Hektische Ausweichmanöver

Vielzahl neuer Kirchenregeln zeigt, dass die Kirchenspitze in Sachen Arbeitsrecht unter Druck steht. Doch grundlegende Änderungen will sie nicht.
14.11.2023

Angesichts wachsender Kritik am Sonderweg der Kirchen im Arbeitsrecht versuchen diese, durch die Änderung einer Vielzahl von kirchlichen Regelungen Reformwilligkeit zu dokumentieren. Doch bei der 21. Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am Dienstag (14. November 2023) in Kassel war man sich einig: Grundlegende Veränderungen bleiben aus. Und: Das kirchliche Sonderrecht gehört insgesamt abgeschafft. Dafür haben sich bereits über 30.000 Kirchenbeschäftigte und andere in einer von ver.di-Aktiven initiierten Petition ausgesprochen.

 
Der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon bei der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht 2023

»Ich kenne kein anderes Gesetz, das mit einer solchen Hektik und Häufigkeit geändert wird, wie das Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche«, sagte der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon vor den rund 250 Teilnehmenden der von der Zeitschrift Arbeitsrecht und Kirche gemeinsam mit ver.di, der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) sowie der Diakonischen ArbeitnehmerInnen Initiative (dia e.V.) organisierten Tagung. Kirchliche Sonderregeln seien dort gerechtfertigt, wo dies die Religionsausübung erfordere, betonte Baumann-Czichon. »Damit ist aber zugleich auch die Grenze der Abweichung von staatlichem Recht definiert.«

Dass diese Grenze permanent überschritten wird, machte der Mitinitiator der traditionsreichen Kasseler Fachtagung am Beispiel des Mitarbeitervertretungsgesetzes der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) deutlich. »Ich finde hier keine einzige Stelle mit einer religiösen Begründung für Abweichungen vom staatlichen Recht.« Gleiches gelte für die vielen Änderungen, die die EKD-Synode in kurzen Abständen auf Betreiben des Kirchenamtes vornehme. Baumann-Czichon wies anhand von Beispielen nach, dass diese in aller Regel den Bedürfnissen der Arbeitgeber entsprechen und die Beschäftigtenvertretungen kaum einbezogen werden.

Neues Mitarbeitervertretungsrecht ändert wenig

 
Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht 2023 in Kassel: Tobias Warjes (Buko-Sprecher), Mario Gembus (ver.di), Tina Groll (Moderatorin)

Aktuell diskutierte Gesetzesänderungen haben indes vor allem den Zweck, dem staatlichen Gesetzgeber und der Öffentlichkeit Veränderungsbereitschaft zu signalisieren. So tagte parallel zu den betrieblichen Interessenvertretungen in Kassel auch die EKD-Synode in Ulm. Deren Rechtsausschuss bereitet eine Novellierung des Mitarbeitervertretungsgesetzes vor, über die Tobias Warjes von der buko-Sprechergruppe informierte. Der bundesweite Zusammenschluss der Mitarbeitervertretungen hatte eigene Reformvorschläge in die Debatte eingebracht, die aber – so zumindest der bis dato bekannte Stand – größtenteils nicht berücksichtigt werden. So soll zwar die Unternehmensmitbestimmung ab einer bestimmten Beschäftigtenzahl verbindlich werden, die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsgremien soll sich aber auf ein bis maximal zwei Mandate beschränken. »Echte Unternehmensmitbestimmung sieht anders aus«, so Warjes. Auch beim von den Mitarbeitervertretungen kritisierten »Fristenregime«, bei der Begrenzung von Fortbildungen und geringeren Freistellungen von MAV-Mitgliedern gebe es offenbar keine grundlegenden Verbesserungen.

Ein weiteres Reformprojekt betrifft die sogenannte Loyalitätsrichtlinie. Diese solle zwar in »Mitarbeitsrichtlinie« umbenannt werden, greifen aber weiterhin stark in das Selbstbestimmungsrecht und die privaten Belange der Beschäftigten ein. Diese »tragen zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags bei«, heißt es in einem Entwurf. Ob Einrichtungen von ihren Beschäftigten die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche verlangen können, hängt demnach davon ab, ob die »Art der Tätigkeit und den Umständen ihrer Ausübung« dies erfordern. Die Crux daran: Über die Erforderlichkeit entscheiden allein die Arbeitgeber. Die Neufassung folge lediglich juristischen Erwägungen, meinte Warjes. »Es gibt keinerlei theologische Begründung dafür.«

 
Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht 2023 in Kassel

»Jetzt dranbleiben und das Zeitfenster nutzen«

Mario Gembus von der ver.di-Bundesverwaltung zeigte auf, dass die Reform der Loyalitätsrichtlinie zum einen eine Reaktion auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ist. Zum anderen soll sie offenbar ein Signal an die Bundesregierung sein, die die Überprüfung des kirchlichen Sonderrechts im Koalitionsvertrag vereinbart hat. »Die Botschaft soll wohl sein: Wir regeln das intern«, vermutete Gembus und appellierte an die Kolleg*innen: »Wir müssen dranbleiben und das Zeitfenster nutzen, das sich uns gerade bietet.« Ein Mittel hierfür ist die Petition, die noch stärker verbreitet werden sollte. Ihr Ziel ist es, die gesetzlichen Sonderregelungen für die Kirchen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die Ausnahme im Betriebsverfassungsgesetz zu beseitigen.

»Wir haben große Schritte nach vorne gemacht«, bilanzierte Gembus. Das gelte nicht nur für die öffentliche Debatte, sondern auch für betriebliche und tarifpolitische Aktivitäten. Der Gewerkschafter verwies auf die Beteiligung hunderter kirchlicher Beschäftigter an der Warnstreikbewegung im öffentlichen Dienst im Frühjahr. Aktuell organisiere sich die Belegschaft des Sophien- und Hufelandklinikums Weimar, um bessere Bezahlung per Tarifvertrag durchzusetzen. »Das macht Mut, denn wir können nicht alles juristisch lösen. Es braucht die Bewegung in den Betrieben.«