Es war das wohl meistgebrauchte Wort der diesjährigen Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 18. und 19. November 2024 in Kassel: Beteiligung! Es ist zum einen die Forderung an kirchliche Arbeitgeber, ihren Beschäftigten endlich Beteiligung an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, indem sie auf Augenhöhe mit der Gewerkschaft Tarifverhandlungen führen. Zum anderen ist Beteiligung auch der Anspruch, den die rund 250 Mitarbeitervertreter*innen bei der von der Zeitschrift Arbeitsrecht und Kirche gemeinsam mit ver.di, der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) sowie der Diakonischen ArbeitnehmerInnen Initiative (dia e.V.) organisierten Tagung an sich selbst formulieren: Es gelte, weniger als Stellvertreter*innen tätig zu sein und die Beschäftigten stärker einzubeziehen.
Ein Betrieb, in dem die Beteiligung gut gelingt und über den in Kassel viel diskutiert wurde, ist das Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar. Dort haben sich die Beschäftigten mit ver.di auf den Weg gemacht, Tarifverträge einzufordern. Der stellvertretende Vorsitzende der Mitarbeitervertretung (MAV), Mathias Korn, nannte zwei zentrale Gründe dafür: Erstens erlebten die Beschäftigten der kirchlichen Klinik, dass mehrere Krankenhäuser in unmittelbarer Umgebung deutlich mehr bezahlen und bessere, per Tarifvertrag geregelte Arbeitsbedingungen bieten. Zweitens gehe es um Demokratie: »Die Menschen wollen sich beteiligen, doch der Dritte Weg ist ein undemokratisches System, das kaum Beteiligungsmöglichkeiten bietet.« Das wollten die Kolleg*innen in Weimar nicht länger hinnehmen.
Dass die dortige Bewegung für Tarifverträge keineswegs vom Himmel gefallen ist, machte der Thüringer ver.di-Sekretär Hannes Gottschalk deutlich. Zu Beginn hätten sich lediglich fünf Aktive zusammengetan. Die ersten Versuche, die Beschäftigten zu aktivieren, schlugen fehl. Doch plötzlich entstand eine Dynamik. »Wir haben nur transparent gemacht, wie die Situation ist, zum Beispiel, wie viel weniger die Beschäftigten im Vergleich zum öffentlichen Dienst verdienen. Sie haben selbst ihre Schlussfolgerungen gezogen«, berichtete der Gewerkschafter. Die Zahl der ver.di-Mitglieder vervielfachte sich in kurzer Zeit von 25 auf 370. Die Teams bestimmten Delegierte, mehrfach beteiligten sich hunderte an Aktiven Mittagspausen und anderen Aktionen.
Im Dritten Weg: Beschäftigte strukturell unterlegen
Doch statt auf ihre Beschäftigten einzugehen und Tarifverhandlungen aufzunehmen, versuchen Klinikleitung, Diakonie und Kirche, die Bewegung in Weimar durch juristische Winkelzüge zu stoppen. Zwei Mal strengten sie erfolgreich eine einstweilige Verfügung gegen Warnstreiks an. Daniel Wenk, der bei ver.di für Kirchen, Diakonie und Caritas zuständig ist, verwies auf die langjährigen Erfahrungen mit dem »Dritten Weg« in Thüringen, auf dem die Arbeitgeber die Regeln immer wieder einseitig so anpassten, wie es ihren Bedürfnissen entspreche. »Die diakonischen Arbeitgeber haben sogar ihre Verhandlungspartner selbst geschaffen«, berichtete der Gewerkschafter. »Der Verband Kirchlicher Mitarbeiter in Mitteldeutschland wurde mit 105.000 Euro bezuschusst, damit man jemanden hat, mit dem man im Hinterzimmer die Arbeitsbedingungen festlegen kann – geht´s noch?« Seine Schlussfolgerung: »Auf dem sogenannten Dritten Weg ist die Arbeitnehmerseite strukturell abhängig und unterlegen – nicht nur in Mitteldeutschland, sondern überall.«
Die beste Antwort darauf sei, wenn sich kirchlich Beschäftigte nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit auf den Weg machen, ihre Arbeitsbedingungen über Tarifverträge selbst zu gestalten. Genau das haben sich die Teilnehmenden der Kasseler Tagung vorgenommen. In einer mit wenigen Enthaltungen einstimmig beschlossenen Resolution erklärten sie: »Mit großer Entschlossenheit und ermutigt durch das Vorbild der Kolleg*innen in Weimar wollen wir unsere Anstrengungen verstärken, in allen Bereichen gleiche Rechte für kirchlich Beschäftigte zu erreichen.« Denn: »Gerade in diesen Zeiten brauchen wir mehr Demokratie – auch in kirchlichen Betrieben.«
Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen in den Diakonischen Werken Niedersachsens (agmav), Tobias Warjes, bekräftigte, auf dem kircheninternen »Dritten Weg« könnten Beschäftigte keine Macht entwickeln, um ihre Interessen durchzusetzen. »Die Regeln werden von den Arbeitgebern gemacht, ohne wirksame Beteiligung der Menschen, um die es geht. Und das ist gewollt!« Dies zeige sich aktuell auch an der drohenden Auseinandersetzung um die betriebliche Altersversorgung. Der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) wolle bei der Zusatzversorgung weg von der Leistungs- auf eine Beitragszusage umstellen. Dies würde bedeuten, dass sich die Beschäftigten nicht mehr auf eine bestimmte Zusatzrente verlassen könnten, das wirtschaftliche Risiko würde von den Arbeitgebern auf sie verlagert. Zudem wolle die Unternehmensdiakonie höhere Eigenbeiträge der Arbeitnehmer*innen und die Möglichkeit festschreiben, die Arbeitgeberbeiträge zu deckeln. Vor diesem Hintergrund betonte Tobias Warjes: »Alle Rahmenbedingungen müssen in Tarifverträgen festgelegt werden, denn nur so können eine wirksame Beteiligung der Beschäftigten und eine gute Zusatzversorgung gesichert werden.«
Potenzial der Beteiligung
Viele Debatten auf der Kasseler Fachtagung drehten sich darum, wie konkret die Beteiligung von Beschäftigten ausgebaut werden kann – ob auf betrieblicher, politischer oder tarifvertraglicher Ebene. Dass es oft die kleinen Schritte sind, die Beschäftigte in Aktivität bringen, zeigte Ulrich Wohland von der Kampagnen-Beratung ORKA an verschiedenen Beispielen auf. Manchmal könnten schon die systematische Verbreitung von ver.di-Tassen im Betrieb oder eine beteiligungsorientiert gestaltete Mitarbeiterversammlung wichtige Schritte sein, die einen großen Effekt haben.
Torsten Rathje von der ver.di-Tarifkommission der Diakonie Niedersachsen betonte das Potenzial, das die Interessenvertretungen durch die Einbeziehung und Aktivierung von Beschäftigten mobilisieren können. »Wir identifizieren gezielt Multiplikatoren, die sich in den Teams für ihre Kolleginnen und Kollegen einsetzen«, berichtete er. »Wir versorgen sie mit Informationen und binden sie ein, das macht uns stärker.« Die Tarifbewegungen in der niedersächsischen Diakonie seien grundsätzlich beteiligungsorientiert aufgebaut, mit Befragungen, Videokonferenzen, Tarifbotschafter*innen und vielem mehr.
Auch die Mitarbeitervertretungen könnten die Beteiligung der Beschäftigten zu befördern, indem sie ihre Mitbestimmungsrechte nutzen, erklärte die MAV-Vorsitzende am Agaplesion Elisabethenstift Darmstadt, Nicole Hartmann. Sie hätten zum Beispiel in Zusammenhang mit psychischen Gefährdungsanalysen oder Gefährdungsbeurteilungen die Möglichkeit, Workshops durchführen, bei denen die Betroffenen über Belastungen und Gegenmaßnahmen diskutieren. In Abteilungen, in denen es Probleme gibt, könnten sie die Kolleg*innen auf Teilbereichsversammlungen zusammenbringen und so fördern, dass sie kollektiv für die eigenen Belange einstehen.
Neue Kultur der Interessenvertretung
Diese und viele weitere, von den Mitarbeitervertreter*innen genannten Beispiele seien Teil einer »neuen Kultur der Interessenvertretung – weg von der Stellvertreterpolitik, hin zur Beteiligungsorientierung«, erklärte Grit Genster, die bei ver.di den Bereich Gesundheitspolitik/Gesundheitswesen leitet. Auch in der Tarifpolitik setze ver.di auf neue Formen der Beteiligung. Beispielsweise bei den Tarifkämpfen für Entlastung im Krankenhaus spielten Teamdelegierte nicht nur in der Mobilisierung, sondern auch in den Diskussions- und Entscheidungsprozessen eine tragende Rolle.
