes Zeichen gesetzt, dass wir uns diesen Bildungsabbau nicht gefallen lassen«. Sollte die Landesregierung an ihren Kürzungsplänen festhalten, dürfte es nicht die letzte Aktion gewesen sein.
Mehr Infos: Was bei der Finanzierung von Hochschulen grundlegend schiefläuft, erklärt der Soziologieprofessor Tilman Reitz im Interview.
»Eigentlich dachten wir, dass wir Planungssicherheit haben. Die Hochschulen in Berlin haben mit dem Senat einen Fünfjahresvertrag ausgehandelt, der vorsieht, dass das Budget um fünf Prozent pro Jahr steigt. Aus dem Topf müssen auch die Tarifsteigerungen bezahlt werden. Schon das hätte bedeutet, dass die Hochschulen sparen müssen. An der Humboldt Universität sollte deshalb zum Beispiel der Studiengang Italianistik gestrichen werden. Doch kurz darauf hat der Senat überraschend angekündigt, dass die Hochschulen dafür 55 Millionen Euro aus ihren Rücklagen aufwenden müssen. Das ist heftig. Wir können noch gar nicht genau abschätzen, was für Auswirkungen damit einhergehen. Aber es ist davon auszugehen, dass viele Stellen gestrichen werden. Und zwar nicht nach einem Plan, erstreckt über mehrere Jahre, sondern ganz schnell, je nachdem, wo jemand zufällig in Rente geht. Bis jetzt gab es in Berlin noch keine großen Proteste dagegen. Dabei werden auch die Studierenden massiv unter den Sparplänen leiden. Das betrifft sowohl die Betreuung als auch Räume, Ausstattung und Technik. Für alles gibt es jetzt weniger Geld. Doch der Prozess erfolgt schleichend.«
Thomas K., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt Universität Berlin und bei ver.di aktiv
»In Hamburg gilt an den Hochschulen schon länger die Regelung, dass freiwerdende Stellen ein Jahr nicht neu besetzt werden dürfen. Danach wird geprüft, ob sie ›noch benötigt‹ werden. Mit anderen Worten: Wir erledigen die gleiche Arbeit, mit der gleichen Anzahl an Studierenden, aber mit hunderten Beschäftigten weniger. Das ist dramatisch. Dadurch steigt die Belastung enorm – und ist kaum noch zu tragen, der Krankenstand ist hoch. Dabei bekommen die Hochschulen real nicht mal weniger Geld, sondern eine zweiprozentige Steigerung. Aber das reicht bei Weitem nicht aus, um die Auswirkungen der Inflation und die steigenden Energiekosten abzufangen. Tarifsteigerungen werden nur teilweise übernommen.
Generell fließt viel zu wenig Geld ins System. Die Grundfinanzierung von Bund und Land ist völlig unzureichend, zumal die Bundesmittel mit dem neuen Zukunftsvertrag geringer ausfallen als früher. Die Auswirkungen sind massiv, auch für die Studierenden: Die Qualität von Studium und Lehre leidet. Der Betreuungsschlüssel steigt, die Gruppen sind größer. Aber ins Labor zum Beispiel können sich nicht doppelt so viele Studierende quetschen. Es kann doch nicht sinnvoll sein, die Hochschulen so runterzurocken und das Studium unattraktiv zu machen.«
Holger Sterzenbach, Personalratsvorsitzender an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und aktiv in der ver.di-Bundesfachkommission Hochschulen
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