Wir dokumentieren hier den Bericht eines Mitarbeitervertreters, der viele Jahre bei einem in Südhessen ansässigen großen diakonischen Träger arbeitete und nach seinem Outing als Transmensch gekündigt wurde. Der Träger betreibt 25 Pflegeheime und andere Einrichtungen mit insgesamt rund 2.000 Beschäftigten. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), auch die stellvertretende Kirchenpräsidentin der EKHN ist Mitglied im Aufsichtsrat. Der gekündigte Mitarbeiter hatte vor kurzem ein Gespräch mit der stellvertretenden Kirchenpräsidentin, die sich zwar sehr betroffen zeigte, aber erklärte, sie könne nichts für ihn tun. Sie werde aber für ihn beten. Der Betroffene möchte wegen seines familiären Umfelds anonym bleiben. Kolleg*innen aus dem (ehemaligen) Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (AGMAV) in Hessen und Nassau kennen ihn seit über 20 Jahren. Sie sind fassungslos.
Erhard Schleitzer, ehemaliger Vorsitzender der AGMAV in Hessen und Nassau
Im Jahr 2016 veröffentlichte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau ein Grundsatzpapier zur Transsexualität. Darin betonte Kirchenpräsident Dr. Volker Jung, dass sich in der evangelischen Kirche Menschen jeglichen Geschlechts und unterschiedlicher sexueller Orientierung von Gott geliebt und angenommen fühlen sollen. Diese Worte gaben mir Hoffnung.
Seit vielen Jahren arbeitete ich in der Personalverwaltung eines evangelischen Trägers für Altenheime in Darmstadt. Trotz der konservativen Haltung der Geschäftsführung konnte ich zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durchsetzen. Einzelcoachings für Führungskräfte und Teams in herausfordernden Situationen der Altenpflege wurden von mir etabliert, und in allen Einrichtungen galt ich als vertrauenswürdige Ansprechperson. Über Jahre hinweg vertrat ich als Vorsitzender der Gesamtmitarbeitervertretung (GMAV) die Interessen der Belegschaft mit Diplomatie und Konsequenz.
Ich bin eine transidente Person. Seit meinem neunten Lebensjahr fühle ich mich als Frau, obwohl ich in einem männlichen Körper geboren wurde. Lange Zeit habe ich versucht, diese Identität zu verdrängen – durch Arbeit und die Gründung einer Familie. Doch nach der Veröffentlichung des Grundsatzpapiers der EKHN fasste ich den Entschluss, mich gegenüber meiner Geschäftsführung zu outen. Ich erwartete Verständnis und Unterstützung für meine bevorstehende Transition.
Enttäuschende Reaktion
Mein erstes Outing gegenüber der Geschäftsführerin verlief wertschätzend und mir wurde Unterstützung zugesichert. Doch mein zweites Outing beim Personalleiter wurde mit den Worten quittiert: »Wenn du hier als Frau erscheinst, kannst du mit den Mitarbeitenden nicht mehr arbeiten. Wie sollen sie jemandem vertrauen, der seine Triebe nicht im Griff hat?« Diese Aussage traf mich tief. Meine Beschwerde bei der Geschäftsführerin stieß auf taube Ohren: »So ist er eben, der Herr Schmidt (Name geändert)«, lautete ihre einzige Reaktion.
Isolation und Kündigung
Ein Jahr später war das Verhältnis zum Personalleiter deutlich distanzierter. In einem Gespräch mit dem zweiten Geschäftsführer erfuhr ich, dass die Geschäftsführerin ihn ohne mein Einverständnis über meine Transidentität informiert hatte.
Danach wurde ich von Konferenzen ausgeschlossen, meine geplanten Coachings wurden abgesagt, und ich wurde von Mitarbeiter*innen isoliert. Auch die Kommunikation mit der Geschäftsführung wurde mir untersagt, während von mir beantragte Genehmigungen für geschäftliche Vorgänge über Monate hinweg verzögert wurden, was zu finanziellen Schäden führte.
Schließlich häuften sich die Vorwürfe gegen mich. Es wurden konstruierte Vertrauensbrüche angeführt, die ich widerlegen konnte. Man versuchte, mir »Betrug der Arbeitszeit« nachzuweisen, indem heimlich meine Arbeitszeiten kontrolliert wurden – doch ich hatte stets korrekt dokumentiert. Immer wieder wurde behauptet, mein Charakter habe sich negativ verändert. Nach 18 Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit war ich fassungslos über die plötzliche Ablehnung.
Dann kam es zum Showdown: Die fristlose Kündigung, Arbeitsgerichtstermin und ein Vergleich, mit dem ich mich zufriedengeben musste. In schlaflosen Nächten grübelte ich darüber nach, was ich falsch gemacht hatte und warum man nicht den ordentlichen Weg der Ermahnung und Abmahnung gegangen war. Ich hätte mich reflektieren und damit auseinandersetzen können. Stattdessen erlebte ich Ablehnung, Ekel und Ambivalenz. Wenige Stunden vor der Kündigung umarmte mich die Geschäftsführerin unter Tränen und sagte, sie würde so gerne weiterhin mit mir arbeiten.
Massive Ablehnung
Sechs Monate später traf ich einen ehemaligen Kollegen, dem ich mich anvertraute. Er berichtete mir, dass er zufällig ein Gespräch der Geschäftsführung mitgehört hatte, in dem der Geschäftsführer seine massive Ablehnung gegenüber einer Transperson in der Hauptverwaltung äußerte. Plötzlich ergab alles einen Sinn.
Weil ich eine Transperson bin, wurde ich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und wie eine Aussätzige behandelt. Ich wurde von zwei Mitarbeitenden aus dem Gebäude eskortiert und durfte mich nicht einmal von meinen Kolleg*innen verabschieden. All dies geschah, obwohl ich keinen einzigen Tag in meinem Arbeitsleben sichtbar als Frau aufgetreten war. Die Vorurteile existierten in den Köpfen der Geschäftsführung. Niemand hat sich die Mühe gemacht, mit mir über Transidentität zu sprechen.
Im Frühjahr 2024 wandte ich mich an die Beschwerdestelle der EKHN. Man bedauerte meinen »Fall« und sprach Mitgefühl aus – doch Konsequenzen für die Verantwortlichen gibt es keine. Die Kirche scheint aus früheren Missbrauchs- und Diskriminierungsfällen nichts
gelernt zu haben. Täterschutz geht vor Opferhilfe. Das 2024 veröffentlichte Schuldbekenntnis der EKHN gegenüber Transmenschen hilft mir in keiner Weise.
Meine berufliche Existenz wurde zerstört. Mit über 55 Jahren ist es in der heutigen Gesellschaft äußerst schwierig, eine neue Anstellung zu finden. Ich habe als Transfrau auf die Worte von Dr. Jung vertraut, habe auf die Zusage der Kirche gehofft und habe nicht nur meinen Job, sondern auch meinen Glauben an eine gerechte, tolerante, weltoffene und unterstützende Kirche verloren.