Auch auf politischer Ebene gehe es nicht ohne das Engagement der Beschäftigten, betonte Grit Genster. »Wir sind in Berlin nur so stark wie der Druck, der aus den Betrieben kommt.« Das gelte auch für den anstehenden Bundestagswahlkampf, in dem die Beschäftigten ihre Interessen deutlich machen müssten. Das auch mit Blick auf die Forderung, den rund 1,8 Millionen Beschäftigten von Kirchen, Diakonie und Caritas die gleichen Rechte zuzugestehen, wie ihren Kolleg*innen in weltlichen Betrieben. SPD, Grüne und FDP hatten sich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, das kirchliche Sonderrecht überprüfen zu wollen. ver.di-Aktive hatten 53.000 Unterschriften dafür gesammelt, dass es nicht bei einer Prüfung bleibt, sondern die kirchlichen Sonderregeln tatsächlich abgeschafft werden. Die nun zerbrochene Regierungskoalition hatte das nicht aufgegriffen. »Es gab viele Gesprächsrunden, aber am Ende verändert sich nichts«, bilanzierte Grit Genster. »Das zeigt: Um grundlegende Veränderungen zu bewirken, brauchen wir Macht, Geduld und Ausdauer – und Beteiligung!«
Die rund 250 Teilnehmenden der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht haben sich in parallel laufenden Arbeits- und Vertiefungsgruppen mit unterschiedlichen Aspekten der MAV-Arbeit auseinandergesetzt. Die Moderator*innen der Arbeitsgruppen zeigen einige zentrale Erkenntnisse auf.
»Die zentrale Botschaft ist: einfach machen! Mitarbeitervertretungen sollten die Möglichkeiten der neuen Medien nutzen, um die Kolleginnen und Kollegen aller Altersgruppen zu erreichen. Zum Beispiel über kurze Videos, mit denen wir unsere MAV-Arbeit an die Leute bringen. Das müssen keine hochprofessionellen, toll inszenierten Clips sein. Wichtig ist stattdessen, dass Kolleg*innen Gesicht zeigen und die Inhalte authentisch rüberbringen. Natürlich können Videos nicht das persönliche Gespräch ersetzen – sollen sie auch nicht. Aber sie können die Kommunikation mit der Belegschaft unterstützen und die Reichweite erhöhen. Einfach mal ausprobieren!«
Anne-Marie Thies, MAV Rotenburger Werke
»Mitarbeitervertretungen sind gut beraten, eine Beteiligungsstrategie zu entwickeln. Das heißt: Die Beschäftigten nach ihren Themen zu fragen, nicht allein als Stellvertreter tätig zu werden, sondern die Betroffenen bei jedem Schritt einzubeziehen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft ist dabei ein wichtiges Element. Zum einen können MAV-Mitglieder selbst natürlich auch als aktive Gewerkschafter*innen in Erscheinung treten. Zum anderen kann die Einbeziehung der Gewerkschaft den Spielraum der Interessenvertretung vergrößern. ver.di kann beispielsweise bei Konflikten mit dem Arbeitgeber deutlich klarer Position beziehen und zu Aktionsformen aufrufen, die für die MAV schwierig wären. Dadurch steigt die Durchsetzungsmacht der Beschäftigten.«
Daniel Wenk, ver.di-Bundesverwaltung
»Die Macht der Mitarbeitervertretung kommt von den Beschäftigten. Deshalb sind Information, Rückkopplung und Beteiligung der Belegschaft entscheidend. Ob Newsletter, Zeitungen oder anderes – es gibt unterschiedliche Wege, die Beschäftigten zu erreichen. Entscheidender Grundsatz: Betrieb statt Büro! Es gilt, möglichst viel mit Kolleg*innen in Kontakt zu treten. Die Mitarbeitervertretung sollte nicht darauf warten, dass die Beschäftigten zu ihr kommen, sondern selbst auf sie zugehen. Ein Mittel können Mitarbeiterversammlungen sein. Warum nicht mal statt eines langen Referats des Vorsitzenden in kleinen Runden miteinander ins Gespräch kommen?«
Charlotte Volkert, Gesamtausschuss Baden
