Arbeitsvertragsrichtlinien

Alles möglich – außer Verbindlichkeit

04.12.2018

Arbeitsvertragsrichtlinien: Viele Arbeitnehmer/innen in Diakonie und Caritas, aber auch in den beiden christlichen Kirchen, werden diesen Begriff in ihren Arbeitsverträgen finden. Oder es finden sich Bezeichnungen wie Kirchliche Arbeitsvertragsordnung und ähnliches. In jedem Fall lohnt es sich genau zu prüfen, welche Regelungen sich eigentlich hinter diesen Begriffen verstecken.

Insbesondere der diakonische Arbeitgeberverband VdDD spricht immer wieder von »90 Prozent Tarifbindung«, die für mehr als 500.000 Beschäftigte wirksam sein sollen. Gut gebrüllt, sachlich ist dies allerdings falsch. Die Kirchen.info-Redaktion hat sich umgehört und mit Stand Januar 2018 die Vielfalt von Regelungen in der Diakonie sowie den evangelischen (Landes-)Kirchen zusammengefasst (siehe Kasten). Die Übersicht ist eindeutig: Mit wenigen Ausnahmen kümmern sich sogenannte Arbeitsrechtliche Kommissionen um das kirchliche »Tarifrecht«. Das Ergebnis sind wiederum
Arbeitsvertragsrichtlinien. Macht man sich die Mühe, etwa die dort aufgeführten Entgelttabellen zu vergleichen, so ergeben sich höchst unterschiedliche Tabellenwerte, Arbeitszeitregelungen und vieles mehr, auf die die betroffenen Arbeitnehmer/innen Anspruch hätten. Ein Beispiel: In einer diakonischen Einrichtung in Schleswig-Holstein unterscheidet sich die Bezahlung erheblich von der in der Diakonie Württemberg. Das hat zwei Gründe:

  • Die jeweiligen Arbeitsrechtlichen Kommissionen sind frei, das zu regeln, was den Beteiligten einfällt und sinnvoll erscheint (zu Bewertung und Arbeitsweise dieser Kommissionen siehe unten).
  • Arbeitsvertragsrichtlinien sind keine verbindlichen Regelungen, wie Tarifverträge.

 
Wird es Tarifverträge geben? Aktion in Karlsruhe vor der Landessynode, April 2018

Das Bundesarbeitsgericht hat am 24. Mai 2018 erneut zur Rechtsqualität von Arbeitsvertragsrichtlinien geurteilt (BAG 6 AZR 308 17). Das BAG führt in seltener Klarheit aus, dass »kirchliche Arbeitsrechtsregelungen allgemeine Geschäftsbedingungen sind, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann«.

In der Sprache der Nichtjuristen bedeutet dies schlicht: Entscheidend ist das, was im Arbeitsvertrag steht und vom Arbeitnehmer unterschrieben ist. Mitarbeitervertretungen und ver.di wissen aufgrund jahrelanger Beratungserfahrung, dass Arbeitsverträge in kirchlichen Einrichtungen häufig den Wortlaut von Arbeitsvertragsrichtlinien nicht oder nur teilweise berücksichtigen. Auch wenn kirchliche Gesetzgeber hier eine Verbindlichkeit herstellen wollen, so wie derzeit im Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz der EKD, – es kann nicht gelingen. Weicht ein kirchlicher Arbeitgeber durch entsprechende Arbeitsverträge von den Regelungen (seiner) Arbeitsrechtlichen Kommissionen ab, so ist das durch die weltliche Rechtsprechung gedeckt. Die Begründung: Die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit hat nicht für die Aufrechterhaltung kirchlicher Ordnungen zu sorgen. Somit ist die Konsequenz: Zehntausende Beschäftige in kirchlichen Betrieben sind nur durch das geschützt, was in ihren Arbeitsverträgen konkret vereinbart ist. Es gibt mit kirchlichen Gesetzen keine Möglichkeit, zwingende Normen für Löhne und Arbeitsbedingungen rechtssicher festzulegen. Der Form halber sei darauf hingewiesen, dass weltliche Gesetze selbstverständlich auch für alle Arbeitnehmer/innen in kirchlichen Einrichtungen gelten.

