»Auf Dauer extrem ermüdend«

28.09.2023

Die Politikwissenschaftlerin Julia Schmidt hangelt sich als Verwaltungsangestellte an der Ruhr-Uni Bochum von einer halben Stelle zur nächsten. Die Unsicherheit setzt der Personalrätin sehr zu.

Mal ist ihre halbe Stelle auf vier Monate befristet, mal auf ein Jahr. »Ich fühle mich«, sagt Julia Schmidt, Verwaltungsangestellte an der Ruhr-Universität Bochum, »als würde mir eine Möhre vor die Nase gehalten: Ich renne immer schneller, mache immer mehr Überstunden. In der Hoffnung, dass mein Vertrag beziehungsweise meine Stundenaufstockung verlängert wird.« In ihren elf Jahren als Mitarbeiterin in Technik und Verwaltung – kurz MTV – an der Uni zählt sie 16 Arbeits- und Änderungsverträge. »Das ist auf Dauer extrem ermüdend.« Die Unsicherheit macht ihr sehr zu schaffen. Mit Sorgen denkt sie an ihre Rente.

 
Julia Schmidt lässt sich nicht Bange machen: Die 41-Jährige ist trotz Befristung im Personalrat und bei ver.di aktiv.

Hoffen auf etwas Sicherheit

Dabei hat Julia Schmidt erfolgreich Politikwissenschaften studiert. Nach ihrem Diplom mit Note sehr gut überlegte sie, an der Uni zu bleiben und zu promovieren. Deshalb bewarb sie sich als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum. Eine halbe Stelle, auf neun Monate befristet. »Die Bezahlung war zwar nicht attraktiv«, sagt Julia Schmidt. »Aber so hatte ich meinen Fuß in der Tür.« Als ihr Vertrag endete, war sie in der Hochschule gut vernetzt – und wurde von einem renommierten Kriminologen erst als wissenschaftliche Hilfskraft und kurze Zeit später als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt, um dort ein Forschungsprojekt zu leiten und zu promovieren. Projektbedingt war die halbe Stelle diesmal auf 14 Monate befristet.

Julia Schmidt reichte im Zuge dieser Forschungstätigkeit ein Thema für ihre Promotion ein. Doch als ihr Vertrag endete, stellte sich die Frage: »Wie finanziere ich mein Leben?« Ihrem Vater wollte sie nicht wieder auf der Tasche liegen. Deshalb nahm sie dankbar an, als ihr eine halbe Stelle als Verwaltungsangestellte im Gleichstellungsbüro angeboten wurde. Obwohl es klassische Daueraufgaben waren, erfolgte die Einstellung zunächst für zwei Jahre ohne Sachgrund. Eine Wohnung konnte sie alleine jedoch immer noch nicht mieten. Ihr Vater musste weiterhin bürgen. Zu unsicher und gering war ihr Einkommen.

Aus diesem Grund habe sie auch die Familienplanung immer weiter aufgeschoben, berichtet die Verwaltungsangestellte. Einige ihrer Freundinnen hätten ein Baby bekommen, »blöderweise« endete ihr befristeter Vertrag in der Elternzeit. »Und zack waren sie weg vom Fenster.« Deshalb wollte Julia Schmidt mit dem Kinderkriegen warten, bis sie finanziell einigermaßen abgesichert ist. »Aber irgendwann ist der Zug abgefahren.«

Ihren Traum von der Promotion gab Julia Schmidt auf, als sie die Chance bekam, vorübergehend im Gleichstellungsbüro auf eine volle Stelle aufzustocken. »Diesen Luxus – in Anführungszeichen – konnte ich mir nicht entgehen lassen.« Zumal sie ein Doktortitel alleine beruflich nicht weitergebracht hätte. »Außer etwas Schulterklopfen in der Familie hätte ich davon nichts gehabt.« Nach zwei Jahren wurde ihre halbe Stelle entfristet, immerhin – und blieb ihr erhalten, als sie später in die Studienberatung wechselte. Aktuell arbeitet die 41-Jährige für ein knappes halbes Jahr im Dekanat für Geowissenschaften, ihr Vertrag wurde zum Semesterstart kurzfristig um drei Monate verlängert. Wie es danach weitergeht? Weiß sie nicht.

Trotz Befristung aktiv

Felsenfest dazu gehört für Julia Schmidt ihr Engagement in ver.di. Die Gewerkschafterin ließ sich zudem in den Personalrat wählen, war zweieinhalb Jahre lang Vorsitzende des 15-köpfigen Gremiums und damit zuständig für über 2.000 Beschäftigte. »Das geht nicht nebenbei.« Deshalb wurde sie freigestellt, ihre halbe Stelle aufgestockt, jedoch wieder nur befristet. Die allermeisten Beschäftigten ohne Dauerstellen schrecken davor zurück, sich offen in der Gewerkschaft oder im Personalrat zu betätigen. Sie fürchten, es sich mit Vorgesetzten zu verscherzen und ihre Verlängerung aufs Spiel zu setzen. Julia Schmidt gehört nicht dazu. »Natürlich hat man es im Kopf«, sagt sie. »Für viele ist der Personalrat ein rotes Tuch. Aber ich lasse mich davon nicht behindern.“ Für die Gewerkschafterin steht fest: »Mich für andere einzusetzen, ist mein absoluter Traumjob.«


Kathrin Hedtke

 

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