Das Kirchenamt der EKD behauptet, dass durch die Corona-Pandemie die Durchführung von Präsenzsitzungen der Mitarbeitervertretungen (MAV) häufig verhindert werde, oberstes Gebot sei es, „…Leib und Leben der Mitarbeiter zu schützen“.
Die Kirche hat daher in Orientierung an die Regelungen in § 129 BetrVG und § 37 BPersVG die Durchführung von Mitarbeitervertretungssitzungen via Telefon- oder Videokonferenz ermöglicht.
Im Gegensatz zum Bundesgesetzgeber, der diese Form von Betriebs- bzw. Personalratssitzungen zeitlich bislang befristet hat, gilt die Regelung im MVG.EKD unbefristet.
Auch die Katholische Kirche hat für ihre Mitarbeitervertretungen die Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) dahingehend geändert, dass Sitzungen der Mitarbeitervertretung per Telefon- und Videokonferenz möglich sind. Diese Änderung ist am 1. April 2020 in Kraft getreten und in der Rahmenordnung zunächst auf zwei Jahre befristet bis zum 31. März 2022, in einigen (Erz-) Diözesen ist die Frist abweichend.
Die Änderung des § 26 des Mitarbeitervertretungsgesetzes der Evangelischen Kirche Deutschlands (MVG.EKD) schadet der Qualität der demokratischen Willensbildung und Entscheidungsfindung innerhalb der MAV. Außerdem bietet das MVG.EKD bereits die Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen Beschlüsse durch telefonische Abstimmung oder Umlaufbeschlüsse zu fassen. Die beschlossene Neuregelung – insbesondere unbefristet – ist deshalb weder erforderlich, noch verhältnismäßig. Die vorgenommene Änderung des MVG.EKD ist zurückzunehmen.
Die Durchführung von Beratungen der MAV als Interessenvertretungen in Präsenzform ist ein hohes Gut. Es gibt eine Reihe gewichtiger Gründe, sie auch unter Pandemiebedingungen als Standard zu erhalten. Die neue, zeitlich unbegrenzte Verankerung der Möglichkeit gemäß § 26 MVG.EKD Sitzungen in Form von Telefon- oder Videokonferenzen durchzuführen, lehnen der Kirchenfachrat, wie auch die überwiegende Mehrheit der Arbeitsgemeinschaften (AGMAV) und Gesamtausschüsse (GA) der Mitarbeitervertretungen sowie die Bundeskonferenz AGMAV und GA ab.
Die Mitglieder der Mitarbeitervertretungen stammen zumeist aus verschiedenen Berufen und müssen sich regelmäßig mit komplexen, hoch anspruchsvollen Angelegenheiten befassen, die sowohl oft nicht zu ihrem beruflichen Erfahrungswissen gehören als auch u.U. einschneidende Konsequenzen für die betroffenen Beschäftigten nach sich ziehen (bspw. bei personellen Einzelmaßnahmen). Auf dem Weg zu einer Entscheidung sind ausführliche Diskussionen notwendig, um Abwägungen zu treffen und mögliche Folgen zu bedenken. Die Kommunikation im Rahmen von Telefon- oder Videokonferenzen ist gegenüber einer Präsenzsitzung erheblich eingeschränkt. Ein im Ausschnitt beschränktes und übertragenes Bild kann nur sehr eingeschränkt Körpersprache, Mimik und Zwischentöne wiedergeben. Diese Stimmungsaufnahme ist nur durch eine physische Anwesenheit zu gewährleisten. In Telefon- oder Videokonferenzen besteht die große Gefahr, dass die Meinungs- und Kompromissbildung massiv eingeschränkt werden, da ausführliche Diskussionen nur sehr schwer möglich sind. Die Qualität der demokratischen Willensbildung und Entscheidungsfindung leidet darunter massiv.