»In der Einigungsstelle ist es wie in der sonstigen MAV-Arbeit: Durchsetzungsmacht entwickelt man nur, wenn die Belegschaft einbezogen ist und dahinter steht. Deshalb ist auch hier die Beteiligung der Beschäftigten entscheidend. Wenn klar ist, dass nicht nur eine kleine Gruppe, sondern die Belegschaft die Position der Mitarbeitervertretung unterstützt, kann die MAV deutlich bessere Kompromisse erzielen. Eine Möglichkeit, die noch zu wenig genutzt wird, sind Initiativanträge, zum Beispiel zum Gesundheitsschutz. Damit kann man, wenn nötig, bis vor die Einigungsstelle gehen und mit diesem Druck etwas erreichen. Es lohnt sich!«
Torsten Rathje, Vorsitzender der Konzern-Mitarbeitervertretung bei Agaplesion
»Wie Beschäftigte auch in der Diakonie Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen nehmen können, zeigt das Beispiel des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar. Wir haben uns dort gewerkschaftlich organisiert, um demokratische Mitwirkung zu erreichen. Wir müssen weg vom sogenannten Dritten Weg, auf dem der Arbeitgeber die Spielregeln einseitig festlegt. Stattdessen wollen wir Tarifverträge, die Gewerkschaft und Arbeitgeber auf Augenhöhe aushandeln. Das haben wir noch nicht durchgesetzt, aber wir haben schon viel in Bewegung gebracht. Über Umfragen, Aktive Mittagspausen und viele andere Aktionen bauen wir Stärke auf. So machen wir weiter.«
Mathias Korn, stellvertretender MAV-Vorsitzender am Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar und Mitglied der buko-Sprechergruppe
»Die proaktive Beteiligung der Beschäftigten ist eine gesetzliche Kernaufgabe der Mitarbeitervertretung. Es ist auch nicht richtig, dies an gewerkschaftliche Betriebsgruppen zu delegieren, soweit diese überhaupt bestehen. Wenn die MAV wirksame Strategien entwickeln will, braucht sie die Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen. Zum einen, weil sie ihre Arbeit priorisieren und dafür wissen muss: Welche Themen brennen den Beschäftigten unter den Nägeln? Zum anderen, weil sie ohne Beteiligung keine Durchsetzungsmacht entwickeln kann. Die Kultur der bloßen Stellvertretung auf dem sogenannten Dritten Weg ist dafür ein Hindernis, das es zu überwinden gilt.«
Robert Spitz, Institut für angewandte Kreativität, Köln
»Viele Beschäftigte hält die Angst vor Repression davon ab, ihre Rechte wahrzunehmen. Eine Antwort darauf kann sein, dies kollektiv zu tun. Fordern viele Beschäftigte gemeinsam ihre Rechte ein, kann das eine weitaus größere Wirkung entfalten. Zum Beispiel im Fall eines Betriebsübergangs. Wenn nur einzelne widersprechen, endet in der Regel das Arbeitsverhältnis. Widersprechen aber große Teile der Belegschaft, kann der Arbeitgeber seine Pläne nicht einfach so umsetzen, weil ihm das eingearbeitete Personal fehlt. Das kann die Verhandlungsposition deutlich verbessern. Man kann das zum Beispiel auch so organisieren, dass die Widersprüche bei einem Treuhänder gesammelt und nur dann abgegeben werden, wenn ein bestimmtes Quorum erreicht ist. So besteht für alle die Sicherheit, dass sie nicht doch alleine stehen.«?
Bernhard Baumann-Czichon, Rechtsanwalt, Bremen
»Wir sind auch in den Betrieben mit einer zunehmend demokratie- und ausländerfeindlichen Stimmung konfrontiert. Die AfD versucht mit ihren Vorfeldorganisationen, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Dabei verfolgt sie eine durch und durch arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Politik. Sie ist gegen Mitbestimmung, Mindestlöhne und mehr Tarifbindung. Die von ihr betrieben Spaltung schwächt die Durchsetzungsmacht der abhängig Beschäftigten. All das sind Gründe, warum die Mitarbeitervertretung das Problem nicht ignorieren darf. Es gilt, Haltung zu zeigen und rechten Erzählungen offensiv entgegenzutreten. Die MAV ist die Interessenvertretung aller Beschäftigten, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder anderen Merkmalen. Es ist ihr Recht und auch ihre Pflicht, gegen Diskriminierung und Rassismus Position zu beziehen.«
Berno Schuckart-Witsch, ver.di-Bundesverwaltung i.R.