Fazit: Eine flächendeckende Verbindlichkeit, die erzwingbare Tarifnormen festlegt, gibt es nur mit Tarifverträgen. Grundlage hierfür bildet Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz mit dem Tarifvertragsgesetz. Ein Tarifvertrag entfaltet demnach normative unmittelbare Wirkung für das jeweilige Gewerkschaftsmitglied und den Arbeit-geber. Leider ist die große Mehrheit kirchlicher Arbeitgeber nicht bereit, ihren Beschäftigten tarifvertragliche Sicherheit zu gewähren. Stattdessen wird seit Jahr-zehnten am Verhandlungssystem Arbeitsrechtliche Kommissionen (ARK) festgehalten.

Das Verhandlungssystem ARK, auch »Dritter Weg« genannt, hat grundsätzliche Mängel. Deshalb beteiligt sich ver.di nicht daran. Gewerkschaften verhandeln Tarifverträge und keine Richtlinien. Tarifverhandlungen, und im Ergebnis Tarifverträge, werden ab und an mit Aktionen und Arbeitskämpfen erstritten.

 

Was läuft falsch im Verhandlungssystem ARK?

  • Arbeitsweise und Grundlagen der Arbeit werden durch Kirchenrecht, also durch die Arbeitgeber festgelegt. Das wäre ungefähr so, als wenn der Konzern VW festlegen würde, nach welchen Gesetzen und Regeln Arbeitsbedingungen mit der IG Metall und den Betriebsräten verhandelt würden.
  • Zahlenmäßig sitzen sich eine gleiche Anzahl von Vertreter/innen der Arbeitgeber (Dienstgeber) und Arbeitnehmer (Dienstnehmer) gegenüber. Entscheidungen werden in unterschiedlichen Abstimmungsverfahren herbeigeführt. Aktionen oder gar (Warn-)Streiks auf Arbeitnehmer/innenseite kennt dieses System nicht. Es herrscht der Glaube an die Dienstgemeinschaft, in der alles im Konsens geregelt wird.
  • Ein sogenanntes Schlichtungsverfahren bei Nichteinigung führt im Ergebnis dazu, dass bei Nichteinigung ein Schlichter abschließend entscheidet. Die Arbeitnehmerseite muss dieses Ergebnis akzeptieren.
  • Rückkoppelungen mit den Beschäftigten oder gar ein Beteiligungsverfahren mit betroffenen Arbeitnehmer/innen gibt es nicht. Informationen über die Verhandlungsergebnisse in den ARKen sind durch kirchengerichtliche Entscheidungen immer wieder verhindert worden.
  • Es gibt keine Legitimation der Beschäftigten für diese Kommissionen. Die Kirchen wenden einseitig Kirchenrecht an, üben also einseitig Macht aus. Arbeitnehmer/innen sind damit doppelt abhängig: zum einen als lohnabhängige Beschäftigte und zum anderen durch Zwangsunterwerfung unter ein vordemokratisches »kirchliches Tarifecht«.
  • Die Arbeit der Diakoniebetriebe wird durch staatliche und Sozialversicherungs-Mittel finanziert. Der Umsatz beträgt viele Milliarden Euro. Allein die Konzerne Agaplesion und Johanniter setzen über zwei Milliarden jährlich um. Diakonie und Caritas sind ein wichtiger Akteur des Sozialstaates Deutschland. Eine finanzielle Beteiligung der Kirchen über die Kirchensteuer findet nur in geringem Umfang statt. Das Handeln dieser Unternehmen unterscheidet sich in nichts von anderen Akteuren in der Sozialbranche. Eine arbeitsrechtliche Sonderbehandlung, wie oben beschrieben, verbietet sich allein deshalb.

 

Arbeits- sowie tarifvertragliche Regelungen in den Evangelischen Landeskirchen und den Diakonischen Werken

Stand: Januar 2018 (ohne Gewähr oder Anspruch auf Vollständigkeit, Korrekturhinweise nimmt die Redaktion des Kirchen.info gern entgegen)

 
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