Bislang hat eine MAV bereits die Möglichkeit in ihrer Geschäftsordnung zu regeln, „dass Beschlüsse im Umlaufverfahren oder durch fernmündliche Absprachen gefasst werden können“. Eine wichtige und richtige Bedingung bei dieser besonderen Art der Beschlussfassung war es, dass eine Gegenstimme oder gar Enthaltung ausreichte, damit ein Beschluss keine Zustimmung fand, wenn diese Form der Beschlussfassung durchgeführt werden sollte. Die vorgesehene Einstimmigkeit bildete eine zusätzliche Hürde, um einen Ausnahmecharakter in dieser einen Angelegenheit zu unterstreichen und die demokratische Qualität der Entscheidung - ungeachtet der beschränkenden Rahmensetzung - sicherzustellen. Dieses Prinzip ist mit der Neuregelung des § 26 MVG.EKD aufgehoben worden. Nun muss sich mindestens ein Mitglied der MAV aktiv gegen das Sitzungsverfahren aussprechen, damit es bei einer Präsenzsitzung bleibt. Der oder die betreffende Kolleg*in wird sich dementsprechend rechtfertigen müssen, wenn er oder sie das Verfahren verhindert. Es besteht die Gefahr eines „Gruppendrucks“ auf diese Person, der im Extremfall sogar dazu führen könnte, dass sich ein Gremium entzweit.
Es ist davon auszugehen, dass es nur sehr wenige unter den rund 50.000 Dienststellen und Einrichtungen gibt, in denen die für die Durchführung von Telefon- oder Videokonferenzen notwendigen sowohl räumlichen als auch technischen Voraussetzungen vorhanden sind. Hier müsste jedes an einer solchen Konferenz teilnehmende Mitglied einer MAV über einen abgeschlossenen Raum und die notwendige technische Ausstattung wie z.B. ein Notebook, Tablet, Smartphone, PC mit Kamera und Lautsprechern etc. sowie einen gesicherten Zugang zum Internet mit ausreichender Bandbreite verfügen. An vielen Arbeitsplätzen, z.B. in Pflege und Betreuung, an denen eine große Zahl der MAV-Mitglieder in diakonischen Einrichtungen tätig sind, sind diese Ressourcen schlichtweg nicht vorhanden.
Vor diesem Hintergrund ist auch eine konsequente Einhaltung des Datenschutzes bzw. Geheimhaltung durch die MAV schwerlich umsetzbar. Im Gesetzestext heißt es wörtlich: „Es ist sicherzustellen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.“ Dies ist schlichtweg nicht möglich, da die MAV in aller Regel gar nicht in der Lage ist zu kontrollieren, wie die jeweilige Software für Videokonferenzen mit den erhobenen Daten umgeht. Auch die Forderung an den Vorsitz „Vor Beginn der Sitzung hat der oder die Vorsitzende die Identität der zugeschalteten Mitglieder festzustellen…“ genügt dem Erfordernis der Geheimhaltung nur bedingt. Der oder die Vorsitzende kann nicht ausschließen, dass unberechtigte Dritte in einem der Übertragungsräume Gesprächsinhalte mithören oder verfolgen, und zwar ohne dass MAV-Mitglieder dies bemerken, etwa in privaten oder halböffentlichen Räumen. (vgl. Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. August 2020 – 12 TaBVGa 1015/20).
