Einigungsstelle

Keine Gleichheit der Mittel

30.06.2020

Die Evangelische Kirche Deutschlands konterkariert per Entschädigungsordnung die erst kürzlich von ihr selbst geschaffene Möglichkeit zur Bildung von Einigungsstellen.

 
Tobias Warjes ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen in den Diakonischen Werken Niedersachsens (ag mav) und Mitglied im kürzlich gegründeten Kirchenfachrat von ver.di.

Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) hat eine Entschädigungsordnung zur Einigungsstelle im Mitarbeitervertretungsgesetz erlassen, die am 1. Juni 2020 in Kraft getreten ist. Wie wird sie sich auf die Arbeit der Mitarbeitervertretungen (MAV) auswirken?

Die Folge wird sein, dass wir Mitarbeitervertretungen Schwierigkeiten haben, das erst kürzlich eingeführte Instrument der Einigungsstelle überhaupt nutzen zu können. Der Vorsitzende einer Einigungsstelle soll pro Verfahren pauschal zwischen 500 und 2.000 Euro erhalten – unabhängig von Aufwand und Dauer. Damit wird es sehr schwer sein, kompetente Personen für dieses Amt zu finden. Sie müssen ja schon ein gewisses Know-how mitbringen, zum Beispiel als Arbeitsrichter*innen. Noch schlimmer ist aus unserer Sicht, dass externe Beisitzer*innen nur 30 Prozent dieses Betrages bekommen sollen. Im schlechtesten Fall sind das kaum mehr als 150 Euro. Dafür bekommt man keinen Rechtsanwalt. Als Mitarbeitervertretung sind wir aber auf einen Rechtsbeistand angewiesen, wir selbst sind schließlich keine Jurist*innen.

 

Diese Sätze gelten für beide Seiten. Warum wird die Mitarbeitervertretung damit dennoch benachteiligt?

Die MAV verfügt über keine eigenen finanziellen Mittel – anders als der Arbeitgeber. Zumal das Management größerer Einrichtungen häufig ohnehin über juristischen Sachverstand verfügt. Von einer Gleichheit der Mittel zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtenvertretung kann daher überhaupt keine Rede sein.

Die EKD begründet die Pauschalvergütung damit, dass diese einfacher sei und die Kosten so gedeckelt werden könnten.

Das ist so. Es ist von vornherein klar, wieviel die Einigungsstelle maximal kostet – egal, wie schwierig oder langwierig das Verfahren ist.

Wie lang können sich denn solche Verfahren hinziehen?

Sie können durchaus über mehrere Sitzungen und Monate gehen, zum Beispiel, wenn es um komplexe Fragen der Dienstplangestaltung geht. Dem Einigungsstellenverfahren geht ja schon einiges voraus: Die betriebliche Interessenvertretung und die Leitung haben versucht, den Konflikt zu lösen und sind damit gescheitert. In der Regel sind es also komplizierte und kontroverse Fragen, die vor der Einigungsstelle verhandelt werden. Hier Kompromisse zu suchen braucht oft Zeit. Für Vorsitzende und Beisitzer*innen ist der Aufwand vorher nicht absehbar. Wenn es als Entschädigung – wohlgemerkt: nicht als Vergütung – nur eine gering bemessene und gedeckelte Pauschalzahlung gibt, wird das wohl kaum jemand machen. Welcher Anwalt kann das Risiko eingehen, nicht kostendeckend zu arbeiten?

 

Dennoch heißt es in der Begründung der EKD, es könne »damit gerechnet werden, dass mit den Sätzen der Verordnung geeignete Expertinnen und Experten gefunden werden können«.

Ich frage mich, auf welcher Grundlage man eine solche Aussage trifft. Hat die EKD geeignete Expert*innen gefragt, ob sie das für solche Beträge machen würden? Die von der Mitarbeitervertretung sonst beauftragten Anwälte wurden jedenfalls nicht gefragt. Wir wollen uns unseren Rechtsbeistand und unsere Expert*innen aber gerne selbst aussuchen.

Hinzu kommt, dass die Zahl der Beisitzer*innen laut Mitarbeitervertretungsgesetz auf zwei pro Seite begrenzt ist. Welche Rolle spielt das für dich als Mitarbeitervertreter?

Auch das haben wir von Beginn an kritisiert. Die Beschränkung auf zwei Beisitzer*innen bedeutet, dass neben einem Rechtsbeistand nur ein MAV-Mitglied an der Verhandlung teilnehmen kann. Wir können also weder jemand weiteren aus der Interessenvertretung hinzuziehen noch Beschäftigte, die über eine bestimmte Expertise verfügen, aber nicht Mitglied der MAV sind.

Die EKD geht davon aus, dass es »nur in einem geringeren Anteil der rund 50.000 Dienststellen und Einrichtungen« in EKD und Diakonie zu Einigungsstellenverfahren kommen wird. Eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Ganz genau. Die Möglichkeiten der Mitarbeitervertretungen werden durch die Beschränkung der Beisitzerzahl und die Entschädigungsverordnung so eingeschränkt, dass es wahrscheinlich tatsächlich zu wenigen Einigungsstellen kommen wird – schon weil es schwer fallen wird, unter diesen Bedingungen Vorsitzende zu finden. Die dafür infrage kommenden Personen werden vermutlich lieber im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes tätig, wo die Nachfrage groß ist. Wenn es keine Vorsitzenden gibt, gibt es aber auch keine Einigungsstellen. Insofern könnte die EKD damit Recht behalten, dass es zu wenigen Einigungsstellen kommt. Das wäre fatal.

Warum?

Weil unsere Mitbestimmung bei Streitigkeiten um verlässliche Dienstpläne oder Arbeits- und Gesundheitsschutz dann ins Leere laufen würde. Die Einigungsstelle hat eine sehr wichtige Funktion, denn sie dient dazu, Kompromisse zu finden. Sie ist als Instrument in vielen betrieblichen Konflikten sinnvoll. Wenn es aber so restriktiv gehandhabt wird, ist es nicht praktikabel.

Der ver.di-Kirchenfachrat hat in einer Bewertung darauf hingewiesen, dass die Einigungsstellen im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes seit Jahrzehnten ohne Vergütungsordnung auskommen. Wie begründet die Kirche ihren Sonderweg?

Warum die EKD von der seit Jahrzehnten bewährten Praxis im Betriebsverfassungsgesetz abweicht, wird nicht richtig erklärt und erschließt sich mir auch nicht. Sie hat sich immer auf die Fahnen geschrieben, mindestens gleichwertige Regelungen zum Betriebsverfassungsgesetz zu schaffen. Das ist aber in Bezug auf die Einigungsstelle wieder einmal nicht der Fall.

Der Kirchenfachrat fordert ein Eingreifen des staatlichen Gesetzgebers. Was soll er tun?

Wir fordern, dass das Betriebsverfassungsgesetz uneingeschränkt auch in kirchlichen Einrichtungen zum Tragen kommt. Im Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik gab es die Ausnahme für Kirchen noch nicht, die jetzt im Paragraph 118, Absatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes steht. Wir meinen, dieser Passus gehört endlich gestrichen.

 

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