»Völlig überwältigt«

Diakonie Bayern: 16.700 fordern erfolgreich Prämie zum Inflationsausgleich
07.11.2023
Andreas Schlutter Andreas Schlutter ist Vorsitzender der Mitarbeitervertretung der Diakonie München und Oberbayern. Gemeinsam mit anderen ver.di-Aktiven hat er eine erfolgreiche Petition für eine Inflationsausgleichsprämie bei der Diakonie und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern initiiert. 

16.700 Menschen haben Eure Petition für eine Inflationsausgleichsprämie bei der Diakonie und der evangelischen Kirche in Bayern unterzeichnet. Hattet Ihr mit einer so großen Resonanz gerechnet?

Nein, wir waren völlig überwältigt. Wir haben die Forderung in den Betrieben und auf Mitarbeiterversammlungen zum Thema gemacht und immer wieder Informationen über die Plattform Open Petition verschickt. Man konnte sowohl online als auch in Papierform unterschreiben. Es gab auch einen Bericht im Evangelischen Sonntagsblatt. So entstand eine tolle Dynamik, in etlichen Betrieben haben die Kolleginnen und Kollegen von sich aus gesammelt und listenweise Unterschriften eingeschickt. Nur die »Vertreter« der Arbeitnehmerseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission haben sich zunächst gegen die Prämie ausgesprochen. Womöglich hat das den einen oder die andere zusätzlich motiviert, nun erst recht zu unterschreiben.

Wie ist es überhaupt zu der Kampagne gekommen?

Auslöser war der Tarifabschluss bei Bund und Kommunen, der neben deutlichen Lohnerhöhungen auch eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro vorsieht. Kurz darauf bekräftigte die Arbeitsrechtliche Kommission in einem Rundschreiben, dass die Lohnentwicklung der Diakonie Bayern noch bis Ende Juni 2024 festgeschrieben sei. Doch die Beschäftigten können sich angesichts der hohen Inflation ein weiteres Jahr Stillstand bei den Löhnen einfach nicht leisten. Deshalb haben wir – Mitarbeitervertreter*innen und ver.di-Aktive aus der Diakonie – die Petition gestartet.

Was bedeuten die Preissteigerungen für die Kolleginnen und Kollegen?

Gerade in den unteren Entgeltgruppen liegt die Bezahlung in der Diakonie Bayern ohnehin schon deutlich unter dem Branchenniveau. Als der Pflegemindestlohn im vergangenen Jahr angehoben wurde, musste die Arbeitsrechtliche Kommission nachsteuern, damit die Einstiegsgehälter nicht darunter liegen. Selbst der gesetzliche Mindestlohn kam zeitweise zum Tragen, weil die unterste Entgeltgruppe laut Arbeitsvertragsrichtlinien so niedrig war, dass dieser noch unterschritten wurde. Gerade den Beschäftigten der unteren Entgeltgruppen – die oft auch noch Teilzeit arbeiten – reicht das Geld hinten und vorne nicht. Auch angesichts der hohen Mieten in den Städten. Die Preissteigerungen haben es noch schlimmer gemacht. Deshalb musste etwas passieren. 

 
Übergabe der Petition am 13. Juli in Nürnberg, Andreas Schlutter ist der Vierte von links

Erst hat die Arbeitsrechtliche Kommission auf Eure Forderung nicht reagiert, dann aber doch für die Beschäftigten der Diakonie eine steuerfreie Prämie von insgesamt 3.000 Euro beschlossen. Was war dafür ausschlaggebend?

Die Petition hat das Thema auf die Agenda gesetzt und daher erheblich zu dem Beschluss beigetragen. Eine Rolle spielte sicher auch, dass die diakonischen Einrichtungen zunehmend Probleme haben, Personal zu gewinnen und zu halten. Da im öffentlichen Dienst, bei der Caritas und der AWO in Bayern die Prämie gezahlt wird, stand die Diakonie unter Druck nachzuziehen. Allerdings wurde die Prämie nur für die Diakonie beschlossen, nicht aber für die Einrichtungen der Verfassten Kirche. Dort richten sich die Bedingungen weitgehend nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L).

Über diesen wird in den kommenden Wochen verhandelt. Welche Rolle siehst Du für die kirchlich Beschäftigten in dieser Tarifbewegung?

Es wäre natürlich gut, wenn sich möglichst viele an den Aktionen im öffentlichen Dienst beteiligen. Denn die Kolleg*innen in der Verfassten Kirche profitieren von einem guten Abschluss. Allerdings sind hier bislang nur sehr wenige gewerkschaftlich organisiert. In der Diakonie sind wir schon etwas besser aufgestellt.

Ihr musstet eine öffentliche Petition starten, um bei der Arbeitsrechtlichen Kommission Gehör zu finden. In Tarifverhandlungen könnten die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten direkt Einfluss nehmen. Wäre das nicht besser?

Selbstredend wäre das besser. Als ver.di beteiligen wir uns nicht an der Arbeitsrechtlichen Kommission. Tarifverträge durchzusetzen ist im Flächenland Bayern mit seinen vielen kleinen diakonischen Einrichtungen allerdings nicht so leicht. Sinnvoll wären sie allemal. Eigentlich bräuchten wir einen Branchentarifvertrag für das gesamte Gesundheits- und Sozialwesen. Wenn zum Beispiel alle Kitas zum Streik aufgerufen würden, hätten wir viel mehr Durchsetzungsmacht. Viele Kitas sind in kirchlicher Trägerschaft. Wenn diese mitstreiken könnten, wären alle stärker.

Dennoch ist die Erkenntnis aus Eurer Aktion, dass man etwas erreichen kann, wenn man sich zusammentut.

Ja, und daran wollen wir anknüpfen. Ein Thema könnte die Arbeitszeit sein: Wir arbeiten auch nächstes Jahr noch 40 Stunden in der Woche. Seit 20 Jahren arbeiten wir dann länger als die Kolleg*innen bei Bund und Kommunen. Das muss sich ändern.

 

Dieser Artikel ist im Kirchen.info Nr. 42 erschienen.