Vor mehr als drei Jahrzehnten begann die neoliberale Umgestaltung der deutschen Hochschulen. »Forschung und Wissenschaft orientieren sich seither immer stärker an ökonomischen Interessen, anstatt an demokratischer Mitbestimmung«, sagt Christiane Fuchs, politische Geschäftsführerin des Bunds demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) in Deutschland. Der BdWi fühlt sich dem entgegen einer Wissenschaftspolitik in gesellschaftlicher Verantwortung verpflichtet. Warum gerade diese Verantwortung aktuell besonders wichtig ist und wo die Probleme bei der Kommerzialisierung der Forschung liegen, erläutert Christiane Fuchs im Interview.
Bereits seit vielen Jahren beschäftigt sich der BdWi mit Fragen zur »unternehmerischen Hochschule«. Wie ist es aus deiner Sicht um die Kommerzialisierung der Forschung in Deutschland aktuell bestellt?
Die Kommerzialisierung der Wissenschaft schreitet seit den 1990er Jahren stetig voran. Insbesondere im Bereich der Hochschulfinanzierung sehen wir einen künstlich erzeugten Wettbewerb um Forschungsgelder. Die staatliche Grundfinanzierung macht vielerorts nur noch etwa die Hälfte der Einnahmen aus. Stattdessen müssen Forscher*innen um externe Drittmittel für zeitlich befristete Forschungsprojekte konkurrieren. Obwohl diese Gelder zum Großteil gar nicht aus der privaten Wirtschaft kommen, sondern vom Staat, wird die Forschung so einem starken ökonomischen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Zudem findet eine Art Kommerzialisierung der Hochschulverwaltung statt, die sich in einem Abbau demokratischer Mitbestimmung äußert. An die Stelle von akademischer Selbstverwaltung tritt immer öfter eine neue Führungsstruktur, die denen von Privatunternehmen ähnelt. Mit eher starren Hierarchien, in denen die Leitungsebene, insbesondere die Präsidien und die Hochschulräte, stetig an Einfluss gewinnen und die Hochschule nach unternehmerischen Kriterien führen.
Was sind die Ursachen für diese Entwicklung? Warum dominieren ökonomische Interessen nunmehr auch Forschung und Wissenschaft?
Das hat zunächst mit der allgemeinen Neoliberalisierung der Politik zu tun. Auch für die Wissenschaft hat sich in den Ministerien und Parlamenten der Irrglaube durchgesetzt, dass ökonomischer Wettbewerb grundsätzlich zu besseren Ergebnissen führt als eine öffentliche Daseinsvorsorge. Die Kommerzialisierung ist damit eine bewusste politische Entscheidung, die zum Beispiel durch die Einführung der Exzellenzinitiative immer weiter forciert wird. Ziel der Politik ist es, die Innovationsfähigkeit und auch die internationale Strahlkraft der deutschen Forschung zu erhöhen. Insbesondere in den MINT-Fächern sind Technologieentwicklung, High-Tech-Innovationen und die Forschung zu Künstlicher Intelligenz mittlerweile zu einem echten Standortfaktor geworden. Problematisch ist jedoch, dass damit fast nur noch auf das Endprodukt, also den Forschungs-Output geschaut wird, und niemand mehr fragt, was die Wissenschaft eigentlich grundsätzlich braucht, um gut forschen und lehren zu können.
Welche Konsequenzen hat diese Kommerzialisierung in der Forschung?
Hoch problematisch ist es, dass es in vielen Bereichen nur noch um Projektförderungen geht und in entsprechenden Zyklen gedacht wird. Das heißt, ich kann als Wissenschaftler*in nicht mehr sagen: Ich habe hier eine interessante Idee und brauche dafür jetzt ein paar extra Gelder, sondern die Denkrichtung hat sich komplett verdreht. Forschende brauchen heutzutage dringend Drittmittelgelder, also überlegen sie: Was kann ich für ein Forschungsprojekt einreichen, um diese Mittel zu bekommen? Hier stellt sich die Frage, wie frei oder unabhängig eine Forschung noch sein kann, die sich primär daran orientiert, wie ich am besten Gelder einwerben kann. Das führt also auch zu einem inhaltlichen Konformismus. Denn, wenn ich angewiesen bin auf externe Projektgelder, dann suche ich mir kein langwieriges Forschungsthema mehr aus, das weit abseits steht vom Mainstream. Niemand kann ein kritisches Zehnjahresprojekt anlegen, wenn weder der eigene Arbeitsvertrag noch irgendein Förderzeitraum überhaupt so lange läuft.
Warum lassen sich die Forschenden dann darauf ein?
Weil es schlicht keine Möglichkeit mehr gibt, sich dem als Einzelperson zu entziehen. Ich kann natürlich sagen, dass ich dieses System nicht gut finde. Und solange ich auf einer sicheren verbeamteten Stelle oder Professur sitze, mag das auch gut gehen. Aber wenn ich als befristet beschäftigter Postdoktorand selbst die externen Gelder einwerben muss, um überhaupt eine weitere Forschungsstelle zu bekommen, dann heißt es am Ende: Entweder ich lasse mich auf das Spiel mit der Drittmittelförderung ein, oder ich falle raus aus diesem Wissenschaftssystem.
Das klingt nicht sehr aussichtsreich. Gibt es denn überhaupt Widerspruch gegen die Kommerzialisierung, wenn es für Forschende selbst so schwer ist, sich dem zu entziehen?
Für die einzelnen Forscher*innen mag es schwierig sein, aber auf kollektiver Ebene sehe ich schon, dass es Interessenvertretungen gibt, die sich wie der BdWi für ein emanzipatorisches Wissenschaftssystem einsetzen. Neben den beiden DGB-Gewerkschaften ver.di und GEW und den organisierten Studierendenvertretungen ist hier vor allem das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft zu nennen. Hier verbindet sich die Kritik am drittmittelfinanzierten Forschungssystem mit dem Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen für den akademischen Mittelbau. Denn die prekären Beschäftigungsverhältnisse sind auch auf die Zunahme der befristeten Projektförderung durch Drittmittel zurückzuführen.
Wie könnte eine alternative Entwicklung zum aktuellen Trend der Kommerzialisierung aussehen?
Der BdWi setzt sich seit jeher dafür ein, dass Forschung und Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung stattfinden sollen. Neben Zivilklauseln und demokratischer Mitbestimmung sind damit auch konkrete Hochschulstandards in Bezug auf externe Geldgeber gemeint. Ein Gegenmodell zur Kommerzialisierung muss sich für eine gute Grundfinanzierung der Hochschulen einsetzen, damit Forschende wieder freier entscheiden können, ob und wenn ja um welche externen Drittmittel sie sich bewerben wollen. In diesem Zusammenhang muss dann auch die Frage erlaubt sein, ob nicht ein Teil des Gewinns, den private Unternehmen auf der Basis staatlich finanzierter Grundlagenforschung erwirtschaften, an die Hochschulen zurückgeführt werden kann. Eben weil die Hochschulen vielerorts hoffnungslos unterfinanziert sind, werden wir um eine solche Diskussion wohl nicht herumkommen.
Interview: Mathis Heinrich
veröffentlicht am 13. März 2023
Hochschulen, Forschungseinrichtungen
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