Die christlichen Kirchen in Deutschland werden nicht müde, vor drohender Altersarmut zu warnen. Zu Recht. Doch bei ihren eigenen Beschäftigten sorgen sie selbst dafür, dass Menschen von Armut im Alter betroffen sein werden. Das belegt eine Erhebung der Zeitschrift Arbeitsrecht und Kirche, die der Redakteur und Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon bei der 14. Kasseler Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 12. November 2015 vorstellte.
Rund 3.000 Beschäftigte kirchlicher Gesundheits- und Sozialeinrichtungen haben sich an der Onlinebefragung beteiligt. Ihre Antworten bestätigen in vielerlei Hinsicht die Einschätzungen und Befürchtungen der rund 250 betrieblichen Interessenvertreter, die auf Einladung von Arbeitsrecht und Kirche, ver.di, der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) sowie der Diakonischen ArbeitnehmerInnen Initiative (dia e.V.) in Kassel zusammenkamen. Die Ergebnisse machen klar: Wie in anderen Teilen des Gesundheits- und Sozialwesens leiden auch Beschäftigte von Diakonie, Caritas und Verfasster Kirche unter prekären Arbeitsverhältnissen, die tausendfach zu Altersarmut führen werden.
Betroffen sind vor allem Frauen. Das gilt beispielsweise für Befristungen, die einen Anteil von neun Prozent ausmachen. Zwei Drittel der befristet Beschäftigten sind weiblich. Auch unter 35-Jährige sind weit überproportional befristet angestellt. "Daraus erwächst ein großes gesellschaftliches Problem, denn diese Unsicherheit belastet die Phase der Familiengründung", warnte Baumann-Czichon. Befristungen erhöhten zudem das Risiko gebrochener Erwerbsbiographien - und damit von Altersarmut.
Als "Skandal" bezeichnete der Jurist, dass 57 Prozent aller Befristungen ohne Sachgrund erfolgen. Die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne einen sachlich gerechtfertigten Grund - beispielsweise eine Mutterschaftsvertretung - sei mit dem kirchlichen Verständnis eines "gerechten Lohns" nicht vereinbar, betonte er. Eine Mitarbeitervertretung in der Diakonie will deshalb versuchen, den Ausschluss sachgrundloser Befristungen beim Kirchengericht durchzusetzen.
In einer Arbeitsgruppe berichteten Mitarbeitervertreter, welche Ausmaße die Befristungspraxis angenommen hat. "Selbst Schüler werden nach der Ausbildung befristet eingestellt, obwohl man sie schon drei Jahre kennt", kritisierte ein MAV-Mitglied. Baumann-Czichon ermutigte die Kolleginnen und Kollegen, sich gegen Befristungen zur Wehr zu setzen. "Sehr viele Klagen haben Erfolg", sagte er. Doch Beschäftigte hätten oftmals Angst, ihre Rechte einzufordern. Der Rechtsanwalt empfahl, sich Unterstützung zu holen und mit anderen zusammenzuschließen. "Wichtig ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren, damit man einen solchen Konflikt durchhalten kann."
Mit Blick auf die Rente noch gravierender ist der hohe Anteil von Teilzeitarbeit: 42 Prozent der Befragten geben an, weniger als 35 Stunden in der Woche zu arbeiten - auch unter ihnen sind zwei von drei Personen weiblich. Oft handelt es sich um erzwungene Teilzeitarbeit. Jeder dritte Befragte gibt an, dass ihm keine Vollzeitstelle angeboten wird. Das ist insbesondere in der Altenhilfe der Fall, wo etwa die Hälfte der Befragten einen Teilzeitvertrag hat. Ein Krankenhausbeschäftigter wies auf den Zusammenhang zwischen schlechten Arbeitsbedingungen und hoher Teilzeitquote hin. Von zwölf Absolventen eines Examenskurses in der Krankenpflege wollte nur ein einziger in Vollzeit arbeiten, berichtete er. "Der Rest hat gesagt: Bei dem Arbeitsdruck ist das nicht auszuhalten."
Die Interessenvertreter kritisierten, dass die Unternehmen Teilzeitarbeit nutzten, um das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten abzuwälzen. "Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wurde eigentlich für die Arbeitnehmer gemacht, doch die Arbeitgeber missbrauchen es zur Steigerung der Flexibilität", sagte ein MAV-Mitglied. Denn vielfach arbeiten Teilzeitbeschäftigte regelmäßig länger als im Arbeitsvertrag vorgesehen. Das belegt ein Blick auf die stationäre Altenhilfe, wo nicht nur der Teilzeitanteil am größten ist, sondern auch fast alle Beschäftigten einen mehr oder weniger großen Berg von Überstunden bzw. Mehrarbeit vor sich herschieben. Jeder vierte der Befragten liegt bei über 100 Plusstunden.
Obwohl Frauen den weitaus größten Teil der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen stellen, sind sie in den höheren Entgeltgruppen ab monatlich 2.750 Euro in der Minderheit. Die Folge ist ein größeres Armutsrisiko im Alter. Etwa doppelt so viele weibliche wie männliche Beschäftigte rechnen mit einer Rente unter 1.200 Euro im Monat. Insgesamt zählen sich 35 Prozent der kirchlichen Mitarbeiter zu dieser Gruppe, die Hälfte von ihnen erwartet gar eine Rentenzahlung von weniger als 1.000 Euro. Tatsächlich dürfte dieser Wert noch höher liegen, da jeder fünfte Befragte keine Vorstellung darüber hat, was ihn oder sie im Ruhestand finanziell erwartet.
Bestätigt werden die Ergebnisse der Befragung von Studien, die Florian Blank von der Hans-Böckler-Stiftung auf der Kasseler Tagung vorstellte. Selbst Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen, die nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt werden, drohe unter bestimmten Umständen Altersarmut - vor allem bei gebrochenen Erwerbsbiographien und in Teilzeit. Noch stärker gefährdet sind Beschäftigte tarifloser Unternehmen. Wer beispielsweise für den Branchenmindestlohn in der Altenpflege tätig sei, habe - trotz Vollzeitarbeit - eine Rente von rund 700 Euro zu erwarten, rechnete der Wissenschaftler vor. Als Lösungswege schlug er unter anderem vor, die Möglichkeiten für Vollzeitarbeit zu verbessern und die Verbreitung von Tarifverträgen zu erhöhen.
Eben das strebt die Gewerkschaft auch in kirchlichen Einrichtungen an. "Die Befragung zeigt, dass die Prekarisierung bei den Kirchen ebenso verbreitet ist wie anderswo", stellte Berno Schuckart-Witsch von ver.di fest. "Und wenn sich die kirchlichen Träger nicht anders verhalten als andere, müssen bei ihnen auch dieselben Regeln gelten - von der Tarifautonomie über das Streikrecht bis hin zum Betriebsverfassungsgesetz." -Daniel Behruzi