An britischen Hochschulen brodelt es – Beschäftigte von mehr als 140 Einrichtungen sind seit Monaten im Arbeitskampf. Am meisten Aufruhr verursacht ein am 20. April 2023 von Mitgliedern der University and College Union (UCU) begonnener, landesweiter Boykott von Prüfungen und Benotungen.
Im britischen Arbeitsrecht gibt es hierfür das Instrument der »action short of strike« (ASOS), einer streikähnlichen Aktion, bei der die meisten Dienstpflichten weiter erbracht werden und nur bestimmte, festgelegte Leistungen verweigert werden. Wie bei einem vollen Streik wird darüber von den Gewerkschaftsmitgliedern abgestimmt. Im konkreten Fall ist neben dem Prüfungsboykott Teil des Beschlusses, sich wirklich mal an seine Arbeitszeiten zu halten – also Mehrarbeit zu verweigern, nicht für ausfallende Kolleg*innen einzuspringen und keine freiwilligen Zusatzleistungen zu erbringen. Dienst nach Vorschrift als Zeichen des Protests – das zeigt, wie sich die Hochschulleitungen in Großbritannien wie hierzulande im Normalfall darauf verlassen, dass viele Beschäftigte sich über das vertraglich vereinbarte Maß engagieren und damit den Laden am Laufen halten.
Die Beschäftigten halten den Druck aus, dass ihre Aktion reale Folgen für Studierende hat: Insbesondere Absolvent*innen kann es Probleme bereiten, wenn sie nicht pünktlich ihre Abschlusszeugnisse bekommen. Die renommierte University of Cambridge erwartete im Sommer, dass etwa die Hälfte der 4.500 Bachelor-Studierenden, die in diesem Jahr ihren Abschluss anstreben, betroffen sein könnte.
Der Boykott der Lehrenden schlägt seine Wellen bis nach Übersee: Für internationale Studierende hängt die Aufenthaltsgenehmigung davon ab, dass sie rechtzeitig Prüfungsleistungen erbringen. Allein 42.000 indische Studierende bangten im Juli um ihren Aufenthaltstitel. Im Königreich sorgen sich einige daher um den guten Ruf als eines der weltweit beliebtesten Studienziele. Für die Hochschulen sind die internationalen Studierenden eine wichtige Einnahmequelle: Durchschnittlich zahlen sie jährlich pro Kopf 22.200 Pfund Studiengebühren (25.800 Euro), ihr gesamter Beitrag zur Wirtschaftsleistung Großbritanniens wird gar auf 41,9 Milliarden Pfund geschätzt (48,75 Milliarden Euro). Für die Haushalte der Hochschulen ist diese Gruppe umso wichtiger, seit Großbritannien durch den Brexit von den Fördertöpfen der EU weitgehend abgeschnitten ist.
Begleitet wird der Prüfungsboykott von weitergehenden Streikmaßnahmen an verschiedenen Hochschulen. Mit im Boot ist das wissenschaftsunterstützende Personal, organisiert in den Gewerkschaften Unite und Unison. Erste Streiktage gab es im Juni, eine Ausweitung ist für das kommende Semester geplant. Auftakt ist Ende September mit einem fünftägigen Streik während der Einführungswoche für die Erstsemester.
Wichtigstes gemeinsames Ziel ist eine Gehaltserhöhung mit einem Reallohnzuwachs von zwei Prozent, auch um niedrige Lohnrunden aus der Corona-Zeit zu kompensieren. Angesichts der enormen Inflation von über zehn Prozent ist dafür insgesamt eine Erhöhung von etwa zwölf Prozent erforderlich. Drei Verhandlungsrunden im Juli blieben ohne Ergebnis. Das Angebot des Arbeitgeberverbands UCEA lag es je nach Gehaltsgruppe bei fünf bis sechs Prozent. Das würde immer noch einen Reallohnverlust bedeuten und wurde daher abgelehnt.
Die Beschäftigten kämpfen außerdem für die Sicherung der Betriebsrenten und gegen die zunehmende prekäre Beschäftigung. Ungefähr ein Drittel des akademischen Personals ist auf befristeten Verträgen beschäftigt, bei reinen Forschungsaufgaben zwei Drittel. Im Vergleich zu deutschen Hochschulen wirkt das nach einem moderaten Befristungsanteil – den die britischen Kolleg*innen aber nicht bereit sind hinzunehmen. Hinzu kommt ein hoher Anteil anderer atypischer Beschäftigung, darunter Null-Stunden-Verträge, die auf Stundenbasis ohne Mindeststundenzahl vergütet werden. Rund ein Viertel der Lehre im Undergraduate-Bereich wird von Lehrenden auf Stundenbasis durchgeführt, wobei nicht ausreichend Zeit für Vor- und Nachbereitung angerechnet wird. Für den Herbst haben die Gewerkschaften daher eine weitere Eskalation des Arbeitskampfs angekündigt.
Birthe Haak
Hochschulen, Forschungseinrichtungen
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