Erstmals haben sich Mitarbeitervertretungen im diakonischen Konzern Agaplesion zu einer konzernweiten MAV zusammengeschlossen. Interview mit ihrem Vorsitzenden Torsten Rathje. Er ist Vorsitzender der Mitarbeitervertretung am Agaplesion-Diakonieklinikum Rotenburg und Vorsitzender der neu gewählten Gesamtmitarbeitervertretung im Dienststellenverbund (»Konzern-MAV«) bei Agaplesion.
Erstmals haben sich die Mitarbeitervertretungen im größten diakonischen Konzern zu einer konzernweiten MAV zusammengeschlossen. Warum habt Ihr diesen Schritt gemacht?
Wir haben bemerkt, dass der Konzern den Häusern in den vergangenen Jahren vieles übergestülpt hat und die Mitarbeitervertretungen dabei meist zu spät eingebunden wurden. Da wurden auf Konzernebene bereits Fakten geschaffen und wir konnten kaum noch Einfluss ausüben und mitgestalten. Dass die örtlichen Mitarbeitervertretungen spät informiert wurden, hat Weiterentwicklungen zudem vielfach verzögert. Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen auch auf dieser Ebene Mitbestimmungsstrukturen schaffen, damit wir von Anfang an mit im Boot sind.
Welche Themen werden auf Konzernebene vorangetrieben?
Da ist zum Beispiel die Digitalisierungsstrategie – von der Einführung der digitalen Patientendokumentation und der digitalen Personalakte bis hin zu digitalisierten Fortbildungsinstrumenten. Dabei stellt sich natürlich die Frage: Wo bleiben die Beschäftigten? Sind ihre Daten geschützt? Wie wird damit umgegangen, wenn Bewegungs- und Tätigkeitsprofile erstellt werden können? Dass hier Mitbestimmungsrechte tangiert sind, hatte Agaplesion überhaupt nicht bedacht. Jede einzelne MAV musste sich vor Ort in dem Versuch aufreiben, diese Dinge zu regeln. Das schluckt Ressourcen ohne Ende. Wir meinen: Man muss nicht jedes Rad in jeder Einrichtung neu erfinden. Unser Vorteil war, dass wir uns über ver.di sehr gut vernetzt hatten. Daher wussten wir voneinander, was wo läuft, und konnten gemeinsame Strategien absprechen. Mit der Konzern-MAV haben wir das auf eine strukturiertere Ebene gehoben – damit solche Prozesse von Anfang an begleitet werden können und man sich nicht vor Ort in kleinteiligen Auseinandersetzungen aufreibt.
Wenn solche Vorhaben auf Konzernebene entwickelt werden, ist es für die einzelne MAV wahrscheinlich auch schwer, daran überhaupt noch etwas zu ändern, oder nicht?
Ganz genau. Die Geschäftsführungen sagen dann immer: Das hat der Konzern so vorgegeben, da können wir nichts machen. Aber damit will man sich als Mitarbeitervertretung natürlich nicht zufrieden geben. Wir wollen schließlich mitgestalten.
Wie viele Mitarbeitervertretungen sind an der Konzern-MAV beteiligt?
Von den 33 Gremien im Konzern waren 26 bei der konstituierenden Sitzung vertreten. Das ist ein sehr guter Start.
Welchen Einfluss haben die einzelnen Mitarbeitervertretungen in der Konzern-MAV?
Alle Mitarbeitervertretungen haben das gleiche Stimmrecht – unabhängig davon, wie viele Beschäftigte sie vertreten. Das bedeutet, dass auch kleine Gremien nicht übergangen werden können. Die großen MAVen sind im Verhältnis eher unterrepräsentiert. Dennoch haben sich die großen Gremien, so wie wir auch, dafür entschieden, das zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass alle von dieser Zusammenarbeit profitieren. Das gilt besonders für die kleinen Gremien, die sonst oft nicht genug Ressourcen haben, um ihre Rechte in allen Fragen wahrnehmen zu können.
Welche Rechte und Ressourcen hat denn die Konzern-MAV bei Agaplesion? Ist das mit Konzernbetriebsräten nach Betriebsverfassungsgesetz vergleichbar?
Nein, mit dem Betriebsverfassungsgesetz sind die Spielräume, die uns das Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche zugesteht, nicht vergleichbar. Über Ausstattung, Ressourcen und auch Freistellungen muss erst noch mit dem Agaplesion-Vorstand verhandelt werden. Die Sitzungen der Konzern-MAV sollen zunächst alle zwei Monate stattfinden und zwei Tage dauern.
Was sind die Schwerpunkte, mit denen sich die Konzern-MAV beschäftigen wird?
Ein Schwerpunkt wird weiterhin die Digitalisierung sein. Uns ist zudem das betriebliche Gesundheitsmanagement wichtig, das im Konzern derzeit so gut wie nicht stattfindet. Bei der Fort- und Weiterbildung sehen wir ebenfalls Regelungsbedarf, auch in Zusammenhang mit der Digitalisierung.
Wie siehst Du die Zusammenarbeit mit ver.di?
Fest steht: Ohne ver.di wären wir gar nicht so weit gekommen. Wir hatten vor einigen Jahren schon einmal versucht, eine konzernweite Mitbestimmung zu etablieren. Damit waren wir Anfang 2015 gescheitert. Da waren wir womöglich auch etwas zu ambitioniert. Wir wollten die Mitbestimmungsstrukturen per Tarifvertrag regeln und auch die Betriebsräte der ausgegliederten GmbHs einbeziehen. Das hat der Konzernvorstand damals nicht mitgemacht. Daraufhin haben wir ab 2015 über ver.di ein Netzwerk der Mitarbeitervertretungen aufgebaut. Das war ganz wichtig – auch, damit sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den örtlichen MAVen entwickeln konnte. Wir haben dem Konzern gezeigt, dass wir zusammen agieren und uns absprechen. Das hat beim Vorstand die Einsicht befördert, dass eine formale Struktur sinnvoll ist. Die Unterstützung von ver.di war dafür entscheidend.
Wie wird die Zusammenarbeit mit den GmbH-Betriebsräten laufen, die in der Konzern-MAV ja nun nicht vertreten sind?
Es gibt mehrere GmbHs für Catering, Reinigung und andere Aufgaben – das ist leider sehr zersplittert. Zumindest die Catering GmbH hat aber einen Gesamtbetriebsrat. Ich hoffe, dass wir im Zuge unserer Etablierung als Konzern-MAV die Kontakte zu diesen Kolleginnen und Kollegen intensivieren können. Denn viele Themen betreffen alle Beschäftigten bei Agaplesion.
Interview: Daniel Behruzi
Erschienen im Kirchen.info Nr. 34