Die Regelungen in § 129 BetrVG sowie § 37 BPersVG wurden vom staatlichen Gesetzgeber bislang befristet. Die Befristung ist aufgrund der weltweiten Pandemie vorgenommen worden, was einerseits mangels Alternativregelungen im BetrVG und BPersVG nachvollziehbar, wenn auch kritisch zu bewerten ist. Andererseits verdeutlicht es den vom Gesetzgeber gewollten Ausnahmecharakter dieser Regelung gegenüber Präsenzsitzungen als Standard für Interessenvertretungen, der auch weiterhin als solcher erhalten bleiben sollte. Selbst wenn der staatliche Gesetzgeber die derzeit geltende Rechtslage verändern sollte, wäre der Vorrang von Präsenzsitzungen gegenüber der Ausnahmeregelung nach § 129 BetrVG weiterhin angemessen. Die Regelung im MVG.EKD ist nicht befristet worden. Offiziell wird das mit der anhaltenden Pandemiesituation begründet. Das erscheint allerdings nicht plausibel, da objektiv von einer sich perspektivisch verändernden Pandemielage auszugehen ist. Es wäre also verhältnismäßig und einer sich perspektivisch ändernden Situation angemessen gewesen, die Geltung der Regelung zumindest zu befristen. Außerdem hat der Rat der EKD mit den vorliegenden Änderungen im MVG belegt, dass die Kirche in der Lage ist, kurzfristig Anpassungen vornehmen zu können, wenn aus ihrer Sicht nötig. Auch das macht eine unbefristete Regelung überflüssig.
Zudem ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber durch die im MVG.EKD verstetigte Regelung zunehmend Druck auf die betroffenen Mitglieder der MAV ausüben werden, die Sitzungen nicht in Präsenz, sondern in telefonischer oder Videokonferenzform durchzuführen. Der Anreiz für Arbeitgeber ist groß, dafür zu sorgen, dass der oder die Beschäftigte bzw. das MAV-Mitglied schnell wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren soll, insbesondere in kleinen Einrichtungen. Das einzelne MAV-Mitglied muss für die Teilnahme an der Sitzung per Videokonferenz z.B. nicht den Betrieb verlassen oder ist gar einen ganzen Tag abwesend, zudem spart es den Arbeitgeber auch Reisekosten. Davor schützt auch nicht, dass die Regelung in § 26 MVG.EKD die Videokonferenz nur in Ausnahmefällen als Alternative zur Präsenzsitzung ermöglicht. Die Kirche begründet selbst, dass die unbefristete Änderung des MVG pandemiebedingt notwendig sei und der Sicherstellung der Mitbestimmung diene. Mit dieser Begründung würde demnach die Gesamtsituation der Pandemie eine Ausnahme darstellen, denn MAV-Präsenzsitzungen sind ggf. zeitweise gar nicht mehr möglich und demzufolge wäre jede Sitzung eine Ausnahme im Sinne des § 26 MVG.EKD. Erste (staatliche) Rechtsprechung zeigt zumindest auf, dass der Arbeitgeber nicht entscheiden darf, ob eine Sitzung der Interessenvertretung in Präsenz oder per Telefon- oder Videoschaltung stattfindet. Die Durchführung von Präsenzsitzungen trotz der Pandemie ist weiterhin zulässig. Der Vorsitz des Gremiums entscheidet über die Einberufung der Sitzung, den Sitzungsort und damit auch über die Frage, ob eine Sitzung in Form einer Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt wird (hier konkret der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz, vgl. Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 07.10.2020, 7 BVGa 12816/20).
Mitarbeitervertretungen bestehen in der Regel aus einer im Vergleich zur Anzahl der Beschäftigten im gesamten Betrieb geringen Anzahl an Mitgliedern, so dass es grundsätzlich möglich ist, durch die Bereitstellung von geeigneten Räumlichkeiten, persönlicher Schutzausrüstung und unter Einhaltung der Hygienevorschriften Präsenzsitzungen durchzuführen. Für die Bereitstellung der Räumlichkeiten ist der Arbeitgeber verantwortlich, etwaige Kosten sind durch ihn zu tragen. Selbst wenn das bedeutet, dass zur Einhaltung der notwendigen Abstandsregeln die Anmietung externer Räume nötig werden sollte, ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet. Insofern hat er die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch unter Pandemiebedingungen Präsenzsitzungen stattfinden können, wenn die MAV sie durchführen will. Ein Ausweichen auf z.B. Videokonferenzen ist demnach regelmäßig nicht erforderlich.