Corona-Sonderleistungen

Armutszeugnis für Kirche und Diakonie

18.05.2021

Mit der Vereinbarung einer einmaligen Sonderzahlung zur Abmilderung der besonderen Belastungen während der Corona-Pandemie hat ver.di mit den Arbeitgebern im öffentlichen Dienst im Oktober 2020 die Chance genutzt, eine steuer- und abgabenfreie Prämie für alle Beschäftigten zu vereinbaren. In einigen Teilen der evangelischen und katholischen verfassten Kirchen wurde dieses Ergebnis oder ein ähnliches übernommen. Auch innerhalb der Caritas wurde Ende des Jahres nach zähem Ringen eine Vereinbarung analog zum öffentlichen Dienst getroffen. Der Blick auf die bunt gefächerte Tariflandschaft in der Diakonie zeigt hingegen ein lückenhaftes Bild.

Viele Fehlanzeigen in der Diakonie

Dort, wo auf den TVöD Bezug genommen wird, kam die Prämie automatisch zur Umsetzung oder wurde meist übernommen. Bei den diversen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Diakonie, die sich nicht mehr durch Bezugnahme auf den TVöD der Tarifmächtigkeit der Gewerkschaften bedienen, tun sich die Arbeitnehmer-vertreter*innen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen schwer, diese besondere Zahlung für die Beschäftigten durchzusetzen. In den Hinterzimmern der Arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK) wird um einen Ausgleich für die durch Corona bedingten Belastungen gebettelt.

Gemeinsam einfordern – Beispiel Baden

Damit im Bereich der AVR Baden eine Prämie kommt, haben die Arbeitnehmer*innen bereits frühzeitig Druck gemacht und mit diversen Aktionen die Zahlung einer Prämie für alle Beschäftigten gefordert. Ausgangspunkt war die bundesweite ver.di-Forderung zur Zahlung einer Corona-Prämie für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Mit der Fotoaktion »Wir bleiben hier – dafür brauchen wir«…– im April 2020 unterstrichen viele Kolleg*innen auch in Baden eine Corona-Prämie in Höhe von 500 Euro für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst. In Baden-Württemberg forderten über 300 betriebliche Interessenvertretungen mit einem offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Sozialminister Manne Lucha, neben mittel- und langfristigen Verbesserungen im Gesundheitswesen, auch eine Corona-Prämie. Die von ver.di im April 2020 initiierte gesetzliche Corona-Prämie in der Altenpflege, finanziert von Bund und Ländern, verschaffte Rückenwind und weckte gleichzeitig Erwartungen bei den Beschäftigten in den anderen Hilfefeldern. In der Diakonie Württemberg und Baden haben wir zur Unterstützung unserer Forderung online-Petitionen gestartet. Von den 7222 Unterschriften für eine Corona-Prämie gingen 5464 Unterschriften aus Württemberg ein. Die Unterschriften wurden an den Landesbischof übergeben.

Zu früh gefreut

Durch den Rückenwind dieser Aktionen aber auch unter dem Eindruck der erfolgten Tarifeinigung über eine Prämie im öffentlichen Dienst und der ansonsten drohenden Zwangsschlichtung in der ARK folgte die ARK Baden Anfang Dezember für ihre beiden Regelungsbereiche AR-Mitarbeitende (mit Bezug auf TVöD) und AR-AVR dem Vermittlungsvorschlag des Schlichtungsausschusses der ARK. Für die AR-M kam die Prämie durch automatische Übernahme des TVöD. Für die AR-AVR freuten wir uns zunächst über den Erfolg, der für einen Großteil der Beschäftigten eine Prämie von 400/600 Euro für die Altenhilfe und 3/5 Tage Sonderurlaub für die Beschäftigten der anderen Hilfefelder beinhaltete.

Fehlende normative Wirkung der AVR

Die handwerklichen Schwächen offenbarten sich erst in der Umsetzung. Die getroffene Regelung war zunächst durch die fehlende Bezugnahme in den Arbeitsverträgen für kein einziges Arbeitsverhältnis rechtswirksam. Es handelte sich also um eine Regelung, die für niemanden galt. Das musste erst im Februar 2021 durch einen Verweis in den AR-AVR korrigiert werden. Damit musste ein zentrales Problem des »Systems AVR« ausgebessert werden: Nur Tarifverträge haben eine unmittelbare und zwingende Wirkung der Regelungen, die sie enthalten. Deshalb sind sie echte Kollektivregelungen. Kirchliche Arbeitsrechtsregelung haben den Charakter von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ihnen fehlt diese normative Wirkung. Sie werden erst dadurch wirksam, dass sie im einzelnen Arbeitsvertrag in Bezug genommen werden.

Enge Voraussetzungen

Ärger und Unverständnis hat die Auslegung der Regelungen ausgelöst. Damit Beschäftigte einen Anspruch auf die Corona-Sonderleistung haben, ist als Voraussetzung eine »Tätigkeit in besonders von Corona betroffenen Arbeitsbereichen bzw. Einrichtungen« formuliert worden. Die Auslegung dieser Anspruchsvoraussetzung durch das Diakonische Werk und die Landeskirche in Baden in einer offiziellen Information an die Arbeitgeber zeigt, wie groß der Unwillen ist, dass möglichst viele Beschäftigte von der Regelung profitieren:

 

»Tatsächlich sollen die Corona-Sonderleistung nur Mitarbeitende erhalten, die im Bemessungszeitraum in Bereichen eingesetzt und tätig gewesen sind, die von Corona in einer Weise betroffen waren, dass die Ausführung der Arbeit für den einzelnen Mitarbeitenden eine erhebliche psychische und physische Kraftanstrengung bedeutet, die einer besonderen Wertschätzung bedarf. Diese Schwelle der Erheblichkeit ist nur bei der berufsmäßigen Pflege und Betreuung von infizierten erkrankten Personen erreicht; es muss also eine Corona-Infektion ausgebrochen sein. Nicht ausreichend ist die allgemeine Betroffenheit von Corona, wie sie jede und jeden von uns seit einem Jahr im Kontakt mit Menschen betrifft.«

Fraglich ist, wie die im Anwendungsbereich der Regelung genannten Berufsgruppen, die nicht »berufsmäßig pflegen oder betreuen«, wie zum Beispiel Küchenkräfte, Reinigungskräfte oder Mitarbeitende in der hauswirtschaftlichen Versorgung diese Schwelle der Erheblichkeit je erreichen sollen. Die Zahl der Anspruchsberechtigten schrumpft mit dieser Auslegung in vielen Einrichtungen gewaltig. Aber es ist typisch für Kirche und Diakonie: Erst wird eine Regelung nur dann getroffen, wenn der Druck allzu groß wird und dann wird sie so eng ausgelegt, dass kaum jemand davon profitiert. Aber Kirche und Diakonie können behaupten, es gibt ja – auf dem Papier – eine Anerkennung besonderer Belastungen.

Wertschätzung vor Gericht erstreiten

Mit einer erneuten Fotoaktion, zu der ver.di und Gesamtausschuss Baden aufgerufen haben, gaben die Beschäftigten die solidarische Antwort auf diese Dreistigkeit. Zum Redaktionsschluss ist noch nicht absehbar, wie viele Mitarbeitervertretungen den Gang vor das kirchliche Arbeitsgericht antreten müssen und werden, um die Prämie und die damit zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung der Beschäftigten zu erstreiten.

 

Dieser Artikel ist im Kirchen.info Nr. 37 erschienen.

 

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