Die Liste der Streikbetriebe wird immer länger. Nicht nur in den Kommunen, sondern auch im Bereich der Kirchen, wo Arbeitsverträge auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) verweisen. Allein diese Woche traeten Beschäftigte von mehreren Dutzend evangelischer Einrichtungen der Evangelischen Kirchengemeinde Denzlingen, der Evangelischen Kirche in Freiburg, der Diakonie Sozialstation Kehl-Hanauerland, der Jugendhilfe Freiburg Zähringen, des Diakonievereins Freiburg Südwest, des Diakonischen Werks im Landkreis Lörrach, des Evangelischer Gemeindeverein der Ludwigskirche und der Thomaskirche Freiburg sowie des Stephanus-Stifts Ettlingen in den Partizipationsstreik. Und auch am Sitz der Evangelischen Landeskirche in Baden, beim Oberkirchenrat in Karlsruhe, legten Beschäftigte am Mittwoch (22. März 2023) die Arbeit nieder. Sie alle zeigen: Streiks in kirchlichen Einrichtungen – das geht!
In Baden streikten Beschäftigte der Evangelischen Kirchengemeinde Denzlingen, der Evangelischen Kirche in Freiburg, der Diakonie Sozialstation Kehl-Hanauerland, der Jugendhilfe Freiburg Zähringen, des Diakonievereins Freiburg Südwest, des Diakonischen Werks im Landkreis Lörrach, des Evangelischer Gemeindeverein der Ludwigskirche und der Thomaskirche Freiburg sowie des Stephanus-Stifts Ettlingen. In der Diakonie Württemberg beteiligten sich Kolleg*innen der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, eva Kinderbetreuung gGmbH (eva:lino), des Rudolf-Sophien-Stifts Stuttgart, der Paulinenpflege Winnenden, der Stiftung Jugendhilfe aktiv Stuttgart, von Ambulant Betreutes Wohnen Esslingen (Diakonie Stetten), der Samariterstiftung Obersontheim, des Diakoneo Sonnenhofs Schwäbisch Hall und der PP.rt – Gemeinnützige Gesellschaft für Psychiatrie Reutlingen mbH. Auch in der Pfalz traten Beschäftigte etlicher Einrichtungen in den Warnstreik.
»All die Jahre hieß es, wir dürften nicht streiken – jetzt tun wir es«, sagt die Köchin Wenke Mühlberg aus dem Stephanus-Stift Ettlingen in der Nähe von Karlsruhe. Am Mittwoch traten hier Pflege-, Präsenz- und Küchenkräfte in den Ausstand und schlossen sich der großen Streikdemonstration vor Ort an. »Wir wollen uns zeigen und nicht mehr nur die anderen für uns machen lassen«, betont Wenke Mühlberg. Doch nicht alle Kolleg*innen aus der Pflegeeinrichtung waren zum Streik aufgerufen: Für einen Teil der Belegschaft gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD), die keinen direkten Bezug auf den TVöD nehmen. Freilich setzt der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes auch hier den Standard, der auf dem sogenannten Dritten Weg allerdings teilweise unterlaufen wird. »Einige Kolleginnen und Kollegen mit solchen Verträgen sind dennoch in ihrer Freizeit zur Demonstration gekommen, das finde ich richtig klasse«, sagt Wenke Mühlberg, die ausgerechnet am Streiktag ihre Prüfung zur Küchenmeisterin ablegte und deshalb selbst nicht teilnehmen konnte. »Für alle, die beim Streik dabei waren, war das ein tolles Gefühl. Wenn sich die Arbeitgeber nicht bewegen und wir nochmal zum Streik aufgerufen werden, bin ich ganz sicher auch dabei.«
Die hohe Aktionsbereitschaft führt sie auch auf die Erfahrungen in der Pandemie zurück. »Das war für uns eine ganz schlimme Zeit. Es wurde geklatscht – aber sonst ist rein gar nichts passiert.« Es gehe daher auch darum, sich in der Tarifrunde zu zeigen und deutlich zu machen, was in der Altenpflege geleistet wird. Und natürlich, einen guten Tarifabschluss zu erreichen. »Etwas durchzusetzen geht nur mit Masse«, ist die Gewerkschafterin überzeugt. Deshalb müssten sich auch die Beschäftigten der Kirchen engagieren. »Nur zusammen sind wir stark!«
Das findet auch die Verwaltungsangestellte Patricia Frey von der Stadtkirche Freiburg. »Ich möchte solidarisch sein mit denjenigen, die für uns den Rücken hinhalten.«. Den Dritten Weg kircheninterner Festsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen findet sie »längst nicht mehr zeitgemäß«. Beschäftigte und Arbeitgeber sollten auf Augenhöhe verhandeln. »Das geht nur, wenn auch Konflikte und Streiks möglich sind.« Die Menschen litten unter der hohen Inflation, gerade in den unteren Gehaltsgruppen und besonders Alleinerziehende und Teilzeitkräfte. »Mit ihnen möchte ich meine Solidarität zeigen.«
Für Marylin Göpper steht es außer Frage, dass, wer etwas bewegen, selbst tätig werden muss. »Nur jammern ändert nichts an unserem Gehalt und auch nicht an den Arbeitsbedingungen«, sagt die Assistenzkraft, die gemeinsam mit zehn Kolleginnen aus der Sozialstation Kehl Hanauerland zum ersten Mal beim Streik dabei ist. Angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen und hohen Anforderungen sei der Verdienst viel zu gering. »Als klar war, dass wir für mehr Geld streiken können, waren meine Kolleginnen gleich mit von der Partie.«
Daniel Wenk, der sich bei ver.di und im Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen in Baden engagiert, sieht die Welle von Streiks in kirchlichen Einrichtungen als wichtigen Durchbruch. »Die Kolleginnen und Kollegen haben sich selbst ermächtigt. Sie haben klargemacht: Als Kirchenbeschäftigte sind wir Teil der Bewegung und nutzen unsere Rechte. Das ist richtig gut.«
veröffentlicht/aktualisiert am 24. März 2023